Wissenschaft braucht mehr Wagnis Ausgründungen müssen als strategisches Element der Innovationspolitik begriffen und entsprechend gefördert werden – hier ist dringend ein Umdenken erforderlich Neues zu schaffen, war schon immer Teil wirtschaftlichen Lebens. Doch in Zeiten tiefgreifender Transformation reicht es nicht, nur Bestehendes zu modernisieren – wir müssen Raum für Neues schaffen. Wissenschaftliche Ausgründungen bieten enormes Potenzial, um Innovationen aus der Forschung in die Praxis zu überführen. Doch dieses Potenzial bleibt in Deutschland viel zu oft ungenutzt. Start-ups – etwa in der Medikamenten- entwicklung oder Medizintechnik – haben gezeigt, wie aus Erkenntnis wirtschaftlicher Fortschritt wird. Sie verbinden wissenschaftliche Tiefe mit unternehmerischem Mut. Dennoch fließen nur 0,2 Prozent des Venture Capital in Chemie-Start-ups. In anderen Deeptech-Bereichen sieht es kaum besser aus. Gleichzeitig investiert der Staat jährlich über 37 Mrd. Euro in Forschung – ohne sicherzustellen, dass daraus auch neue Industrien entstehen. Ein Grund: Förderprogramme wie GRW schließen Start-ups oft aus, weil sie nach drei Jahren bilanziell als „Unternehmen in Schwierigkeiten“ gelten können, wenn sie sich beispielsweise aus Darlehen des ProFit-Programms der Investitionsbank Berlin finanziert haben. Der Grund: Die Verlustvorträge sind bei ihnen schnell höher als die Hälfte ihres Eigenkapitals. Formal greift dann regelmäßig eine EU-Regelung, durch die sie zu „Unternehmen in Schwierigkeiten“ deklariert werden – obwohl sie sich operativ gut entwickeln können. Dies trifft besonders forschungsintensive Start-ups, die in den ersten Jahren hohe Investitionen tätigen müssen. Könnte Berlin hier etwas tun? Selbstverständlich! Die EU-Richtlinie besagt nur, dass diese „Unternehmen in Schwierigkeiten“ andere Förderung bekommen sollen als solche Unternehmen, die nicht in Schwierigkeiten seien, und nicht, dass sie keine bekommen sollen. Leider werden aber diejenigen, die am meisten Unterstützung bedürfen, bisher noch ausgespart. Hier muss dringend etwas getan werden. Auch EU-Initiativen wie STEP oder der Critical Medicines Act benachteiligen junge Unternehmen strukturell: durch hohe Hürden, fehlende Start-up-Zugänge und eine Fokussierung auf etablierte Akteure. Dabei sind es gerade Start-ups, die mit digitalen, nachhaltigen und hochautomatisierten Lösungen neue Wege in der Produktion beschreiten – und damit Europas Wettbewerbsfähigkeit sichern könnten. Was es jetzt braucht, ist ein Umdenken: Wir müssen wissenschaftliche Ausgründungen als strategisches Element der Innovationspolitik begreifen. Dazu gehören gezielte Förderinstrumente, angepasste regulatorische Rahmenbedingungen und ein stärkeres Zusammenspiel von Wissenschaft, Wirtschaft und Kapital. Denn nur wenn wir den Mut haben, Neues zu ermöglichen, sichern wir uns eine wettbewerbsfähige Wirtschaft der Zukunft. ■ Meinung In der Kolumne „Auf den Punkt“ positionieren sich im monatlichen Wechsel Mitglieder des Präsidiums zu wirtschaftspolitischen Fragestellungen aus ihrer persönlichen Sicht. präsidiumsmitglieder beziehen stellung Sonja Jost ist Geschäftsführerin der DexLeChem GmbH und Vizepräsidentin der IHK Berlin FOTO: AMIN AKHTAR Auf den Punkt | 13 Berliner Wirtschaft 07-08 | 2025
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