Berliner Wirtschaft Juli/August 2024

E in Gespenst geht um in Berlin, es ist das Gespenst der „Sarrazin-Jahre“. Von „Sparen, bis es quietscht“ wie Anfang der 2000er-Jahre möchte offiziell noch niemand sprechen, aber die koalitionsinterne Auseinandersetzung um die „Pauschalen Minderausgaben“ im laufenden Haushalt hat gezeigt, wie eng die Spielräume sind. Einen zusätzlichen Schlag ins Kontor brachten die Ergebnisse des Zensus. Demnach hat Berlin rund 130.000 Einwohner weniger als gedacht, das bedeutet strukturelle Steuermindereinnahmen (rückwirkend ab 2022) von rund 450 Mio. Euro im Jahr, bis 2028 erhöht sich die Summe auf rund 550 Mio. Euro jährlich. Wer solche erschreckenden Botschaften in die Öffentlichkeit tragen muss, kann nicht ohne Grund „Berlins Hiob“ genannt werden („taz“). Und Finanzsenator Stefan Evers (CDU) nahm sich seiner Rolle beim Wirtschaftspolitischen Frühstück der IHK Berlin offensiv an, versuchte aber zeitgleich, für etwas Optimismus zu sorgen. Strukturell ausgeglichenen Haushalt im Blick In der frühmorgendlichen Diskussionsrunde mit IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder und 180 Unternehmensvertreterinnen und -vertretern ging es gleich hart, aber fair zur Sache. Drohen Steuererhöhungen oder gar eine Haushaltssperre? Die Einnahmenseite sei nicht das Problem, betonte Evers mehrfach, es sind die Ausgaben, die auf ein Normalmaß – also vor der Polykrise von Pandemie, Krieg und Inflation – zurückgefahren werden müssten. Um zu einem strukturell ausgeglichenen Haushalt zurückzukehren, müssen dauerhaft fünf Mrd. Euro eingespart werden, dazu wird der Staat auf seine Kernaufgaben reduziert werden müssen, von einigem „nice to have“ wird man sich verabschieden müssen. Ganz ehemaliger Unternehmensberater, wollte der CDU-Politiker diese Lage nicht als „game over“ deuten, sondern als potenziellen Gamechanger. Kein Geld, keine Zeit und keine Leute? Das sind beste Voraussetzungen für Innovationen, unterstrich Evers. Er verwies dabei auf die Situation der Beschäftigten des Landes: Jedes Jahr verlieren Berlins Behörden rund 4.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, bis 2031 betrifft das ein Drittel aller. Also werden in der Finanzverwaltung bereits konkrete Schritte getan in Richtung Digitalisierung, Automatisierung, neuer Arbeitsverfahren (New Work) und Reduzierung angemieteter Büroflächen. Im Umgang mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Berliner Verwaltung sieht der Finanzsenator einen entscheidenden Unterschied zu den „Sarrazin-Jahren“ – ging es damals darum, Personal flächendeckend loszuwerden, muss heute um jeden gekämpft werden, was auch eine Modernisierung des Laufbahnrechts bedeute und, ja, auch eine bessere Bezahlung. Die Ausgabenkürzungen werden nicht über eine Senkung der Personalkosten gelöst, das ist eine Aussage, die in Erinnerung bleiben wird. Reizvolle Herausforderung Neben kurzfristigen Hausaufgaben bei der Budget- erstellung sieht Evers weitere Potenziale in der Entbürokratisierung, einer generellen Verwaltungsreform und der Suche nach neuen Finanzierungsmodellen. Konkret wurde er beim Verweis auf Möglichkeiten der landeseigenen Unternehmen, eigene Kredite für Zukunftsinvestitionen aufzunehmen. Ob eine Reform der Schuldenbremse, wie sie der Regierende Bürgermeister, Kai Wegner, fordert, helfen würde, fragte Unternehmer Thomas Letz. Kurzfristig nicht, antwortete Evers. Die Schuldenbremse verhindere auch nicht Investitionen, wie man am Rückkauf der Fernwärme beobachten konnte. Auf die Frage des Gastgebers Jan Eder, ob angesichts der Umstände der Job überhaupt noch Spaß mache, reagierte der Finanzsenator gelassen: Schönwettersegeln könne jeder. Man merkte dem 44-jährigen Politiker an, dass ihn die Herausforderung tatsächlich reizt. An der klaren Abgrenzung zu seinem Vorvorvorgänger im SPD-PDS-Senat merkte man auch, dass ihn die Sarrazin-Vergleiche eher stören und er sich einen eigenen Namen machen will, eher als Modernisierer denn als Kahlschlagsanierer. Und erst recht nicht als Hiob. ■ FOTOS: AMIN AKHTAR Zum Thema Fachkräfteeinwanderung meldete sich Sevgi Kalycı von der Türkisch-Deutschen IHK in der Fragerunde zu Wort Zinsbelastung Prognosen zufolge sollen die Zinsausgaben des Landes Berlin bis zum Jahr 2027 um gut 70 Prozent auf insgesamt 1,63 Mrd. Euro steigen. Wirtschaftspolitisches Frühstück | 15 Berliner Wirtschaft 07-08 | 2024

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