Berliner Wirtschaft September 2021
Z um Interview erscheinen Anna Kaiser und Jana Tepe gemeinsam. Die eine sitzt im Büro im Kollwitzkiez, die andere im mobilen Office an der Nordseeküste. Als Geschäftsführerinnen-Duo auf Distanz zusam- menzuarbeiten, haben die beiden nicht erst seit Ausbruch der Pandemie gelernt. Vor acht Jahren trafen sich die beiden Frauen bei ihrem ersten Job in einer Berliner Recruiting-Agentur, die sich auf die Digitalwirtschaft spezialisiert hatte. „Damals bekam ich eine äußerst kreative Bewerbung von zwei Frauen, die sich gemeinsam auf eine Füh- rungsposition bewarben“, erinnert sich Jana Tepe und auch daran, wie elektrisiert sie von der Idee war, Fulltime-Jobs teilzeittauglich zu machen. Anna habe ihre Begeisterung sofort geteilt. Nach zwei Tagen kündigten die Kolleginnen, um aus einer Idee ein Geschäftsmodell zu formen. Sie gründeten Tandemploy und entwickelten eine Software für gemeinschaftliches Arbeiten, sei es für Projekte, Mentoring, Jobsharing oder auch die Kaffeepause. Lufthansa, SAP, Evonik zählen heute zu ihren Kunden und die beiden zu den Pionierinnen der New-Work-Bewegung. Anfang des Jahres sorg- ten Tepe und Kaiser für Schlagzeilen, als sie eine bis dato ungewöhnliche Finanzierungsrunde bekannt gaben. Mit einem siebenstelligen Betrag beteiligten sich in dieser Runde ausschließlich Frauen an ihrer Firma. „Wie in unserem Team wollten wir auch bei den Investoren ein ausgewo- genes Verhältnis vonMännern und Frauen schaf- fen“, sagt Kaiser über ihren „All Female Deal“. Bislang hatten überwiegend Männer in Tandem- ploy investiert. Familie oder Krisenmanagement Frauen in der Wirtschaft, Frauen in Führungs- positionen: Ähnlich wie Klimaschutz und Digi- talisierung gehört das Thema zu den Dauerbren- nern in den Medien. Vordergründig scheint sich wenig zu ändern. Immer noch verdienen weibli- che Beschäftigte in Deutschlandweniger als Män- ner, gründen seltener und schaffen es nicht so oft an die Spitze wie ihre Kollegen. Und in der Pan- demie hat sich einmal mehr gezeigt, wie verkrus- tet die Strukturen immer noch sind. „Es ist ganz gut dokumentiert, dass Frauen die Hauptlast der Rund-um-die-Uhr-Betreuung der Kinder wäh- rend der Pandemie getragen undwesentlichmehr Frauen als Männer ihre Arbeitszeit dafür redu- ziert haben. Verkürzt gesagt, haben sich Frauen um die Familie gekümmert, und Männer konn- ten beim Krisenmanagement in der Firma glän- zen“, sagt Wiebke Ankersen, Geschäftsführerin der AllBright Stiftung, die sich für mehr Frauen und Diversität in den Führungspositionen der Wirtschaft einsetzt. Eine Frau führt einen Dax-Konzern Hoffnung macht, dass laut einer Studie des Deut- schen Instituts für Wirtschaftsforschung der Anteil von Männern, die Kinderbetreuung über- nehmen, zumindest leicht gestiegen ist. Und es gibt viele weitere positive Signale. Mit der Medizi- nerin Belén Garijo rückte imMai 2021 endlich die erste alleinige CEO an die Spitze eines Dax-Kon- zerns. Als Mutter von zwei Töchtern widerlegt die neue Merck-Chefin gleichzeitig das Vorur- teil, dass solch steile Karrieren nur ohne Fami- lie gelingen können. Mit Oksana Lyniw dirigierte nach 145 Jahren in Bayreuth erstmals eine Frau. Und mit Daniela Cavallo lenkt jetzt eine Chefin den mächtigen Betriebsrat von VW. Das ändert nichts grundsätzlich, wirkt aber als gutes Role Model. Gerade solche Vorbilder sindwichtig, denn sie zeigen Mädchen und jungen Frauen Entwick- lungsperspektiven auf, sie motivieren, inspirieren und fordern sie heraus. Der Gesetzgeber kündigt aktuell nicht nur an, sondern handelt. Im Juni 2021 stimmte der Bundestag einem Gesetzentwurf zu, wonach in börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen mit mehr als 2.000 Beschäftigten in Vorständenmit mehr als drei Mitgliedernmin- destens eine Frau und ein Mann vertreten sein müssen. Außerdem sollen Führungskräfte einen Rechtsanspruch auf eine haftungsfreie Auszeit bekommen. Sabbaticals von bis zu drei Mona- ten dürfen künftig nur untersagt werden, wenn wichtige unternehmerische Interessen entgegen- stehen. Gleichzeitig erhöhenmächtige Investoren den Druck undwollen nur noch Geld geben, wenn ein Unternehmen Diversity beachtet. Auch die Wirtschaft hat erkannt, dass sie ohne die Frauen erst recht nicht den Fachkräftemangel bewälti- gen wird. Last but not least müssen Männer und Frauen selbst ihren Beitrag leisten, damit verkrus- tete Strukturen aufbrechen. Nur wenige Monate nach Tandemploys „All Female Deal“ gaben 60 Topmanagerinnen bekannt, darunter Anna Kaiser, das nach eige- nen Angaben größte Investorinnen-Netzwerk in Deutschland gegründet zu haben. Dessen Co-Vorsitzende, Business Angel und Multi-Auf- sichtsrätin Ina Schlie, gehört zu den fünf Vorige Doppelseite: Jana Tepe (l.) und Anna Kaiser Geschäftsführerinnen, Tandemploy Die beiden Gründerin- nen lernten sich 2013 bei einer Recruiting- Agentur kennen und entwickelten für ihr gemeinsames Unter- nehmen eine Software, die Zusammenarbeit auf vielen Feldern organisiert. Heute zählen auch Konzerne zu ihren Kunden. Janette Wiget CFO, Merantix AG Gut 100 Mitarbeiter zählt das Unterneh- men, unter dessen Dach reihenweise Start-ups im Bereich künstliche Intelligenz entstehen. Ein Viertel der Belegschaft sind Frauen – nicht selbstverständlich in der Branche. Der Company Builder errichtet gerade einen KI-Campus am Nordbahnhof. » 15,7% der Start-ups in Deutschland werden laut „Female Founders Monitor 2020“ von Frauen gegründet. Männer erhalten deutlich leichter Inves- torenkapital. FOTO: CHRISTIAN KIELMANN SCHWERPUNKT | Frauen in der Wirtschaft 22 IHK BERLIN | BERLINER WIRTSCHAFT 09 | 2021
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