Berliner Wirtschaft Juli/August 2024

IHK-Gast Finanzsenator Stefan Evers über den Haushalt der Hauptstadt Seite 14 Gründerinnen DeepTech-Start-ups: Netzwerke fördern Frauen an der Spitze Seite 44 IHK-Kongress Interview mit Experte Carlos Moreno 15-Minuten-Stadt „Weltmetropole.Berlin leben & gestalten“ Seite 18 Anpacken! Berlins Unternehmen brauchen dringend Fachkräfte. Tanja Schirmann von Plischka Möbeltransporte geht dafür weite Wege – bis nach Afrika Seite 22, Interview Seite 30 Das Magazin der Industrie- und Handelskammer zu Berlin 07-08/2024 ihk.de/berlin

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Berliner Wirtschaft 07-08 | 2024 Sebastian Stietzel ist Präsident der IHK Berlin und Geschäftsführer der Marktflagge GmbH, Management & Investments Personalverantwortliche sind aktuell nicht zu beneiden: Sie suchen Auszubildende, die tatsächlich am ersten Arbeitstag erscheinen. Oder sie suchen Fachkräfte in der Hoffnung, dass diese nach dem Onboarding nicht gleich wieder abgeworben werden. Fachkräftesicherung ist also das Gebot der Stunde – und unser Fokus-Thema in dieser Ausgabe (S. 22). Zunehmend suchen auch die Chefs oder Chefinnen selbst: Nach unseren Schätzungen brauchen rund 8.600 Berliner Unternehmen in den nächsten zwei Jahren eine Nachfolgeregelung. Das Lebenswerk in andere Hände zu geben, ist schwierig genug. Diese Hände zu finden, wenn es keine familiäre oder innerbetriebliche Lösung gibt, ist häufig die größere Herausforderung. Auf der anderen Seite finden Nachfolge-Interessierte kein passendes Unternehmen. Für beide Seiten gibt es gute Nachrichten: Die IHK Berlin hat gemeinsam mit Handwerkskammer, Bürgschaftsbank und Senat die erste Berliner Nachfolgezentrale ins Leben gerufen. Sie soll die Matching-Lücke schließen und wie ein Brückenbauer moderne Geschäftsmodelle und Tradition verbinden (S. 17). Das hilft den Abgebenden, den Nachfolgern – und dem Wirtschaftsstandort. Ihr Digitalisierung Offene Quellcodes bieten großes Potenzial für Innovation und Verwaltungs-IT. Deutlich wurde dies beim ersten „Berliner Open Source Tag“ in der IHK Berlin, wo auch Best Practices aus anderen Bundesländern vorgestellt wurden. Seite 16 Die „Berliner Wirtschaft“ gibt es auch online: ihk.de/berlin/ berliner-wirtschaft.de Neue Wege zu Azubi, Fachkraft oder Nachfolge ZEICHNUNG: ANDRÉ GOTTSCHALK; TITEL: AMIN AKHTAR Editorial | 03

? Politikgespräch Finanzsenator Stefan Evers erläuterte beim Wirtschaftspolitischen Frühstück der IHK die Haushaltslage der Stadt 14 22 Fachkräftesicherung Viele Berliner Betriebe können Positionen kaum besetzen. Gefragt sind innovative Wege, um die Leerstellen zu füllen BRANCHEN 34 Standort Wie sich der Abschied der Galeries Lafayette auf Mitte auswirkt – drei Statements aus der Nachbarschaft 39 Start-up Meike Radünz, Hebamme und Mitgründerin von myEphelia, über ihre Geschäftsidee 40 Biotechnologie Neue Organe aus dem 3-D-Drucker sind das Ziel des Berliner Start-ups Cellbricks 43 Biodiversität Zum Berliner Bündnis für Artenvielfalt gehört UPS in Reinickendorf – ein Besuch 44 Female Founding DeepTech-Start-ups gelten als Männerdomäne – mit gezielten Initiativen fördert die IHK Berlin Gründerinnen AGENDA 10 Sommerfest Rund 2.000 Gäste trafen sich beim Event der IHK Berlin 13 Kolumne Plädoyer für bessere Bildung von Dr. Christian Matschke 14 Politikgespräch Finanzsenator Stefan Evers zu Gast im Ludwig Erhard Haus 16 Digitalisierung „Berliner Open Source Tag“ in der IHK verdeutlicht Vorteile 17 Unternehmensnachfolge Neue Anlaufstelle unterstützt Firmenchefs beim Matching 18 Stadtentwicklung Interview mit Carlos Moreno zur 15-Minuten-Stadt 20 Wohnungsbau IHK unterstützt Gesetz zur Beschleunigung der Verfahren 21 Energiewende IHK-Ausschüsse diskutierten mit der Wirtschaftssenatorin FOKUS 22 Fachkräftesicherung Um personelle Lücken zu schließen, gehen Berlins Unternehmen zum Teil unkonventionell vor. Auch die IHK sieht noch Potenziale 26 Unternehmenspraxis Ein Ziel, verschiedene Wege: Terratalent, Metre und Obeta 30 Interview Das Familienunternehmen Plischka rekrutiert Azubis in Simbabwe. Unkompliziert sei das nicht gewesen, sagt Geschäftsleiterin Tanja Schirmann, aber „die Motivation stimmte“ Berliner Wirtschaft 07-08 | 2024 Inhalt | 04 Tanja Schirmann Geschäftsleiterin Plischka Wenn alle Seiten sich bemühen, kann die Zusammenarbeit vieler Nationen sehr gut funktionieren.

Sommerfest Event der IHK Berlin bringt Wirtschaft und Politik zusammen 10 FACHKRÄFTE 46 Ausbildungsumfrage Bilanz zeigt, dass Besetzung von Azubi-Stellen noch schwieriger geworden ist 48 Talente Wie die Integration von Geflüchteten erfolgreich gelingen kann 49 Ausbildungsmarketing „Gönn dir Gastro“: Betriebe können Workshops für potenzielle Azubis anbieten 50 Verbundberatung Netzwerk zieht nach zehn Jahren erfolgreiche Bilanz 51 IHK-Festival Wirtschaft stellt die Stärkung der Bildung in den Fokus 52 Digitale Bildung IHK-Digital-Education-Lab entführt in virtuelle Welten 54 Wohnheime In Mitte entstehen bezahlbare Unterkünfte für Azubis SERVICE 56 Digitalisierung Blick auf die Möglichkeiten der Open-Source-Hardware 58 Beratung Was zu tun ist, wenn im Unternehmen plötzlich der Chef ausfällt 59 Unternehmensführung Ein Beirat unterstützt bei strategischen Fragen die GIG Unternehmensgruppe 60 IT-Sicherheit Wie Unternehmen sich vor Cyberattacken schützen 62 Konfliktbeilegung Deutsche Bahn AG setzt unter anderem auf Mediation 03 Editorial | 06 Entdeckt | 55 Seminare | 63 Impressum 65 Gestern & Heute | 66 Zu guter Letzt Schreiben Sie uns Worüber möchten Sie in der „Berliner Wirtschaft“ informiert werden? Senden Sie Ihre Anregungen per Mail an: bw-redaktion@berlin.ihk.de ILLUSTRATION: GETTY IMAGES/DIGITAL VISION VECTORS/MATHISWORKS, GETTY IMAGES/MOMENT/OLGA SILETSKAYA; FOTOS: AMIN AKHTAR (2), JENS AHNER Berliner Wirtschaft 07-08 | 2024 Inhalt | 05 das uns! Überlassen Sie Professionelle Entsorgungslösungen für: Gewerbeabfälle Bedarfsgerechte Konzepte zur Erfassung Ihrer gemischten Gewerbeabfälle – entsprechend der Gewerbeabfallverordnung Altpapier Beste Preise für Industrie, Handel, Gewerbe, Wohnungswirtschaft und Privathaushalte Gewerbefolien Kostengünstige und umweltgerechte Wertstoffentsorgung Andere Abfälle Zuverlässige Erfassung aller anderen Abfälle zur Verwertung (Glas, Holz, Schrott, E-Schrott) Bartscherer & Co. Recycling GmbH Montanstraße 17-21 13407 Berlin Tel: (030) 408893-0 Fax: (030) 408893-33 www.bartscherer-recycling.de Bestellungen direkt im Onlineshop. Günstige Pauschalpreise für Umleerbehälter von 240 l bis 5,5 cbm.

FOTO: ULRICH SCHUSTER Berliner Wirtschaft 07-08 | 2024 Entdeckt | 06

Ein junger Designer, der nicht in der schnelllebigen Fashion-Branche arbeiten will, und ein ökologisch denkender Betriebswirtschaftler – die Basis einer nachhaltigen Geschäftsidee. Modemacher Nils Neubauer und sein guter Freund Michael Pfeifer gründeten 2020 Moot, was für „Made out of Trash“ steht. Sie verwenden nur Stoffe, die schon mal im Umlauf waren. Aus Bettwäsche etwa werden Kleider, wie sie Mitarbeiter Marc Fleming (Foto) gerade im Atelier in Neukölln bearbeitet. Dort landen die gesammelten Textilien, und die Designs entstehen. Der komplette Upcycling-Prozess ist in Berlin angesiedelt. Genäht wird in Pankow, auch in sozialen Einrichtungen, verkauft online und im hiesigen Flagship-Store. Ein Teil des Sortiments, vor allem ein Stoffbeutel, geht auch an Buchhandelsketten in Deutschland und Österreich. Klug aus der Wäsche gucken Entdeckt | 07 Berliner Wirtschaft 07-08 | 2024

kopf oder zahl Leonard Cernko Dr. Helena Melnikov hat die Leitung des The Ritz-Carlton, Berlin, von Torsten Richter übernommen. Der Österreicher war zuvor für renommierte Häuser wie das The Ritz-Carlton, Moskau, das Portman Ritz-Carlton in Schanghai oder das Hotel Adlon Kempinski in Berlin tätig. Zuletzt war Leonard Cernko General Manager im The St. Regis Astana. wird zum 1. Januar neue Hauptgeschäftsführerin der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). Die promovierte Volljuristin tritt die Nachfolge von Martin Wansleben an, der nach 23 DIHK-Jahren in den Ruhestand wechseln wird. Melnikov ist noch Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik. 60 Millionen Euro hat Siemens Energy im Schaltwerk Spandau investiert. In der Fabrik wird nun nicht mehr das Treibhausgas Schwefelhexafluorid ausgestoßen. Bis zu 200 zusätzliche Mitarbeitende will das Unternehmen künftig an dem Standort beschäftigen. „Die organisierte Unzuständigkeit hat Berlin lange genug gelähmt. Unternehmen werden von Pontius zu Pilatus geschickt, um simpelste Verwaltungsanliegen zu erledigen. Es ist richtig, die organisatorischen Brüche zwischen den Legislaturperioden zu begrenzen, damit die Verwaltung nach einer Wahl zügig die Arbeit aufnehmen kann. Wenn die Strukturen noch zwischen Senats- und Bezirksebene synchronisiert werden, umso besser.“ Die geplante Neuordnung des Senats zur Stärkung der gesamtstädtischen Steuerung ist überfällig Von Pontius zu Pilatus gesagt Sebastian Stietzel, Präsident IHK Berlin FOTOS: DIHK/TRANG VU, JACKZ PRODUCTIONS, CHRISTIAN KIELMANN, GETTY IMAGES/OSAKAWAYNE STUDIOS Berliner Wirtschaft 07-08 | 2024 Kompakt | 08

0 5 10 15 20 2014 2016 2018 2020 2022 2024 in Prozent 3,9 1,1 7,1 2,1 17,6 3,9 % Preisanstieg für Wohngebäude wurden im Mai in Berlin verzeichnet. Patrick Schulze, IHK-Experte für Statistik Tel.: 030 / 315 10-226 patrick.schulze@berlin.ihk.de Anstieg der Baupreise verlangsamt Die Teuerungsrate für den Neubau von Wohngebäuden ist in Berlin in diesem Jahr unter die Marke von fünf Prozent gefallen berliner wirtschaft in zahlen Werden Kinder volljährig, ist das ein Grund zu feiern. Das Parkdeck Nord am Bahnhof Südkreuz wird 18, aber Feststimmung will nicht aufkommen. Der Bau liegt seit 2006 brach, ohne Zufahrt. Gebraucht wird er auch nicht, jedenfalls nicht zum Parken. Nun wollen der Bezirk Tempelhof-Schöneberg und die Bahn den betonierten Dornröschenschlaf beenden. Ein Architekturbüro erarbeitet ein Konzept. Es wird wohl ein Deck mit Park. bw Was finden Sie typisch? Schreiben Sie uns: bw-redaktion@berlin.ihk.de Park-Deck typisch berlin Preisanstieg jeweils im Vergleich zum Vorjahr in Prozent Grafik: BW Quelle: Amt für Statistik Berlin-Brandenburg Kompakt | 09 Wie können Unternehmen Schritt für Schritt nachhaltiger werden? Ein Routenvorschlag für die Reise. In 7 Schritten zur Nachhaltigkeit Z Wesentliche Themen: Welche sozialen und ökologischen Themen sind für Ihr Unternehmen besonders relevant? Beziehen Sie bei Ihrer Wesentlichkeitsanalyse Ihre wichtigsten Interessengruppen mit ein: Lieferant:innen, Kund:innen etc. Z Klimabilanz: Wo in Ihrem Betrieb oder in der Lieferkette entstehen die meisten Emissionen? Z Status quo: Machen Sie eine realistische Einschätzung – Wie gut performt Ihr Unternehmen in Ihren zuvor für wesentlich befundenen Themenfeldern? Beziehen Sie die Ergebnisse der Klimabilanz ein. Z Nachhaltigkeitskonzept – die Roadmap für Ihr Unternehmen: Konkrete Ziele, Maßnahmen, Zeitplan und Verantwortlichkeiten festlegen. Z Nachhaltiges Management: Überlassen Sie nichts dem Zufall. Legen Sie personelle Verantwortlichkeiten fest und/oder implementieren Sie ein Nachhaltigkeitsmanagementsystem. Z Nachhaltigkeitsbericht: Informieren Sie über ökologische und soziale Aspekte Ihres Handelns. Beim Einstieg hilft der Deutsche Nachhaltigkeitskodex. Z Kommunikation: Sprechen Sie mit Ihren Zielgruppen transparent über Nachhaltigkeit, um Vertrauen zu schaffen. So inspirieren Sie auch andere. Sie wollen Ihre eigene Reise in Richtung Nachhaltigkeit starten? Nutzen Sie die kostenfreie Einstiegsberatung und buchen Sie einen Termin auf nawi.berlin. gefördert durch: Wir beraten Sie gerne persönlich: Annelie Geipel | Verbundprojektleitung E- Mail: nawi@bnw-bundesverband.de Telefon: +49 152 087 07 373 - Anzeige -

Berliner Wirtschaft 07-08 | 2024 agenda 1 2 3

Sommerfest | 11 Berliner Wirtschaft 07-08 | 2024 E s hatte fast schon etwas von Fanmeile, als sich die Gäste des Sommerfestes der IHK Berlin auf der gesperrten Fasanenstraße zum Feiern einfanden. Zugegeben, mit etwa 2.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Wirtschaft, Politik und Verbänden reichte die Größenordnung zwar nicht ganz an die rund 70.000 Fußballfans heran, die sich üblicherweise in 3,46 Kilometern Entfernung (Luftlinie) zu den Spielen der deutschen Nationalmannschaft bei der EM versammelten. Dafür wählte man aber klugerweise einen spielfreien Tag, sodass sich die Besucherinnen und Besucher des Sommerfestes nicht zwischen zwei Top-Events entscheiden mussten. Dementsprechend nutzten viele Senatsmitglieder die Gelegenheit, sich bei frischen 18 Grad Lufttemperatur mit anwesenden Unternehmensvertreterinnen und -vertretern auszutauschen. Den Wert dieses Austauschs unterstrichen in ihren Begrüßungen auch unisono der Regierende Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, und IHK-Präsident Sebastian Stietzel. Letzterer betonte in seiner Ansprache, wie wichtig es für Berlin sei, die Potenziale der Stadt zu heben. Dem verbreiteten Zukunftspessimismus müsste entgegengetreten werden, schließlich wachse Berlin über dem Bundesdurchschnitt. Die Transformation der Stadt bleibe eine gemeinsame Aufgabe von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, so der IHK-Präsident weiter. Die Hausaufgaben des Senats auf dem Weg dorthin sprach der Regierende Bürgermeister selbst an: Verwaltungs- reform, Sicherheit, ein funktionierender Rechtsstaat und vor allem Bildung. Rund 2.000 Gäste folgten der Einladung der IHK zum Fest an der Fasanenstraße, bei dem es auch um die Hausaufgaben für die Stadt ging von Dr. Mateusz Hartwich Politik zu Gast bei der Wirtschaft 1 Zur Begrüßung betonte IHK-Präsident Sebastian Stietzel die Bedeutung des Austauschs zwischen Wirtschaft und Politik für die Entwicklung der Stadt 2 Feste Größe im Wirtschaftsleben der Hauptstadt: Unternehmer Stephan Schwarz, ehemaliger Wirtschaftssenator und früherer Präsident der Handwerkskammer Berlin 3 Bildungssenatorin Katharina Günther- Wünsch im Gespräch mit Alexander Schirp, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der UVB 4 Regelmäßiger Gast im Ludwig Erhard Haus: Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey beim Sommerfest 5 Engagiert in der IHK Berlin: Unternehmer und Präsidiums- mitglied Birol Becer im Gespräch Vor dem Hintergrund der schwierigen Haushaltslage gab Wegner ein klares Bekenntnis dazu ab, dass im Bildungsbereich nicht gespart wird. Bei den anwesenden Unternehmensvertreterinnen und -vertretern kam auch gut an, dass Wegner angesichts der umstrittenen Ausbildungsplatz- umlage zusicherte, Chancen für junge Menschen seien wichtiger als eine bürokratische Umlage. Im Rahmen des Bündnisses für Ausbildung sollen 2.000 zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen werden. Das gehe nur gemeinsam, nicht gegenein- ander. „Berlin macht Lust auf mehr“, rief der Regierende den Anwesenden zu und versprach, dass man beim nächsten Sommerfest die beschlossene Verwaltungsreform feiern werde. » FOTOS: JENS AHNER (3), KONSTANTIN GASTMANN 4 5

FOTOS: KONSTANTIN GASTMANN (2), JENS AHNER, INES HASENAU AGENDA | Sommerfest | 12 Berliner Wirtschaft 07-08 | 2024 1 3 2 Vor dem Sommerfest ging es bei der Vollversammlungssitzung der Industrie- und Handelskammer thematisch zur Sache. Die Konjunkturlage sei wenig optimistisch, betonte IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder. Vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen in der Fiskalpolitik drohe gar die Rückkehr der Sarrazin-Jahre (siehe S. 14/15). Präsident Sebastian Stietzel blickte zurück auf zahlreiche IHK-Aktivitäten der vergangenen Monate wie den großen Stadtentwicklungskongress mit mehr als 500 Teilnehmern (siehe S. 18/19). Um den Blick nach vorn ging es auch bei der Präsentation des Zukunftsbildprozesses der IHK, bei dem in mehreren Workshops im ersten Halbjahr 2024 Visionen für die Weltmetropole Berlin 2035 erarbeitet wurden. Diese wurden von der Vollversammlung mit großer Mehrheit beschlossen, nun sollen Maßnahmen in einem partizipativen Prozess abgeleitet werden. Um Beteiligung wurden die Unternehmerinnen und Unternehmer auch bei der Erarbeitung der wirtschafts- und europapolitischen Positionen der DIHK gebeten, die mit Blick auf die Bundestagswahl im kommenden Jahr bis zur nächsten Sitzung der DIHK-Vollversammlung in diesem Jahr Ende November finalisiert werden sollen. ■ 1 Geselliger Austausch: der Regierende Bürger- meister, Kai Wegner, IHK-Vizepräsident Robert Rückel, IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder und IHK-Präsident Sebastian Stietzel (v. l.) beim Sommerfest 2 Pius Okaba, Gründer und Geschäftsführer der Produktionsfirma Valu GmbH (r.), mit Solomon Madu (HDI-Versicherungen) 3 Bezirkspolitik trifft Wirtschaft: Jörn Oltmann (Grüne), Bürgermeister von Tempelhof-Schöneberg, im Gespräch Vollversammlung diskutiert Zukunftsbild Neben den zahlreichen IHK-Aktivitäten ging es in der Sitzung Anfang Juli um die finanziellen Herausforderungen Berlins Vollversammlungssitzung: Beschlossen wurde das Leitbild zur Weltmetropole Berlin 2035

Bildung ist der Motor der Wirtschaft Für ein zukunftsfähiges und lebendiges Berlin braucht die Stadt eine starke Bildungsinfrastruktur: für die Unternehmen, für die Gesellschaft und für jeden Einzelnen B erlin ist eine Stadt der Vielfalt, der Innovation und des Wachstums. Um diese Dynamik nachhaltig zu gestalten, ist eine Ressource entscheidend: Bildung. Sie ist der Schlüssel zur persönlichen Entwicklung und der Motor unserer Wirtschaft. In einer sich rasant verändernden Welt, die von technologischem Fortschritt und globaler Vernetzung geprägt ist, braucht Berlin eine starke Bildungsinfrastruktur. Von einer soliden Schulbildung bis hin zu exzellenten Hochschulen und Forschungseinrichtungen – insbesondere die MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) spielen dabei eine entscheidende Rolle. Sie bilden das Rückgrat vieler innovativer Branchen, die Berlin prägen. Ein weiteres zentrales Element ist die berufliche Bildung. Das duale Ausbildungssystem verbindet theoretisches Wissen mit praktischer Erfahrung und bereitet optimal auf die Arbeitswelt vor. Berlin muss hier Vorreiter bleiben und weiter in die Qualität und Attraktivität der Ausbildungsberufe investieren, um qualifizierte Fachkräfte und sichere berufliche Perspektiven zu gewährleisten. Bildung endet nicht mit der Berufsausbildung. Lebenslanges Lernen ist unerlässlich. Die IHK Berlin hält zahlreiche Weiterbildungsangebote bereit, um den aktuellen und zukünftigen Anforderungen des Arbeitsmarktes gerecht zu werden. Unternehmen werden dabei unterstützt, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fit für die Zukunft zu machen. Bildung ist aber auch ein gesellschaftliches Gut. Eine gut ausgebildete Bevölkerung trägt zum sozialen Zusammenhalt, zur kulturellen Vielfalt und zur demokratischen Teilhabe bei. Sie fördert kritisches Denken, Kreativität und Innovationskraft – unverzichtbare Eigenschaften für eine lebendige und zukunftsfähige Stadt wie Berlin. Investitionen in Bildung sind Investitionen in die Zukunft Berlins. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sind gleichermaßen gefordert, ihren Beitrag zu leisten, um diese Zukunft erfolgreich zu gestalten. Nur gemeinsam können wir sicherstellen, dass Berlin auch in den kommenden Jahrzehnten ein attraktiver, innovativer und wirtschaftlich starker Standort bleibt. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass Bildung zum Leuchtturm wird, der Berlin in eine erfolgreiche Zukunft führt. ■ Meinung In der Kolumne „Auf den Punkt“ positionieren sich im monatlichen Wechsel Mitglieder des Präsidiums zu wirtschaftspolitischen Fragestellungen aus ihrer persönlichen Sicht. präsidiumsmitglieder beziehen stellung Dr. Christian Matschke ist Vorstand für Technical Operations bei der Berlin- Chemie AG und Mitglied des Präsidiums der IHK Berlin FOTO: INES HASENAU/IHK BERLIN Auf den Punkt | 13 Berliner Wirtschaft 07-08 | 2024

Hart, aber fair ging es beim morgendlichen Termin mit Stefan Evers zu. Ohne zu beschönigen, versuchte der Finanzsenator, für etwas Optimismus zu sorgen von Dr. Mateusz Hartwich „Gute Zeit für Innovationen“ Kein Schönwettersegler: Finanzsenator Stefan Evers zu Gast bei der IHK Berlin AGENDA | Wirtschaftspolitisches Frühstück | 14 Berliner Wirtschaft 07-08 | 2024

E in Gespenst geht um in Berlin, es ist das Gespenst der „Sarrazin-Jahre“. Von „Sparen, bis es quietscht“ wie Anfang der 2000er-Jahre möchte offiziell noch niemand sprechen, aber die koalitionsinterne Auseinandersetzung um die „Pauschalen Minderausgaben“ im laufenden Haushalt hat gezeigt, wie eng die Spielräume sind. Einen zusätzlichen Schlag ins Kontor brachten die Ergebnisse des Zensus. Demnach hat Berlin rund 130.000 Einwohner weniger als gedacht, das bedeutet strukturelle Steuermindereinnahmen (rückwirkend ab 2022) von rund 450 Mio. Euro im Jahr, bis 2028 erhöht sich die Summe auf rund 550 Mio. Euro jährlich. Wer solche erschreckenden Botschaften in die Öffentlichkeit tragen muss, kann nicht ohne Grund „Berlins Hiob“ genannt werden („taz“). Und Finanzsenator Stefan Evers (CDU) nahm sich seiner Rolle beim Wirtschaftspolitischen Frühstück der IHK Berlin offensiv an, versuchte aber zeitgleich, für etwas Optimismus zu sorgen. Strukturell ausgeglichenen Haushalt im Blick In der frühmorgendlichen Diskussionsrunde mit IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder und 180 Unternehmensvertreterinnen und -vertretern ging es gleich hart, aber fair zur Sache. Drohen Steuererhöhungen oder gar eine Haushaltssperre? Die Einnahmenseite sei nicht das Problem, betonte Evers mehrfach, es sind die Ausgaben, die auf ein Normalmaß – also vor der Polykrise von Pandemie, Krieg und Inflation – zurückgefahren werden müssten. Um zu einem strukturell ausgeglichenen Haushalt zurückzukehren, müssen dauerhaft fünf Mrd. Euro eingespart werden, dazu wird der Staat auf seine Kernaufgaben reduziert werden müssen, von einigem „nice to have“ wird man sich verabschieden müssen. Ganz ehemaliger Unternehmensberater, wollte der CDU-Politiker diese Lage nicht als „game over“ deuten, sondern als potenziellen Gamechanger. Kein Geld, keine Zeit und keine Leute? Das sind beste Voraussetzungen für Innovationen, unterstrich Evers. Er verwies dabei auf die Situation der Beschäftigten des Landes: Jedes Jahr verlieren Berlins Behörden rund 4.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, bis 2031 betrifft das ein Drittel aller. Also werden in der Finanzverwaltung bereits konkrete Schritte getan in Richtung Digitalisierung, Automatisierung, neuer Arbeitsverfahren (New Work) und Reduzierung angemieteter Büroflächen. Im Umgang mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Berliner Verwaltung sieht der Finanzsenator einen entscheidenden Unterschied zu den „Sarrazin-Jahren“ – ging es damals darum, Personal flächendeckend loszuwerden, muss heute um jeden gekämpft werden, was auch eine Modernisierung des Laufbahnrechts bedeute und, ja, auch eine bessere Bezahlung. Die Ausgabenkürzungen werden nicht über eine Senkung der Personalkosten gelöst, das ist eine Aussage, die in Erinnerung bleiben wird. Reizvolle Herausforderung Neben kurzfristigen Hausaufgaben bei der Budget- erstellung sieht Evers weitere Potenziale in der Entbürokratisierung, einer generellen Verwaltungsreform und der Suche nach neuen Finanzierungsmodellen. Konkret wurde er beim Verweis auf Möglichkeiten der landeseigenen Unternehmen, eigene Kredite für Zukunftsinvestitionen aufzunehmen. Ob eine Reform der Schuldenbremse, wie sie der Regierende Bürgermeister, Kai Wegner, fordert, helfen würde, fragte Unternehmer Thomas Letz. Kurzfristig nicht, antwortete Evers. Die Schuldenbremse verhindere auch nicht Investitionen, wie man am Rückkauf der Fernwärme beobachten konnte. Auf die Frage des Gastgebers Jan Eder, ob angesichts der Umstände der Job überhaupt noch Spaß mache, reagierte der Finanzsenator gelassen: Schönwettersegeln könne jeder. Man merkte dem 44-jährigen Politiker an, dass ihn die Herausforderung tatsächlich reizt. An der klaren Abgrenzung zu seinem Vorvorvorgänger im SPD-PDS-Senat merkte man auch, dass ihn die Sarrazin-Vergleiche eher stören und er sich einen eigenen Namen machen will, eher als Modernisierer denn als Kahlschlagsanierer. Und erst recht nicht als Hiob. ■ FOTOS: AMIN AKHTAR Zum Thema Fachkräfteeinwanderung meldete sich Sevgi Kalycı von der Türkisch-Deutschen IHK in der Fragerunde zu Wort Zinsbelastung Prognosen zufolge sollen die Zinsausgaben des Landes Berlin bis zum Jahr 2027 um gut 70 Prozent auf insgesamt 1,63 Mrd. Euro steigen. Wirtschaftspolitisches Frühstück | 15 Berliner Wirtschaft 07-08 | 2024

FOTO: JENS AHNER/IHK BERLIN Beim ersten „Berliner Open Source Tag“ in der IHK erörterten 120 Gäste aus Verwaltung und Wirtschaft die Chancen quelloffener Software von Henrik Holst Souverän mit offenem Quellcode Unter dem Motto „Gemeinsam digital & souverän“ loteten knapp 120 Gäste aus Verwaltung und Wirtschaft am 19. Juni beim ersten „Berliner Open Source Tag“ im Ludwig Erhard Haus die Chancen quelloffener Software für die Verwaltungs-IT von Berlin aus. Vorgestellt wurden in dem ganztägigen Konferenzprogramm auch spannende Open-Source -Projekte aus anderen Bundesländern. Open Source bezeichnet Software, deren Quellcode öffentlich zugänglich ist und die dadurch Transparenz, größere Anbieterunabhängigkeit und die Stärkung der digitalen Souveränität fördert. Programme und Prozesse lassen sich vereinfacht und individuell an die eigenen Bedürfnisse anpassen und weiterentwickeln. Der Kunde beziehungsweise Anwender behält dadurch die Hoheit über seine Software-Architektur – was besonders für die Digitalisierung in Behörden attraktiv ist. IHK-Präsident Sebastian Stietzel eröffnete den Tag mit den Worten: „Open Source bietet viele Vorteile, beispielsweise bei der Beschleunigung der Verwaltungsdigitalisierung oder auch zur Stärkung von IT-Innovationen und Wertschöpfung der Berliner Digitalwirtschaft.“ Open Source lebe dabei insbesondere von offener Kooperation und Austausch. „Deshalb freut es uns, dass wir als IHK mit dem Open Source Tag eine Plattform schaffen können, um Wirtschaft und Verwaltung in Kontakt zu bringen“, so Stietzel. Mit Vorträgen von der Technologiestiftung, dem ITDZ, der Open Source Business Alliance sowie mit Best-Practice-Beispielen zu Einsatzfeldern von Open Source in den Landesverwaltungen von Thüringen und Schleswig-Holstein bot das ganztägige Programm den Teilnehmenden einen Überblick, was mit Open Source alles möglich ist. Zugleich wurden Impulse für die landeseigene Open-Source-Strategie gesetzt, die der Senat in diesem Jahr entwickeln und damit die digitale Souveränität in der Berliner Landes-IT stärken will. ■ Open Source Tag der IHK: Anne Lolas, stellvertretende Vorständin des ITDZ, im Gespräch Henrik Holst, IHK-Public-Affairs- Manager Digitalpolitik und digitale Infrastruktur Tel.: 030 / 315 10-623 henrik.holst@berlin.ihk.de Sebastian Stietzel Präsident IHK Berlin Open Source bietet viele Vorteile, etwa bei der Beschleunigung der Verwaltungsmodernisierung. AGENDA | Digitalisierung | 16 Berliner Wirtschaft 07-08 | 2024

Nachfolgezentrale: Neues Angebot von IHK Berlin, Handwerkskammer, Senatsverwaltung und Bürgschaftsbank hilft beim Matching von Dr. Mateusz Hartwich Eine Brücke gegen die Lücke gebote, etwa die bundesweite Nachfolgebörse. Neben der Beratung steht vor allem das Matching im Fokus der neuen Plattform. Mit Unterstützung einer hierfür konzipierten Matching-Datenbank bringen die Mitarbeitenden der Nachfolgezen- trale die Unternehmen auf Nachfolgesuche und Nachfolge-Interessierte zusammen. Vertraulichkeit sowie strikte Neutralität stehen dabei an oberster Stelle. Insgesamt sind drei Planstellen für die Nachfolgezentrale vorgesehen, die in den Räumlichkeiten der Bürgschaftsbank Berlin ab 1. August 2024 in vollem Umfang ihre Arbeit aufnehmen soll. Neben der Bank zählen die IHK Berlin, die Handwerkskammer und die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe zu den Initiatoren. Senatorin Franziska Giffey sagte dazu: „Für eine starke Berliner Wirtschaft werben wir international um neue Ansiedlungen, unterstützen Unternehmen beim Wachsen in unserer Stadt und wollen auch denjenigen helfen, die auf der Suche nach einer Nachfolge sind, um ihr Geschäft fortzuführen. Denn jede Geschäftsaufgabe bedeutet einen Verlust an Wirtschaftskraft, Arbeitsplätzen, Know-how und häufig auch Tradition.“ IHK-Präsident Stietzel betonte, dass sich Berlin nicht leisten könne, in den nächsten Jahren Tausende Unternehmen zu verlieren. „Die Nachfolgezentrale wird wie ein Brückenbauer fungieren, der moderne Unternehmer mit zeitgemäßen Geschäftsmodellen mit traditionellen Nachfolge- unternehmen verbindet und so die Lücke im schwierigen Matching-Prozess schließt.“ ■ Die Initiatoren (v. r.): IHK-Präsident Sebastian Stietzel, Carola Zarth (Handwerkskammer), Franziska Giffey und Steffen Hartung (Bürgschaftsbank) mit Unternehmer Bernhard Deutz (Klangwerkstatt, 2. v. l.) IHK-Service Mitglieds-Unternehmen können sich für eine Vermittlung vormerken lassen unter: ihk.de/berlin/ nachfolge-interesse F ür viele Unternehmerinnen und Unternehmer ist es nicht nur emotional ein schwieriges Thema: die Firma, oft das Lebenswerk, an die nächste Generation zu übergeben. In den nächsten zwei Jahren werden Schätzungen zufolge rund 8.600 Unternehmen in Berlin eine Nachfolgeregelung benötigen. 40 Prozent der betroffenen Unternehmen finden jedoch keine passende Nachfolgerin oder passenden Nachfolger, etwa in der eigenen Familie. Es droht die Geschäftsaufgabe. Eines der Haupthindernisse ist das Matching: Potenzielle Nachfolger und Unternehmen kommen nicht zusammen. Umfragen zufolge finden 43 Prozent der Nachfolge-Interessierten kein passendes Angebot. Hier setzt die Arbeit der Nachfolgezentrale an. Sie ergänzt vorhandene UnterstützungsanJana Pintz, IHK-Fachreferentin Unternehmensnachfolge Tel.: 030 / 315 10-582 jana.pintz@berlin.ihk.de FOTO: LEO SEIDEL Unternehmensnachfolge | 17 Berliner Wirtschaft 07-08 | 2024

Carlos Moreno ist bekannt für sein Stadtkonzept der kurzen Wege. Im Gespräch erläutert er, wie die Wirtschaft ihren Platz darin findet von Claudia Engfeld Carlos Moreno: Berlin ist strukturell schon eine Stadt der kurzen Wege. Außerdem gibt es in Berlin viel Natur. Das sind gute Ausgangsbedingungen, um den öffentlichen Raum weiterzuentwickeln. Und ich sehe gerade bei den jungen Leuten sehr viel Engagement dafür, die Kieze lebenswerter zu machen. Allerdings ist auch das Risiko der Gentrifizierung hoch. Stichwort Gentrifizierung: In Barcelona liest man von Widerstand gegen die sogenannten Superblocks im Zentrum, weil das Wohnen dort zwar jetzt attraktiver ist, aber auch viel teurer. Sind steigende Mieten eine zwangsläufige Folge des Stadtumbaus? Das stimmt, es gibt viele Diskussionen über die Superblocks in Barcelona. Aber Superblocks und das 15-Minuten-Konzept sind nicht ganz dasselbe. Die Superblocks sind eine lokal zentrierte Maßnahme. Bei der 15-Minuten-Stadt geht es um den Umbau der gesamten Stadt. Jedes Viertel soll lebenswerter werden. Das ist wichtig, um Gentrifizierungseffekte zu vermeiden. Prominenter Keynote Speaker beim Kongress der IHK: Carlos Moreno, Experte für Stadt- entwicklung Carlos Moreno Der Experte für Stadt- entwicklung ist Professor an der Sorbonne. Sein international erfolgreiches Buch zur 15-Minuten- Stadt erscheint im August erstmals auf Deutsch: „Die 15-Minuten-Stadt. Ein Konzept für lebenswerte Städte“ (Alexander Verlag Berlin, ca. 20 Euro). „Die Regionalisierung der Produktion finde ich sehr wichtig“ Das Konzept der 15-Minuten-Stadt kann nur funktionieren, wenn Wohnen, Arbeiten und Freizeit nicht in unterschiedlichen Vierteln angesiedelt sind. Damit rücken die Kieze stärker in den Fokus. Berliner Wirtschaft: Sie haben erzählt, dass Sie häufiger in Berlin sind. Wie sehen Sie Berlin in Bezug auf Ihr Konzept der 15-Minuten-Stadt? Berliner Wirtschaft 07-08 | 2024

Die Bürgermeisterin von Paris, Anne Hidalgo, gilt als bekannteste Umsetzerin Ihres Konzepts Welche Erfahrungen gibt es dort? Anne Hildago treibt den Umbau sehr zielstrebig und erfolgreich seit 2019 voran. Allerdings muss man bedenken, dass sie die Bürgermeisterin der Stadt Paris ist. Ihre Befugnisse enden am Stadtring. Jenseits des Rings gibt es im Großraum Paris elf Bezirke mit 132 Gemeinden, neun Millionen Einwohner mit einer anderen politischen Autorität. Umso glücklicher bin ich, dass die Präsidentin der Region Île-de-France sich jetzt auch für ein auf die Region angepasstes Modell der 15-Minuten-Stadt entschieden hat. Nun ist die Berliner Wirtschaft ein Wirtschafts- magazin, und unsere Leser werden fragen: Wo ist Platz für die Wirtschaft in einer 15-Minuten-Stadt? Das ist ein interessanter Punkt. Was wir nach der Pandemie nicht nur in Berlin, sondern auch in London, Paris, Madrid oder Lissabon sehen, ist ein Rückgang der Büronutzung. Immer mehr Menschen arbeiten zumindest tageweise remote. Nun ist Homeoffice nicht zwingend eine gute Sache, deshalb plädiere ich für sogenannte Intermediate Hubs in den Kiezen. Hier können die Leute remote arbeiten, sind nicht weit von zu Hause weg, und gleichzeitig wird dort die Infrastruktur vielfältiger. Und was ist mit dem produzierenden Gewerbe? Ein Industriebetrieb wird nicht in eine leer gezogene Büroetage passen. Die 15-Minuten-Stadt ist natürlich keine universelle Lösung für alle Herausforderungen in den Städten. Ich halte die Regionalisierung der Produktion für sehr wichtig. Das zeigen uns auch die Krisen der letzten Jahre. Wir müssen Made in Europe wiederbeleben. Wir dürfen dabei nur nicht die gleichen städtebaulichen Fehler machen wie im 20. Jahrhundert, als wir Wohnen, Arbeiten und Freizeit in unterschiedliche Viertel verbannt haben. Was meinen Sie: Wie viel Zeit braucht eine Stadt wie Berlin für den Wandel? Die Frage höre ich oft, und ich gebe immer die gleiche Antwort (lacht): Es geht nicht um die Anzahl der Jahre. Es geht um die Frage, wann wir anfangen wollen. Professor Moreno, vielen Dank für das Interview, und es war großartig, Sie auf unserem Kongress zu haben. Karina Stolte, IHK-Public- Affairs-Managerin Stadtentwicklung Tel.: 030 / 315 10-446 karina.stolte@ berlin.ihk.de Spannende Ausführungen zur Zukunft Berlins: Im gut besetzten Auditorium auch IHK-Präsident Sebastian Stietzel (2. v. r.) und IHK- Vizepräsident Robert Rückel (r.) Rund 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und der Stadtgesellschaft diskutierten beim Kongress „Weltmetropole.Berlin leben & gestalten“, der Mitte Juni in der IHK Berlin stattgefunden hat, über Zukunftsthemen wie Mobilität und Stadtentwicklung. Verkehrssenatorin Ute Bonde erläuterte ihre Ideen zur Gestaltung der Mobilitätswende, inklusive eines stärkeren Ausbaus des ÖPNV. Ein weiterer Schwerpunkt war die Verfügbarkeit von Gewerbeflächen. Die leidenschaftliche Debatte über die Zukunft des Tempelhofer Feldes zeigte gegensätzliche Visionen für die Nutzung der Fläche auf. Robert Rückel, Vizepräsident der IHK Berlin, betonte, dass die IHK Berlin sich auch zukünftig als Impulsgeber für die Wirtschaft der Hauptstadt dafür einsetzen wird, dass zentrale Themen der Stadtentwicklung auch weiterhin von den relevanten Akteuren adressiert werden. „Denn den komplexen Herausforderungen können wir nur begegnen, wenn wir alle an einem Strang ziehen“, so Rückel. stka Impulsgeber für die Wirtschaft Berlins Mit dem Kongress „Weltmetropole.Berlin leben & gestalten“ markierte die IHK Basis-Aspekte weiterer Stadtentwicklung FOTOS: KONSTANTIN GASTMANN/IHK BERLIN Stadtentwicklung Informationen und Positionen dazu auf der IHK-Website unter: ihk.de/berlin/ weltmetropole-berlin Stadtentwicklung | 19 Berliner Wirtschaft 07-08 | 2024

Berlin fehlt bezahlbarer Wohnraum. Ein von IHK und weiteren Partnern unterstütztes Gesetz soll Abhilfe schaffen von Peter Rau Schneller wohnen I n einer Metropole ist die Schaffung bezahlbaren Wohnraums eine zentrale Herausforderung. Ehemals bekannt für moderate Mieten, sieht sich Berlin mit einem akuten Wohnungsdefizit konfrontiert. Auch wenn laut aktuellem Zensus weniger Menschen in der Stadt leben als angenommen, reicht die Zahl von rund 157.000 neu entstandenen Wohnungen in den vergangenen zehn Jahren nicht aus, den Bedarf zu decken. Notwendig sind effektive Maßnahmen zur Beschleunigung des Bauprozesses. Das Schneller-Bauen-Gesetz, von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen erarbeitet und am 4. Juni 2024 im Senat vorgestellt, bietet eine vielversprechende Antwort auf diese drängende Problematik. Das Gesetz markiert einen bedeutenden Schritt in Richtung einer effizienteren Bauordnung Berlins. Es zielt darauf ab, bürokratische Hürden abzubauen und Planungs- sowie Genehmigungsprozesse zu vereinfachen. Eine klare Aufgabenverteilung zwischen Senatsverwaltungen und Bezirken sowie die Einführung von Leitfäden für Genehmigungsentscheidungen sollen für Transparenz und Schnelligkeit sorgen. Ein weiterer wesentlicher Punkt ist die Digitalisierung der Verwaltungsprozesse. Aktuell noch analoge Abläufe sollen modernisiert werden, um Verzögerungen durch aufwändige bürokratische Prozesse zu minimieren. Das Schneller-Bauen-Gesetz, unterstützt von Bau- und Immobilienverbänden sowie den Berliner Kammern, ist ein erster Schritt auf dem Weg zur Entspannung des Berliner Wohnungsmarkts. Es soll helfen, dass in Zukunft schneller und effizienter gebaut werden kann, um die dringend benötigten Wohnungen zu schaffen. Die IHK Berlin hat als Interessensvertretung ihrer Mitglieder aktiv an der Erarbeitung mitgewirkt. ■ Partner Verbände und Kammern, die das Schneller-Bauen- Gesetz unterstützen: IHK Berlin Bauindustrieverband Ost BBU Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmer BFW Landesverband Berlin/Brandenburg Fachgemeinschaft Bau Handwerkskammer Berlin UVB Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg Das Schneller-Bauen- Gesetz soll auch die Verfahren beschleunigen, damit sich Baukräne in Berlin eher drehen FOTOS: GETTY IMAGES/MOMENT RF/FHM, FOTOSTUDIO CHARLOTTENBURG Gesetz Weitere Informationen zu den Inhalten des Gesetzes unter: schnellerbauen.berlin Peter Rau, IHK-Public-Affairs-Manager Stadtentwicklung Tel.: 030 / 315 10-608 peter.rau@berlin.ihk.de AGENDA | Wohnungsbau | 20 Berliner Wirtschaft 07-08 | 2024

Ausschusssitzung mit Senatorin: Franziska Giffey skizzierte die Ziele der Energiewende und hob die wichtige Rolle der Berliner Wirtschaft hervor. Die aber braucht bessere Rahmenbedingungen von Andreas Kubala Klimaneutralität im Fokus B erlin hat ehrgeizige Ziele: Bis 2045 soll die Stadt klimaneutral sein. Doch die Herausforderungen in den Bereichen Energie, Stadtentwicklung und Mobilität sind komplex und erfordern gemeinsame Anstrengungen. Daher trafen sich drei Ausschüsse der IHK Berlin (Vernetzte & ökologische Stadt, Wachsende & lebendige Stadt, Mobile Stadt) gemeinsam, um die Bedingungen für das Gelingen der Energiewende zu diskutieren. Zunächst standen die aktuellen Themen und Aktivitäten im Blickpunkt, die von den jeweiligen Ausschussvorsitzenden vorgestellt wurden. Der Höhepunkt der Ausschusssitzung folgte im zweiten Teil: Zu Gast war Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey, um mit den Ausschussmitgliedern über die Herausforderungen zu diskutieren. Giffey skizzierte Meilensteine und Ziele der Berliner Energiewende, wobei sie auf die Bedeutung des Photovoltaik-Ausbaus, Geothermie-Potenziale und das Thema Windenergie einging. Ein besonderes Augenmerk legte die Senatorin in ihrer Keynote auf Infrastrukturthemen wie dem Umgang mit dem zurückgekauften Fernwärmenetz durch das Land Berlin sowie der geplanten Verdopplung der Stromnetz-Kapazität bis 2030. In der sich anschließenden Fragerunde betonte Giffey die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Politik. Mit Blick auf den Anspruch, die Energiewende bis spätestens 2045 umzusetzen, sehen sich die Unternehmen aktuell jedoch mit zu langen Genehmigungsverfahren und unzureichender Energie- und Ladeinfrastruktur konfrontiert. Die Berliner Wirtschaft ist bereit, ihren Beitrag zu leisten. Nun braucht es eine sachorientierte Zusammenarbeit von Politik, Verwaltung und Wirtschaft sowie eine ressortübergreifende Koordination, um die Berliner Energiewende nachhaltig zum Erfolg zu führen. ■ Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey sprach in der Sitzung über Meilensteine der Energiewende Ausschussvorsitzende: Bernhard Lemmé (Nenn Entsorgung, l.) und Lutz Wedegärtner (Remondis) Andreas Kubala, IHK-Public-Affairs-Manager Energie- und Klimaschutzpolitik Tel.: 030 / 315 10-758 andreas.kubala@berlin.ihk.de Energiewende | 21 Berliner Wirtschaft 07-08 | 2024

? Berliner Wirtschaft 07-08 | 2024 INHALT 26 Talente aus Ostafrika Arbeitskräfte aus vielen Teilen der Welt: Terratalent 28 Gebärden im Gartenbau Metre hat gute Erfahrungen mit der Inklusion Gehörloser 29 Botschafter für Azubis Obeta nutzt alle Kanäle zu neuen Auszubildenden 30 „Interkulturelles Engagement zahlt sich aus“ Im Interview: Tanja Schirmann, Plischka Möbeltransporte fokus

? ? ? Fachkräftesicherung | 23 Berliner Wirtschaft 07-08 | 2024 Arbeit sucht Kräfte Um Lücken in Belegschaften zu schließen, gehen Berlins Unternehmen auch unkonventionelle Wege. Die IHK Berlin sieht noch Beschäftigungspotenziale, die es dringend zu heben gilt von Almut Kaspar » ILLUSTRATION: GETTY IMAGES/DIGITAL VISION VECTORS/MATHISWORKS, GETTY IMAGES/MOMENT/OLGA SILETSKAYA Krankenhäuser und Altenheime mit viel zu wenigen Pflegekräften, Hotels und Gaststätten ohne Service- Personal, IT-Dienstleister, die händeringend nach Spezialisten suchen: Schon jetzt fehlen der Berliner Wirtschaft 90.000 Fachkräfte, bis 2035 könnte die Zahl laut IHK-Fachkräftemonitor sogar auf 414.000 ansteigen. Diesen Fachkräftemangel zu bekämpfen, sei eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Berliner Wirtschaft. „Schließlich riskiert der Standort Berlin mit unbesetzten Stellen nicht nur Stilllegungen und Wegzüge von Betrieben, sondern auch, dass die kritische Infrastruktur und Versorgung der Bürgerinnen und Bürger nicht sichergestellt sind.“ Weichen, die heute nicht gestellt würden, hätten morgen gravierende Folgen. Deshalb stünden die IHK Berlin und die anderen Wirtschaftsverbände bereit, zusammen mit dem Senat und den Arbeitsagenturen Potenziale im lokalen Arbeitsmarkt zu heben – zum Beispiel mit der beruflichen Eingliederung. Gut 200.000 Personen sind derzeit arbeitslos gemeldet, aber nur rund 12.260 davon nehmen aktuell an beruflichen Bildungsmaßnahmen teil. Zudem hat mehr als die Hälfte der Arbeitslosen keinen Berufsabschluss.

ILLUSTRATION: GETTY IMAGES/DIGITAL VISION VECTORS/MATHISWORKS, GETTY IMAGES/MOMENT/OLGA SILETSKAYA FOKUS | Fachkräftesicherung | 24 Berliner Wirtschaft 07-08 | 2024 „Hier sind Maßnahmen erforderlich, die zielgerichtet zum Berufsabschluss führen“, stellen die Verbände in ihrer Erklärung fest. Weiteres Potenzial sehen sie bei den 122.000 Berlinerinnen und Berlinern, die bislang noch ausschließlich einer geringfügigen Beschäftigung nachgehen, oder bei den knapp 508.500 Teilzeitbeschäftigten, denen Vollzeitbeschäftigung ermöglicht werden soll. Aber auch bei den rund 200.000 Studierenden, von denen gut 46.000 aus dem Ausland kommen – möglichst viele sollen nach dem Studium langfristig in Berlin gehalten werden. Vom Fachkräftemangel sind in der Hauptstadt insbesondere die Branchen Gesundheitswesen und Pflege, Informationstechnologie und Digitalisierung sowie Tourismus und Gastronomie betroffen. „Unter dem Mangel leidet aber so gut wie jedes Berliner Unternehmen, wenngleich natürlich in sehr unterschiedlicher Ausprägung“, sagt Nicole Korset-Ristic, Vizepräsidentin der IHK Berlin. „Dies wird vor allem dadurch deutlich, dass zwei von drei Unternehmen den Fachkräftemangel derzeit als größtes Geschäftsrisiko überhaupt bewerten.“ Jobmessen und Weiterbildung Mit einer Vielzahl an Initiativen und Maßnahmen hilft die IHK Berlin mit, die Fachkräftelücke zu schließen. Wie vielfältig die Angebote sind, verdeutlicht Vizepräsidentin Korset-Ristic an drei Beispielen: „Regelmäßig veranstalten wir Jobmessen für Geflüchtete, gemeinsam mit der Handwerkskammer und den Berliner Jobcentern. Wir setzen uns für ein zeitgemäßes und innovatives Weiterbildungsangebot sowie eine gute diesbezügliche Beratung ein – nicht zuletzt über unsere Plattform weiterbildung.berlin. Und zudem ermitteln und evaluieren wir durch Umfragen stetig die Bedarfe und konkreten Herausforderungen unserer Mitgliedsunternehmen, um deren Interessen bestmöglich gegenüber den politisch verantwortlichen Akteuren zu vertreten.“ So kam bei der jüngsten IHK-Umfrage heraus, dass der Mangel an Fachkräften bei den meisten Unternehmen – 43,7 Prozent von 590 befragten Berliner Firmen – durch das Ausscheiden von Mitarbeitenden in die Rente entsteht. 56,6 Prozent der Teilnehmenden wollen betriebliche Abläufe umstellen, damit weniger Personal benötigt wird. Unkonventionelle Methoden Um an dringend benötigte Fachkräfte zu kommen und sie zu halten, setzen Berliner Unternehmen sowohl auf bewährte als auch auf unkonventionelle Methoden – auf die Erhöhung ihrer Ausbildungsaktivitäten zum Beispiel, die Schaffung von inklusiven Arbeitsplätzen für Menschen mit Behinderung oder die gezielte Suche nach ausländischen Talenten. Die Charité Universitätsmedizin etwa, mit rund 20.000 Beschäftigten einer der größten Arbeitgeber Berlins, hat eine Stabsstelle Integration Pflege eingerichtet, um Fachkräfte für Gesundheitsfachberufe aus verschiedenen Ländern zu rekrutieren. „Vor Ort arbeiten wir mit Kooperationspartnern, Sprachschulen und Universitäten zusammen“, sagt Carla Eysel, Vorstand Personal und Pflege. „Unsere Stabsstelle begleitet die Rekrutierung, organisiert Interviews, unterstützt bei der Dokumentenbeschaffung, vermittelt Sprachkurse – der Integrationsprozess beginnt somit schon im Heimatland.“ In Berlin kümmere sich die Stabsstelle dann um sämtliche behördliche und administrative Prozesse, einschließlich Deutsch-B2-Kurs, Kenntnisprüfung oder Anpassungsqualifizierung. „Pro Jahr“, so Eysel, „rechnen wir mit 550 bis 600 Einreisen.“ Andere Unternehmen lassen Fachkräfte aus dem Ausland über spezialisierte Personalvermittlungsagenturen suchen. Zu den Leistungen solcher Agenturen gehören in der Regel das Recruiting, die Qualifizierung und die Integration der ausländischen Talente. Für Arbeitgeber aus dem Gesundheitswesen sind in Berlin zum Beispiel der Start Placement Service von Startcon oder die Agentur Careloop tätig, die Jobsuchende aus fernen Ländern mit hiesigen Unternehmen zusammenbringt. Einen anderen Ansatz verfolgt die Agentur Terratalent, die deutsche Auftraggeber mit Fachkräftepools in Schwellenländern vernetzt (s. S. 26). Geschäftsführer Burkhard Volbracht arbeitete vorher bei der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Berlin Partner, an der auch die IHK beteiligt ist. Sebastian Stietzel Präsident IHK Berlin Ohne qualifizierte Zuwanderung werden wir der massiven Herausforde- rung nicht begegnen können. ? 56,6 % der Teilnehmenden kündigen in der IHK-Umfrage an, betriebliche Abläufe so umzustellen, dass weniger Personal gebraucht wird. 43,7 % der Unternehmen geben in einer IHK-Umfrage das Ausscheiden in die Rente als Hauptgrund für Fachkräftemangel an.

Fachkräftesicherung | 25 Berliner Wirtschaft 07-08 | 2024 „Ich habe dort den internen Bereich Talent Service verantwortet“, sagt Volbracht, und in diesem Talent Service habe er maßgeblich den Business Immigration Service (BIS) beim Landesamt für Einwanderung (LEA) mit initiiert. Der BIS ist ein Zusammenschluss aller für Visa- und Aufenthaltsfragen relevanten Akteure, also IHK, Handwerkskammer, Berlin Partner, Bundesagentur für Arbeit, zuständiges Bezirksamt und LEA. „Ohne qualifizierte Zuwanderung und Arbeitsmigration“, davon ist IHK-Präsident Sebastian Stietzel überzeugt, „werden wir der massiven Herausforderung des Fachkräftemangels nicht begegnen können.“ Ausbildungsoffensive der IHK Immer mehr Unternehmen wollen ihren Fachkräftebedarf über Ausbildung – möglichst die duale – decken. Aktuell sind rund 18.000 betriebliche IHK-Ausbildungsverhältnisse registriert, im Handwerk rund 8.800. Mit der IHK-Ausbildungsoffensive sollen mehr Jugendliche für eine berufliche Ausbildung gewonnen, Ausbildungsangebote erweitert und das Matching zwischen potenziellen Azubis und Unternehmen verbessert werden – zum Beispiel durch das Angebot Praktikumswoche Berlin, bei dem es Jugendlichen ermöglicht wird, verschiedene Firmen und Berufe kennenzulernen. Zur IHK-Ausbildungsoffensive gehört auch der Einsatz von Ausbildungsbotschafterinnen und -botschaftern, die im Rahmen der Berufs- orientierung Schülern der 9. und 10. Klassen ihre Berufe vorstellen und ihnen Rede und Antwort stehen. Sara Lehmann, Ausbildungskoordinatorin beim Elektrogroßhändler Obeta (s. S. 29), betreut rund 100 Azubis und hat sich von der Offensive anregen lassen: „Die Internetpräsenz der Praktikumswoche hat uns schnell überzeugt, und das Rundum-sorglos-Paket ,Ausbildungsbotschafter‘ ist eine große Arbeitserleichterung für uns, weil die IHK die Koordination übernimmt.“ Auf eine eher ungewöhnliche Methode der Fachkräftesicherung setzt Selman Özbek, Geschäftsführer des Garten- und Landschaftsbau-Betriebes Metre (s. S. 28). Er hat schon fünf gehörlose Mitarbeiter eingestellt und hofft, mit weiteren Gehörlosen seine noch offenen Stellen besetzen zu können. „Wir sind stolz, dass bei uns Menschen mit Behinderung Spielplätze für Kinder sicherer gestalten“, so Özbek. ■ Julian Algner, IHK-Geschäftsfeld Wirtschaft & Politik Tel.: 030 / 315 10-373 julian.algner@ berlin.ihk.de Newsletter der IHK Die IHK Berlin bietet aktuelle Infos und Services zum Thema, darunter die Newsletter: „Erfolgsfaktor Fachkräfte“, „Berufsausbildung“ und „Arbeitsmarkt aktuell“. Anmeldung für alle Newsletter unter: ihk.de/berlin/servicemarken/newsletter Thema Fachkräfte Die IHK hat online eine Fülle von Angeboten für Unternehmen, die auf der Suche nach Fachkräften Unterstützung benötigen. Ob bei der Frage, wie sich ein attraktiver Arbeitgeber präsentiert, welche Weiterbildungsmöglichkeiten es gibt oder bei welchen Veranstaltungen die IHK Unternehmen und potenzielle Mitarbeitende zusammenbringt. Eine gute Übersicht findet sich hier: ihk.de/ berlin/fachkraefte Nicole Korset-Ristic Vizepräsidentin IHK Berlin Zwei von drei Unternehmen bewerten den Fachkräftemangel derzeit als größtes Geschäftsrisiko. FOTOS: IHK BERLIN/AMIN AKHTAR

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