Berliner Wirtschaft Juli/August 2023

Das Magazin der Industrie- und Handelskammer zu Berlin 07-08/2023 ihk.de/berlin Zukunftsorte Künstliche Intelligenz: Start-ups entwickeln Geschäftsideen Seite 34 Treffpunkt IHK bringt Wirtschaft und Politik beim Sommerfest zusammen Seite 10 Wirtschaft macht Schule Azubis fehlen häufiger grundlegende Kompetenzen. Wie Unternehmen gegensteuern, erläutern Dorothee und Matthias Frankenstein von Mercedöl Seite 18, Interview Seite 24 Ausbildung Bündnis ja Umlage nein IHK Berlin kritisiert Senatspläne. Umfrage zeigt Realitäten Seiten 16 & 46

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In wenigen Tagen beginnt das neue Ausbildungsjahr. Wieder werden Tausende Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben. Viele, weil es überhaupt keine Bewerbungen gab. Andere, weil Stelle und Bewerber auch mit gutem Willen nicht zusammenpassten. Und dann gibt es Fälle wie diesen, den unsere IHK-Ausbildungsexperten gerade erlebten: Ein Jugendlicher unterschreibt sechs Ausbildungsverträge bei sechs Berliner Unternehmen. Gleichzeitig sind Tausende Jugendliche als Ausbildungsplatz suchend gemeldet. Nur weiß niemand, wie viele von ihnen tatsächlich an einer Ausbildung interessiert sind. Das ist die Lage auf dem Ausbildungsmarkt. Deshalb ist das vom Senat für Ende August geplante Bündnis für Ausbildung im Grundsatz richtig. Hochgradig irritierend ist nur aus Sicht der Wirtschaft, dass für Teile des Senats offenbar die Einführung einer Ausbildungsumlage Ziel des Bündnisses ist – und nicht, mehr Jugendliche in Ausbildung zu bringen. Denn darum muss es uns doch gehen. Daran wirkt die Berliner Wirtschaft gerne mit. Das Ziel kann aber nur erreicht werden, wenn auch die Berufsorientierung und die Vermittlung erheblich besser werden (S. 16 und S. 46). Wer das Bündnis für Ausbildung aber einseitig für die Einführung der Ausbildungsumlage instrumentalisiert, riskiert sein Scheitern. Ihr Wassermanagement Die Bedarfe steigen, während die Grundwasserressourcen abnehmen. Um gegenüber der Politik die Herausforderungen der Wirtschaft deutlich zu machen, haben die IHKs in der Metropolregion unter den Unternehmen eine breit gefächerte Umfrage durchgeführt. Seite 14 Die „Berliner Wirtschaft“ gibt es auch online: ihk.de/berlin/berliner-­ wirtschaft.de Jugendliche in Ausbildung bringen, darum geht es Sebastian Stietzel ist Präsident der IHK Berlin und Geschäftsführer der Marktflagge GmbH, Management & Investments ZEICHNUNG: ANDRÉ GOTTSCHALK; TITEL: AMIN AKHTAR Berliner Wirtschaft 07-08 | 2023 Editorial | 03

18 Wirksame Bildung Berufsorientierung und Lernniveau an Berlins Schulen sind verbesserungsbedürftig. Die IHK gibt dafür Impulse Künstliche Intelligenz K.I.E.Z.-Leiterin Dr. Tina Klüwer warnt davor, KI nur als Bedrohung zu sehen, das verenge die Perspektive 37 BRANCHEN 28 Künstliche Intelligenz Berliner Unternehmen G2K an ServiceNow verkauft 30 Infrastruktur Bis 2028 soll ganz Berlin Glasfaseranschlüsse haben 34 Künstliche Intelligenz Spannende Geschäftsideen von Berliner Start-ups 38 Mobilität Tag der Verkehrswirtschaft diskutierte über Luftverkehr 39 Start-up Svenja Tegtmeier, Saiz GmbH, im Kurzinterview 40 Unternehmensporträt „Cafe Racer 69“ ist ein Treffpunkt für Vespa-Maniacs 42 Nachhaltigkeit Eurabus setzt mit seinen E-Bussen auf Leichtigkeit 44 Gründerstory Flex Media Publishing sorgt für zielgenaue Botschaften 45 Historie Carl Bamberg bewies mit seinen Fernrohren Durchblick AGENDA 10 Sommerfest Rund 2.000 Gäste trafen sich bei der IHK, darunter auch reichlich Politprominenz 12 Vollversammlung Regierender Bürgermeister Kai Wegner sichert mehr Wirtschaftsfreundlichkeit zu 14 Wassermanagement IHK-Umfrage zeigt Bedarfe der Unternehmen auf 16 Wirtschaftspolitik Bündnis für Ausbildung ja, Ausbildungsumlage nein 17 Kolumne Mit Angst und Stillstand löst man keine Probleme, findet Dr. Caroline Heil FOKUS 18 Wirksame Bildung Wenn Betriebe ausbilden sollen, müssen schulische Grundlagen stimmen. Die IHK hat dazu Konzepte 22 Good Practice Welche Akzente die idealo Internet GmbH und Edeka Gayermann setzen 24 Interview Schulen müssen sich auf eine Generation einstellen, die anders aufgewachsen ist, finden Dorothee und Matthias Frankenstein von Mercedöl Dorothee Frankenstein Ausbildungschefin der Mercedöl GmbH Wir müssen verstehen, was junge Menschen brauchen, um gut lernen zu können. Inhalt | 04 Berliner Wirtschaft 07-08 | 2023

ILLUSTRATION: GETTY IMAGES/FSTOP/MALTE MÜLLER; FOTOS: K.I.E.Z/TANJA SCHNITZLER, AMIN AKHTAR/IHK BERLIN Sommerfest IHK-Präsident Sebastian Stietzel (l.) und Kai Wegner, Regierender Bürgermeister, möchten die EXPO nach Berlin holen 10 FACHKRÄFTE 46 Ausbildungsbilanz Wie die aktuelle IHK-Umfrage belegt, finden Unternehmen kaum noch Azubis 48 Digitale Bildung Digital Education Lab der IHK diskutierte Umgang mit Daten 49 Verbundberatung BASF Services Europe und Home of Jobs Berlin kooperieren in der Ausbildung 54 Leadership In Zeiten des Homeoffice forscht die HTW zum Thema hybrides Führen SERVICE 56 Künstliche Intelligenz KI-basierte Anwendungen, etwa ChatGPT, optimieren auch die Steuerpraxis 58 Mobilität Intermodaler Verkehr ersetzt zunehmend den Fuhrpark 60 Beratung Sozialversicherungsrecht bei vorübergehender Tätigkeit in anderen EU-Staaten 61 Scheinselbstständigkeit Tätigkeitsmerkmale, auf die Unternehmen achten müssen 62 Gründerszene Wie man die perfekte Mail an Investoren formuliert 03 Editorial | 06 Entdeckt | 17 Kolumne | 55 Seminare 50 Impressum | 66 Was wurde aus … Schreiben Sie uns Worüber möchten Sie in der „Berliner Wirtschaft“ informiert werden? Senden Sie Ihre Anregungen per Mail an: bw-redaktion@berlin.ihk.de das uns! Überlassen Sie Professionelle Entsorgungslösungen für: Gewerbeabfälle Bedarfsgerechte Konzepte zur Erfassung Ihrer gemischten Gewerbeabfälle – entsprechend der Gewerbeabfallverordnung Altpapier Beste Preise für Industrie, Handel, Gewerbe, Wohnungswirtschaft und Privathaushalte Gewerbefolien Kostengünstige und umweltgerechte Wertstoffentsorgung Andere Abfälle Zuverlässige Erfassung aller anderen Abfälle zur Verwertung (Glas, Holz, Schrott, E-Schrott) Bartscherer & Co. Recycling GmbH Montanstraße 17-21 13407 Berlin Tel: (030) 408893-0 Fax: (030) 408893-33 www.bartscherer-recycling.de Bestellungen direkt im Onlineshop. Günstige Pauschalpreise für Umleerbehälter von 240 l bis 5,5 cbm.

Die Gebäudeservice Wodara GmbH ist ein echtes Familienunternehmen. Sohn Philipp (Foto) ist in die Fußstapfen von Vater Mario Wodara getreten, der den Betrieb vor 20 Jahren gegründet hat. Und mancher der heute 175 Beschäftigten hat eigene Verwandte nachgeholt – generationenübergreifend. Das hat mit gutem Arbeitsklima zu tun. Betriebliches Gesundheitsmanagement ist wichtig. Für die Bürokräfte in der Marzahner Zentrale wird zweimal die Woche gekocht, auch mit Gemüse aus dem Firmengarten. Nicht der einzige nachhaltige Aspekt. Reinigungsutensilien werden etwa möglichst kalt gewaschen. Insgesamt führen die Wodaras ihr Unternehmen nach dem Leitbild der Gemeinwohl-Ökonomie, die eine Alternative zum rein profitorientierten Wirtschaften darstellt. Kunden, Lieferanten, Mitarbeiter, Finanzpartner, Gesellschaft: Die Interessen aller sollen berücksichtigt werden. Gesund gewachsen IHK-Podcast Philipp Wodara im neuen Podcast der IHK Berlin: ihk.de/berlin/pod-bw FOTO: ULRICH SCHUSTER Entdeckt | 06

Konkret dabei Nachhaltigkeit ist der Dreiklang aus ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekten. Die IHK hilft Unternehmen, dies umzusetzen. IHK-Initiative Alle Informationen zur Nachhaltigkeitsinitiative der IHK Berlin unter: ihk.de/berlin/ nachhaltige-wirtschaft Berliner Wirtschaft 07-08 | 2023

10.000 weitere Hotelbetten sollen in den kommenden Jahren in Berlin entstehen. Das geht aus einer Antwort des Senats auf eine Anfrage der Grünen hervor. Vor allem in den äußeren Bezirken sind diverse neue Hotels in Planung. „Das Ergebnis der Experten- kommission ändert nichts daran, dass Enteignungen dem Wirtschaftsstandort Berlin massiv schaden. Den politisch Verantwortlichen muss bewusst sein, dass auch öffentliche Gedankenspiele zu Enteignungen schwerwiegende Konsequenzen für die Wirtschaft und den Investitionsstandort Berlin haben. Das gilt ausdrücklich auch für das von der Koalition angekündigte Vergesellschaftungsrahmengesetz.“ Die vom Vorgängersenat eingesetzte Expertenkommission Vergesellschaftung hat ihren Abschlussbericht vorgelegt Schaden für den Wirtschaftsstandort gesagt kopf oder zahl Ulrike Demmer Dr. Harald Hasselmann wird spätestens zum 15. September neue Intendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg. Nach ihrem Studium der Rechtswissenschaften arbeitete sie unter anderem für Radioeins, den NDR, das ZDF, den „Spiegel“, den „Focus“ und das Redaktionsnetzwerk Deutschland. Von 2016 bis 2021 war sie stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung. hat den Vorsitz im Vorstand der Eckert & Ziegler AG von Gründer Dr. Andreas Eckert übernommen. Hasselmann war bisher im Unternehmen als Vertriebsvorstand des Segments Medical tätig. Andreas Eckert wird in den Aufsichtsrat wechseln und vorerst im Rahmen eines Beratervertrages verschiedene Sonderprojekte zu Ende führen. Sebastian Stietzel, Präsident IHK Berlin FOTOS: PRESSEFOTO ECKERT & ZIEGLER, RBB/THOMAS ERNST, CHRISTIAN KIELMANN, GETTY IMAGES/WESTEND61 Berliner Wirtschaft 07-08 | 2023 Kompakt | 08

Starker Gesundheitssektor Nur in zwei anderen Bundesländern ist der Anteil an der Bruttowertschöpfung höher als in Berlin berliner wirtschaft in zahlen In Berlin erwarten mehr als 8.000 Gastronomiebetriebe Gäste. Die wiederum warten gern zu Hause auf ihr Mahl, die Hauptstadt ist bundesweit spitze bei Essensbestellungen. Der Lieferdienst Wolt hat unlängst verraten, was Berlinerinnen und Berliner sich alles bringen lassen: 85 Zimt-Donuts auf einmal zum Beispiel. Oder gut 400 Dosen Red Bull im Jahr. Nicht bewegen spart Energie, die Nahrung liefert dafür umso mehr. Wo bleibt die eigentlich? bw Was finden Sie typisch? Schreiben Sie uns: bw-redaktion@berlin.ihk.de Energie satt typisch berlin 12,1 % der Bruttowertschöpfung entfielen im vergangenen Jahr in Berlin auf die Gesundheitswirtschaft. Patrick Schulze, IHK-Experte für Statistik Tel.: 030 / 315 10-226 patrick.schulze@berlin.ihk.de Rheinland-Pfalz Schleswig-Holstein Berlin Saarland Sachsen-Anhalt Mecklenburg-Vorpom. Thüringen Hessen Sachsen Brandenburg Nordrhein-Westfalen Hamburg Baden-Württemberg Bremen Niedersachsen Bayern Bundesdurchschnitt 12,6 12,1 12,1 12,1 11,7 11,6 11,3 10,5 10,1 9,9 9,9 9,5 9,2 9,2 9,0 8,4 15,4 Grafiken: BW Quelle: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder PREISGÜNSTIGE BÜRO-NEUBAUFLÄCHEN AM ZUKUNFTSSTANDORT ADLERSHOF WWW.MIETEN-IN-ADLERSHOF.DE MIETANFRAGE@MIETEN-IN-ADLERSHOF.DE +49 30 8891 3322 Eine Projektentwicklung der MIETEINHEITEN/GEBÄUDE VON 250 BIS 5.500 M2 ZUFRIEDENE MIETER KÖNNEN NICHT IRREN 75 BTB-FERNWÄRME MIT 57% ANTEIL ERNEUERBARE ENERGIEN

Rund 2.000 Gäste folgten der Einladung der IHK Berlin und feierten im und vor dem Ludwig Erhard Haus das Sommerfest 2023 von Holger Lunau Wirtschaft trifft Politik 1 agenda

Nach der erfolgreichen Premiere im vergangenen Jahr lud die IHK Berlin am 10. Juli zum zweiten Mal zu einem Sommerfest ein. Rund 2.000 Gäste kamen in das Ludwig Erhard Haus (LEH), oder besser gesagt auf die Festmeile in der Fasanenstraße davor. Von 18 Uhr bis in den späten Abend hinein herrschte dichtes Gedränge auf der abgesperrten Straße und im LEH. Bei herrlichem Wetter waren viele Unternehmerinnen und Unternehmer, ehrenamtlich tätige Helfer wie Ausschussmitglieder oder Prüferinnen und Prüfer sowie zahlreiche Politprominente der Einladung gefolgt, um Bekannte zu treffen oder neue Kontakte zu knüpfen. Neben dem Regierenden Bürgermeister Kai Wegner und Bürgermeisterin Franziska Giffey wurden fast alle Senatorinnen und Senatoren gesichtet, auch Staatssekretäre und der frühere Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit waren der Einladung gefolgt. Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung von Jazz Deluxe und dem Singer-Songwriter Joey Ryan. Für die kulinarischen Highlights sorgte wieder das Catering-Unternehmen Berlin Cuisine, das sich eine nachhaltige Präsentation der Speisen und Getränke auf die Fahne geschrieben hat. Die Eröffnung des Sommerfestes nutzte IHK-Präsident Sebastian Stietzel, um auf die vielen aus Wirtschaftssicht misslichen Probleme hinzuweisen. Dazu zählten eine überbordende Bürokratie auf allen Verwaltungsebenen, die schleppende Digitalisierung in der Stadt, der stagnierende Wohnungsbau und gravierende Verkehrsprobleme. Er bot der schwarz-roten Regierungskoalition die konstruktive Zusammenarbeit mit der IHK an. Gemeinsam müsse man (1) Gastgeber und IHK-­ Präsident Sebastian Stietzel mit Franziska Giffey, Katrin Schultze-Berndt, Stephan Schwarz, Manja Schreiner und Robert Rückel (v. r.) (2) Sebastian Stietzel begrüßte die Gäste und skizzierte dabei die Aufgaben Berlins (3) Nicht nur IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder führte beim Sommerfest anregende Gespräche (4) Gern gesehener Gast: Berlins ehemaliger Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (5) Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner signierte den Buddy Bären zur Expo 2035. In dem Jahr soll Berlin Ausrichter der Weltausstellung sein (6) Ebenfalls zu Gast beim Sommerfest: Sonja Jost, Gründerin von DexLeChem und IHK-Vizepräsidentin » 2 4 5 6 3 FOTOS: INES MEIER/IHK Sommerfest | 11 Berliner Wirtschaft 07-08 | 2023

1 4 2 3 es schaffen, dem Ruf Berlins als Weltmetropole gerecht zu werden und die Chancen der Stadt zu nutzen. Es müsse gelingen, das Beste aus der Stadt herauszuholen. Kai Wegner (CDU) nahm die Vorlage des IHK-Präsidenten dankend an. Er versprach, in den Mittelpunkt seiner Politik pragmatische Lösungen statt Ideologie zu stellen. Er habe das Gefühl, dass es in der Stadt eine Aufbruchsstimmung gebe. Er wolle durch gute Arbeit gemeinsam mit der Wirtschaft das Vertrauen der Berliner in Politik wiedergewinnen. Berlin habe große Chancen wie keine andere Stadt in Deutschland, betonte der Politiker. Es gelte diese gemeinsam zu nutzen. Dazu zählten auch die Beziehungen zum Land Brandenburg. Je enger beide Länder zusammenarbeiteten, desto besser sei es für alle Menschen in der Region. Beim anschließenden Rundgang über die Festmeile besuchten Wegner, Stietzel und der IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder auch Messestände von Unternehmen und Institutionen, die sich mit den Zukunftsthemen Nachhaltigkeit und Energiewende befassen. Zum Beispiel stellte Labor Berlin ein Projekt vor, das den Einsatz von Drohnen für den Transport besonders zeitkritischer Proben zwischen Klinikstandorten und dem Zentrallabor von Labor Berlin, dem ersten Gemeinschaftsunternehmen von Charité und Vivantes, vorsieht. Die Onomotion GmbH stellte das Modell eines E-Lastenrades vor. Das emissionsfreie Transportmittel kann überall dort eingesetzt werden, wo herkömmlicher Autoverkehr nicht mehr erwünscht ist. Kai Wegner fand das Fahrzeug so interessant, dass er am liebsten eine Runde damit gedreht hätte. ■ (1) Setzten musikalische Akzente auf der Bühne: die Formation Jazz Deluxe (2) Handwerkskammer-Präsidentin Carola Zarth im Gespräch mit Thomas Heilmann MdB (3) Kai Wegner und Nicole Korset-Ristic, Vizepräsidentin der IHK Berlin (4) Kerstin Oster, Vorständin Berliner Wasserbetriebe (r.), mit Tanja Buntrock vom „Tagesspiegel“ FOTOS: INES MEIER/IHK AGENDA | Sommerfest | 12 Berliner Wirtschaft 07-08 | 2023

Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner stellt den Unternehmen in der Vollversammlung der IHK mehr Unterstützung in Aussicht von Holger Lunau Wirtschaft im Fokus E s ist ein riesiger Berg von anspruchsvollen Aufgaben, der vor der schwarz-roten Koalition in Berlin liegt. Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU) zeigte sich bei seinem IHK-Antrittsbesuch am 10. Juli vor der Vollversammlung dennoch optimistisch. Er wolle Berlin wirtschaftsfreundlicher gestalten und die Probleme energisch anpacken. Als Beispiele nannte der Politiker unter anderem die Themen Verwaltungsreform, Digitalisierung und Wohnungsbau. Zu seinen Zielen gehörten stadtweit klare und einheitliche Zuständigkeiten in den Ämtern, eine entbürokratisierte Verwaltung und beschleunigte Prozesse. In der laufenden Legislaturperiode wolle er dazu eine Verfassungsänderung auf den Weg bringen, explizit unter Einbeziehung der oppositionellen Grünen, die sechs der zwölf Bezirksbürgermeister in Berlin stellen. Als eine weitere große Baustelle nannte der Regierungschef die Beschleunigung der Digitalisierung. Sollte sich etwa der bisherige Weg zur Einführung der E-Akte als nicht gangbar erweisen, müsse der Prozess neu aufgesetzt werden, erklärte er. Er werde an keiner Sache festhalten, die absehbar an die Wand gefahren wird. An die Adresse der IHK gerichtet, sagte Wegner, er setze auf eine enge Zusammenarbeit. Er kündigte an, dass bei allen seinen Auslandsreisen Wirtschaftsvertreter zur jeweiligen Delegation gehören werden. Bei diesen Reisen „muss etwas für Berlin rauskommen“, forderte der Regierende Bürgermeister. „Wir haben eine hohe Erwartungshaltung in der Stadt“, betonte er. Als ein weiteres gemeinsames Feld sieht Wegner die Themen Ausbildung und Fachkräfte. Die Koalition wolle der Berufsorientierung in der Schule stärkeres Gewicht beimessen. Die Unternehmen benötigten ausbildungsfähige Jugendliche. Dafür müssten sie aber auch ausreichend Plätze für Praktika bereitstellen, forderte er. Im Anschluss an seine Rede stellte sich der Regierende Bürgermeister den Fragen der Vollversammlungsmitglieder. Dabei machte er unter anderem erneut deutlich, dass er die Vergesellschaftung beziehungsweise Enteignung von Wohnungsunternehmen „kritisch“ sehe. Ungeachtet dessen werde die Koalition ein Vergesellschaftungsrahmengesetz erarbeiten, das dann aber den Karlsruher Verfassungsrichtern zur Prüfung vorgelegt werde. Vor dem Auftritt des Regierenden Bürgermeisters war DKB-Vorstand Tilo Hacke neu in die Vollversammlung (Wahlgruppe Banken, Versicherungen, Finanzdienstleistungen) gewählt worden. Er tritt die Nachfolge von Tanja Müller- Ziegler an, die aufgrund eines Jobwechsels ihr VV-Mandat niederlegen musste. ■ Antrittsbesuch: Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (l.), hier mit IHK-Präsident Sebastian Stietzel, skizziert vor der Vollversammlung seine Pläne Kai Wegner Regierender Bürgermeister von Berlin Wir haben eine hohe Erwartungshaltung in der Stadt. FOTO: AMIN AKHTAR Vollversammlung | 13

Die Metropolregion Berlin-Brandenburg erlebt den fünften Dürre-Sommer in Folge. Umweltsenatorin Manja Schreiner kündigte Anfang Juni 2023 eine mögliche Rationierung des Wasserverbrauchs an, sollte zukünftig anhaltende Trockenheit zu einer Wasserknappheit führen. Die Ressource Wasser und der damit verbundene effiziente Umgang werden nicht nur durch die zunehmenden Wetter- extreme, sondern auch durch das Bevölkerungswachstum und den Strukturwandel in der Lausitz für die Metropolregion Berlin-Brandenburg immer bedeutsamer. In Zeiten steigender Wasserbedarfe und abnehmender Grundwasserressourcen ist daher die Versorgungssicherheit eine wichtige Grundlage für die wirtschaftliche Zukunft Berlin-Brandenburgs. Um den Wirtschaftsstandort der Metropolregion zu sichern und zu stärken, müssen negative Auswirkungen klimatischer und struktureller Veränderungen auf die Wirtschaft so gering wie möglich gehalten werden. Die Industrie- und Handelskammern Berlin und Brandenburgs haben sich deshalb zusammengeschlossen, um gegenüber der Politik stärker auf die Bedarfe und Herausforderungen der Wirtschaft aufmerksam zu machen und Unternehmen für das Thema mehr zu sensibilisieren. Am 28. Juni tauschten sich die vier Kammern aus Berlin, Potsdam, Cottbus und Ostbrandenburg daher gemeinsam mit zehn parlamentarischen Abgeordneten und neun Unternehmensvertretern aus. Während einer Bootsfahrt auf der Spree diskutierten sie die aktuelle wasserwirtschaftliche Lage. Angesprochen wurden vorhandene Ungewissheiten und mögliche Konfliktsituationen, für die es Lösungen zu finden gilt. 69 % der Unternehmen sehen es als wichtig an, mit Politik und Verwaltung Konzepte für Wassernutzungskonflikte zu erarbeiten. Die Grundwasserressourcen nehmen ab, während die Bedarfe steigen – eine aktuelle Umfrage der IHKs in der Metropolregion zeigt die Handlungsfelder auf von Larissa Scheu Wasser trägt die Wirtschaft Auf dem Wasser für das Wasser: IHK-Vertreter, Abgeordnete und Unternehmer bei der gemeinsamen Bootsfahrt

Grafiken: BW Quelle: IHK Berlin Vorgestellt wurde zum einen das Forderungspapier, das Handlungsfelder für die Politik aufschließt, um negative Auswirkungen auf Wirtschaft und Standort abzuwenden. Nach Ansicht der Unternehmerschaft muss die Ressource Wasser als Wirtschaftsfaktor begriffen, länderübergreifende Trägerstrukturen etabliert und Entwicklungen vor Ort stärker gefördert werden. Sebastian Stietzel, Präsident der IHK Berlin, erklärt: „Wir dürfen die Herausforderungen einer zuverlässigen Sicherstellung der Wasserversorgung nicht unterschätzen. Viele halten es leider für eine Selbstverständlichkeit, dass immer ausreichend Wasser zur Verfügung steht. Dabei müssen wir jetzt handeln, damit wir auch übermorgen genügend Wasser haben.“ Wie Stietzel auch betont, seien hierfür länderübergreifende Trägerstrukturen zwingend notwendig, die eng verzahnt Lösungsansätze für komplexe Verfahren entwickeln. „Dazu braucht es neben einem ganzheitlichen Denkansatz auch finanzielle und personelle Ressourcen“, so der Präsident. Laut der länderübergreifenden IHK-Umfrage unter rund 1.700 Betrieben sind vor allem das Tourismusgewerbe und wasserintensive Industrien auf eine ausreichende Menge und Güte von Wasser angewiesen. „Für 90 Prozent der Unternehmen im Berlin-Brandenburger Gastgewerbe hat die Ressource Wasser als Standortfaktor eine hohe Bedeutung für ihren Geschäftsbetrieb, danach folgt die Industrie mit 36 Prozent. Trinkwasserversorgung und wirtschaftliche Wassernutzungen dürfen demnach nicht gegeneinander ausgespielt werden“, so Jens Warnken, Präsident der IHK Cottbus, federführend für die brandenburgischen Industrie- und Handelskammern. Deutlich wird in der Unternehmensbefragung auch, dass es eine stärkere Sensibilisierung und Investitionsförderung fürs Wassersparen braucht sowie mehr Austausch und Vernetzung mit der Wissenschaft und in der Unternehmerschaft selbst. Mehr als ein Drittel der Befragten bindet die Mitarbeitenden bereits aktiv in Wassersparmaßnahmen ein. Ein Viertel hat bereits Optimierungen bei Heizung, Sanitär und Klima vorgenommen, 21 Prozent planen dies noch. Weniger Potenzial gibt es laut Unternehmensangaben bei der Optimierung von Produktionsprozessen (sieben Prozent). In einer gemeinsamen Umfrage der IHKs und des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) bei 78 Wasserversorgern in der Metropolregion mit einer Rückmeldequote von 50 Prozent zeigt sich, dass es dringenden Handlungsbedarf bei der Vorhaltung ausreichender Wasserrechte gibt. Über die Hälfte der befragten Wasserversorger hält sie für derzeit unzureichend. 43 Prozent schöpfen sie bereits über die kritische Grenze von 80 Prozent hinaus aus. Als größte Unsicherheit wird eine ungenügende Datengrundlage bei der künftigen Wirtschaftsentwicklung aufgeführt. Für 69 Prozent ist es wichtig, jetzt mit Politik und Verwaltung Konzepte zum Umgang mit anstehenden Wassernutzungskonflikten zu erarbeiten. Eine frühzeitige Einbindung der Wasserverbände bei Ansiedlungsplänen ist nach Ansicht der Wasserversorger daher dringend notwendig. ■ Regionalplanung, Genehmigungsverfahren Wo Unternehmen politischen Handlungbedarf sehen (Mehrfachnennungen möglich, Angaben in Prozent) FOTO: AMIN AKHTAR/IHK LAG BERLIN-BRANDENBURG Larissa Scheu, IHK-Public Affairs Managerin Energie- und Klimaschutzpolitik Tel.: 030 / 315 10-686 larissa.scheu@berlin.ihk.de Innovation-Challenge IHK Berlin und HWR bieten ab sofort eine „Innovation-Challenge“ für effizientes Wassermanagement an. Hier kommen Unternehmen mit Hochschul-Teams, Instituten und Startups zusammen, um zukunftsorientierte Lösungen zu erarbeiten. Ansprechpartnerin ist Larissa Scheu. Strategie, Datenlage, Sensibilisierung Wo Unternehmen politischen Handlungsbedarf sehen (Mehrfachnennungen möglich, Angaben in Prozent) 69 66 56 34 28 16 16 Wissenstransfer und Technologieentwicklung fördern Sensibilisierungsmaßnahmen zu Wassereinsparmöglichkeiten Bereitstellen von Prognosetools zur Abschätzung künftiger Wasserbedarfe Einheitliche Datenerhebung und Prognosen für alle Wasserverbände Verbesserung der Datenlage Länderübergreifender strategischer Gesamtplan (BE, BB, SN) Konzepte für den Umgang mit Wassernutzungskonflikten Frühzeitige Berücksichtigung der Wasserverbände bei der Aufstellung der Regionalpläne 66 59 47 44 41 25 Berücksichtigung von Vorbehalts- und (Vorrang)gebieten in den Regionalplanungen Finanzielle Unterstützung beim Bau von Fernleitungen und Verbundvorhaben zur Wasserversorgung Aufnahme des Kriteriums Wasser in den Katalog von Mindestanforderungen für Flächen zur Ansiedlung von Industrie und Gewerbe Schnelle Genehmigungsverfahren bei der Erschließung neuer Wasserrechte Frühzeitige Einbindung der Wasserverbände bei Ansiedlungsvorhaben der Industrie Wasserrechte Befragt, ob ihre Rechte mit Blick auf größere Verbraucher perspektisch ausreichen, antwortet die Mehrheit der Betriebe mit Nein. 52 48 Ja Nein Verbrauch 43 Prozent der Unternehmen schöpfen ihre Wasserrechte aktuell über die kritische Grenze von 80 Prozent hinaus aus. 57 43 Weniger als 80 % Mehr als 80% Wassermanagement | 15 Berliner Wirtschaft 07-08 | 2023

Der Senat will die Anzahl von Ausbildungsverträgen an eine Umlage für Unternehmen koppeln – solche Vorstellungen gehen an der Wirklichkeit vorbei von Claudia Engfeld Alle sind in der Verantwortung Die IHK Berlin sieht Teile der Eckpunkte zum Bündnis für Ausbildung kritisch. Vor allem die Kopplung von 2.000 zusätzlich unterzeichneten Ausbildungsverträgen bis 31. August 2025 mit der Ausbildungsumlage verkenne die tatsächliche Lage auf dem Ausbildungsmarkt, kritisiert IHK-Präsident Sebastian Stietzel. Die Unternehmen können und wollen zwar mehr Ausbildungsangebote schaffen, haben aber keinen Einfluss darauf, ob Jugendliche die Angebote auch annehmen. Hier seien zum Beispiel die Schulen und Jugendberufsagenturen in der Pflicht, sowohl die Ausbildungsreife als auch die Berufsorientierung und Vermittlung zu steigern. Außerdem hat laut aktueller Aus- bildungsumfrage der IHK ein Drittel der befragten Unternehmen angegeben, dass ihre Azubis, obwohl sie den Ausbildungsvertrag bereits unterzeichnet hatten, die Stelle gar nicht angetreten haben (s. auch S. 46). Bessere Beratung notwendig Wie Sebastian Stietzel betont, seien aktuell fast 15.000 freie Ausbildungsplätze auf der Website ausbildung.berlin ausgeschrieben. „Die Zahl belegt mehr als eindrücklich, dass die wahren Herausforderungen woanders liegen – und Zielvorgaben allein weder den Jugendlichen noch den suchenden Unternehmen helfen.“ Noch einmal wies der IHK-Präsident auf die Notwendigkeit einer besseren Berufsorientierung während der Schulzeit hin. Auch „die Beratung von Jugendlichen auf Ausbildungsplatzsuche muss ausgebaut werden, und es braucht neue Wege, um Jugendliche für Ausbildung zu begeistern“. Die Berliner Wirtschaft sei gerne bereit, ihren Teil beizusteuern, und sie unternehme dafür bereits erhebliche Anstrengungen. Doch „das Bündnis für Ausbildung kann nur funktionieren, wenn alle Beteiligten gemeinsam das Ziel verfolgen, mehr Jugendliche in Ausbildung zu bringen. Gelingt das, ist es ein großer gemeinsamer Erfolg - gelingt es nicht, muss allen klar sein, dass alle Beteiligten die Verantwortung tragen und nicht die Wirtschaft als einzelner Bündnispartner“. Zu den Maßnahmen der Berliner Wirtschaft für eine Steigerung der Vertragszahlen gehört unter anderem die im vergangenen Jahr gestartete Ausbildungsoffensive der Berliner Wirt- schaft. Ziel ist es, die Zahl der Ausbildungsplätze zu erhöhen und mehr Jugendliche für eine duale Ausbildung zu gewinnen. Dazu gehören die Entsendung von Ausbildungsbotschaftern an Schulen sowie die aktuell laufende Praktikumswoche, um mehr Jugendlichen Einblicke in das Berufsleben zu ermöglichen. Ein weiterer Schwerpunkt ist die gezielte Ansprache und Beratung von Unternehmen, um sie für Ausbildungsaktivitäten zu gewinnen. Auch der 2020 eröffnete Talente-Check Berlin, der Achtklässler bei der Berufsorientierung unterstützt, ist auf Initiative der IHK Berlin entstanden. ■ Sebastian Stietzel Präsident IHK Berlin Zielvorgaben allein helfen weder den Jugendlichen noch den Unternehmen. Eine gute Ausbildung ist ein solides Fundament. Mehr Jugendliche davon zu überzeugen, sollte gemeinsames Ziel sein FOTO: GETTY IMAGES/IMAGES SOURCE Berliner Wirtschaft 07-08 | 2023 AGENDA | Wirtschaftspolitik | 16

Bewegungslosigkeit ist Kapitulation Der Klimawandel ist real, der Zinsanstieg auch – in Angststarre zu verfallen, hilft allerdings niemandem. Eine Beobachtung am Ku’damm, die fast real ist B erlin schläft nie, und Berlin steht niemals still. Während ich bei 34 Grad über den Ku’damm zu einem Termin hetze, ist auf der Straße kaum ein Durchkommen: Die Gehsteige sind voll, ein Wuseln und Rennen. Diese positive Unruhe; jederzeit kann etwas Spannendes passieren – deswegen liebe ich Berlin. Plötzlich sehe ich eine Menschentraube vor mir: Was gibt es dort zu sehen? Es sind Menschen, die mucksmäuschenstill auf der Straße stehen. Keine Bewegung. Vielleicht Klima-Kleber, denke ich mir und will schon weiterlaufen. Doch beim genaueren Hinsehen fällt es mir wie Schuppen von den Augen: Es sind Investoren. Eindeutig. Hier ein Wagniskapitalgeber. Da noch einer, den kenn ich doch. Da drüben all die Großen aus der Immobilienbranche. Sie stehen still. „Entschuldigung. Ist das eine Angststarre?“, spreche ich einen an. Er versucht, mir auszuweichen, aber will seinen Platz nicht verlassen. „Steigende Zinsen. Stellen Sie sich lieber zu mir“, zischt er mir plötzlich zu. Ein anderer flüstert: „Bald explodiert alles. Nur nicht zu früh rühren. Wir erwarten das Geschäft unseres Lebens.“ Er erinnert mich an eine Katze, die auf einen Singvogel lauert. „Start-ups funktionieren nicht mehr. Wir brauchen radikale Veränderung“, flüstert mir ein anderer zu, ohne zu blinzeln oder sich nur einen Millimeter zu rühren. Ich bin irritiert, aber auch beeindruckt. „Und wie lange wollen Sie hier noch so stehen?“, frage ich die erstarrten Investoren. „Wahrscheinlich zwei Jahre. Wahrscheinlich, bis die Zinsen wieder fallen.“ Ich sehe Ratlosigkeit in den erstarrten Gesichtern; keiner weiß eine Antwort. Irgendwie tun sie mir fast schon leid. Da fällt es mir ein – das muss es sein: „Sie haben sicherlich Geld-Sorgen?!“, frage ich und bekomme Mitleid mit den Bewegungslosen. Die Katze antwortet als Erstes: „Geld-Sorgen? Nein, Geld ist doch da. Genug Geld ist im Markt. Wir haben bis Ende 2025 ausgesorgt. Aber danach ... Oha… Ziehen Sie sich lieber warm an.“ Bei der Warnung fällt mir wieder ein, dass wir heute den heißesten Tag des Jahres haben. Wir stehen in der prallen Sonne. Ich verabschiede mich von den Investoren und hetze weiter den Ku’damm entlang. Schlauer bin ich nicht. Eine Lösung habe ich auch nicht. Ich denke an die Bewegungslosen in der Sonne und hoffe, dass sie zumindest gut eingecremt sind. LSF 50. Besser wäre es aber, wenn sie in den Schatten gingen. Noch besser wäre es, wenn sie zu den Investments in Innovation und Nachhaltigkeit laufen; oder rennen. Der Klimawandel ist real. Bewegungslosigkeit hilft keinem – gut, dass die meisten Berliner nicht vom Wuseln abzuhalten sind. Unsere positive Unruhe lassen wir uns nicht nehmen, da müssten sie uns schon festkleben! ■ Meinung In der Kolumne „Auf den Punkt“ positionieren sich im monatlichen Wechsel Mitglieder des Präsidiums zu wirtschaftspolitischen Fragestellungen aus ihrer persönlichen Sicht. präsidiumsmitglieder beziehen stellung Dr. Caroline Heil ist Vorständin der New Meat Company AG und gehört zum Präsidium der IHK Berlin FOTO: AMIN AKHTAR Auf den Punkt | 17

INHALT 22 Azubis in Teilzeit Flexibilität ist Trumpf bei der idealo Internet GmbH 23 Die Ängste nehmen Edeka Gayermann fördert Leistungsschwächere 24 „Schule muss ganz neu gedacht werden“ Dorothee und Matthias Frankenstein, Mercedöl GmbH, im Interview Um die schulische Berufsorientierung zu verbessern, müssen alle Bildungsakteure zusammenwirken fokus

FRÜHSTART Damit Unternehmen dringend benötigte Fachkräfte ausbilden können, müssen die schulischen Grundlagen stimmen. Die IHK Berlin gibt hier wichtige Impulse von Jens Bartels Die Bildungsqualität in Berlin lässt zu wünschen übrig. Wiederholt deckten in den vergangenen Jahren bundesweite Vergleichsstudien gravierende Mängel beim Lernniveau der Schülerschaft aus der Hauptstadt auf. Gerade in zentralen Fächern wie Mathematik, Rechtschreibung oder Lesen schneiden junge Menschen aus Berlin unterdurchschnittlich ab. Bedenklich stimmen auch folgende Zahlen: Fast sieben Prozent der Jugendlichen verlassen die Schule ohne Abschluss, gleichzeitig blieben 2022 rund 1.500 Ausbildungsstellen unbesetzt. Wie sich diese Daten auf Berliner Ausbildungsbetriebe auswirken, zeigt das Beispiel der Ehrig GmbH. Für das Charlottenburger Büro-Systemhaus ist die duale Ausbildung ein wichtiges Instrument, um dem Fachkräftemangel im IT-Bereich frühzeitig zu begegnen. „Wir merken, dass es jedes Jahr schwieriger wird, unsere Ausbildungsplätze zu besetzen“, beschreibt Kerstin Ehrig-Wettstaedt die Situation. „Aus unserer Sicht fehlt etwa die Vorbereitung auf das Berufsleben an den Schulen, und damit haben die Jugendlichen oftmals keine Vorstellung, wie es nach der Schule weitergehen soll“, fügt die Geschäftsführerin der Ehrig GmbH hinzu. Darüber hinaus beobachtet die Unternehmerin, dass sich das Allgemeinwissen und die Qualität der Bewerbungen junger Menschen verschlechtern. „Die Bewerbungsschreiben sind zum Teil sehr kurz oder unvollständig, beinhalten Rechtschreib- und Grammatikfehler, falsche » ILLUSTRATION: GETTY IMAGES/FSTOP/MALTE MÜLLER Wirksame Bildung | 19 Berliner Wirtschaft 07-08 | 2023

schaffen die Probleme von morgen. Auf diese Weise werden Defizite in der Bildungskette auf die nächste Bildungsstufe von der Kita in die Schule und von der Schule in die Ausbildungsbetriebe weitergereicht. „Aus diesem Grund ist es so wichtig, die komplette Bildungskette in den Blick zu nehmen“, betont Stefan Spieker. „Im Kindergarten müssen vor allem sozial-emotionale und sprachliche Kompetenzen gefördert werden, auf deren Basis eine gelingende Bildungsteilhabe in den Schulen aufgebaut und entwickelt werden kann“, so der IHK-Vizepräsident weiter. „Berufsorientierung in der Schule ist wiederum eine wesentliche Voraussetzung für Teilhabe am Arbeitsmarkt.“ Ein Schritt baut also auf dem nächsten auf. „Nur wenn man die gesamte Bildungskette in den Blick nimmt und weiterentwickelt, verbessert man die Bildungsqualität nachhaltig und sichert den Fachkräftebedarf von morgen“, ist Stefan Spieker überzeugt. Zukunftsforum der IHK Mit diesem Ziel vor Augen hat die IHK Berlin gemeinsam mit einem Team aus Expertinnen und Experten bereits im vergangenen Jahr den Businessplan „Wirksame Bildung“ mit einer Reihe von konkret umsetzbaren Lösungsvorschlägen zur Verbesserung der Berliner Bildungsinfrastruktur erarbeitet. Für neue Impulse bei diesem Thema sorgt auch das Berliner Zukunftsforum „Wirksame Bildung 2023“ (siehe Kasten rechte Seite). Anlässlich der KMK-Präsidentschaft Berlins in diesem Jahr veranstaltet die IHK Berlin das Zukunftsforum, um Innovatoren aus Berliner öffentlichen und privaten Schulen, der frühkindlichen Bildung und der Unternehmerschaft in ihrem Engagement zu unterstützen, den Dialog mit der Politik zu fördern und Bildungsakteure mitein- ander zu vernetzen. In den Fokus rückt auch zunehmend die Forderung, eine verlässliche Gesamtstrategie für die schulische Berufsorientierung zu erarbeiten. Gerade eine erfolgreiche Berufsorientierung am Lernort Schule hilft dabei, mehr Jugendliche für eine berufliche Ausbildung zu gewinnen, die Ausbildungsangebote zu erweitern und das Stefan Spieker ist Geschäftsführer der Fröbel International GmbH und IHK- Vizepräsident. Er macht sich dafür stark, die komplette Bildungskette in den Blick zu nehmen, von der Kita bis zur Berufsorientierung in den Schulen Ansprechpartner oder die falsche Berufsbezeichnung, auch auf das Vorstellungsgespräch bereiten sich die Bewerber oft nicht vor“, wundert sich Kerstin Ehrig-Wettstaedt. „Entsprechend wünschen wir uns für die Berliner Schulen die notwendigen Kapazitäten und Mittel, um die Allgemeinbildung wieder zu stärken und die Berufsorientierung als wichtiges Instrument für das spätere Berufsleben wirklich zu erkennen.“ Diesen Wunsch teilt sie mit vielen anderen Berliner Ausbildungsbetrieben. Grundsätzlich stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, wie sich Bildung insgesamt wirksamer gestalten lässt. Klar muss sein: Versäumnisse von heute FOTOS: AMIN AKHTAR/IHK BERLIN, OBETA FOKUS | Wirksame Bildung | 20

Matching zwischen Jugendlichen und Unternehmen zu verbessern. „Dafür sind Kontakte und Netzwerke zwischen Schulen und Unternehmen unverzichtbar“, weiß Stefan Spieker. „Aus diesem Grund haben wir als IHK gemeinsam mit Teach First und der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie in diesem Jahr ein Pilotprojekt ins Leben gerufen.“ Ziel ist es, an einer ausgewählten Pilotschule eine verbindliche Strategie für Berufsorientierung zu erarbeiten. Mit der Unterstützung regionaler Unternehmensnetzwerke, der Expertise der Wirtschaftspartner und den qualifizierten Fellows von Teach First setzen die Schulen diese Strategie um. Es ist nicht das einzige von der IHK Berlin im Rahmen ihrer Ausbildungsoffensive begleitete und unterstützte Projekt. Neue Impulse für die berufliche Bildung liefern auch die beiden innovativen Projekte Praktikumswoche und Ausbildungsbotschafter. Die Praktikumswoche bietet Jugendlichen ab 15 Jahren die Möglichkeit, in den drei Wochen vor und in den Sommerferien mehrere Unternehmen und Berufe kennenzulernen. Berliner Unternehmen können so auf sich aufmerksam machen und bereits frühzeitig Talente an sich binden. „Wir vermuten, dass wir durch die niedrige Hürde von nur einem Praktikumstag ohne weitere Verpflichtungen auch Kandidatinnen und Kandidaten erreichen, die sonst nicht auf uns aufmerksam geworden wären, und wir somit noch einen weiteren Recruiting-Kanal nutzen können“, sagt Dieter Mießen von der Frisch & Faust Tiefbau GmbH. Das Pankower Unternehmen nutzt auf der Suche nach passenden Auszubildenden viele weitere Angebote der Berufsorientierung. „Ob auf der großen Ausbildungsmesse, der schul- eigenen Praktikums- und Ausbildungsbörse, bei einer Betriebserkundung, unserem alljährlichen Baustellentag oder im Rahmen der Vorstellung mit Mitmachaktionen im WAT-Unterricht: Unser Ziel ist es, dass die Schülerinnen und Schüler zum Ende ihrer schulischen Laufbahn den Namen Frisch & Faust Tiefbau schon mehrfach gehört haben“, fügt der kaufmännische Leiter des Bauunternehmens hinzu. „Wir möchten, dass wir in den Köpfen erscheinen, wenn es am Ende um die Frage der Ausbildung geht.“ Projekt Ausbildungsbotschafter Bei dem anderen neu ins Leben gerufenen Projekt Ausbildungsbotschafter steht dagegen der Dialog zwischen Schülerinnen und Schüler sowie Auszubildenden auf Augenhöhe im Vordergrund. Ausbildungsbotschafterinnen und Ausbildungsbotschafter berichten über ihren Weg in die Ausbildung und stellen ihren Arbeitsalltag sowie mögliche Karriereoptionen vor. „So einen Einblick in die Arbeitswelt hätte ich mir als Schüler auch gewünscht“, erzählt Joshua Noel Mohr. Derzeit absolviert der engagierte Ausbildungsbotschafter eine Ausbildung zum Kaufmann für Groß- und Außenhandelsmanagement bei der Oskar Böttcher GmbH & Co. KG. Unter dem Markennamen Obeta betreibt das Berliner Traditionsunternehmen deutschlandweit mehr als 60 Filialen im Elektrogroßhandel. Starke Lernkurve in Selbstständigkeit „Bis jetzt habe ich bei meinen Auftritten sowohl von den Lehrkräften als auch von den Schülerinnen und Schülern ausschließlich positives Feedback erhalten“, freut sich der Azubi. Auch Sara Lehmann schätzt die vielen Vorteile des Projekts. „Unsere Auszubildenden, die als Ausbildungsbotschafter in die Schulen gehen, haben eine starke Lernkurve in ihrer Präsentationskompetenz, ihrer Selbstständigkeit und ihren kommunikativen Fähigkeiten“, unterstreicht die Ausbildungskoordinatorin bei Obeta. „Zusätzlich wird auch die Loyalität zum Unternehmen gestärkt, da sie sich detailliert mit den Benefits unseres Unternehmens befassen“, ergänzt Lehmann. Gleichzeitig beobachtet das Unternehmen den positiven Effekt, schon bei jungen Menschen und deren Kommunikatoren wie Eltern, Lehrkräften oder Freunden als fördernder Arbeitgeber und Ausbildungsbetrieb mit 90 Auszubildenden wahrgenommen zu werden. „Das ist bei der großen Auswahl an attraktiven Arbeitgebern ein großer Wettbewerbsvorteil“, fügt die Ausbildungskoordinatorin hinzu. Es ist also mehr als deutlich: Im Wettbewerb um junge Talente haben diejenigen Unternehmen die Nase vorn, die sich in der Berufsorientierung engagieren. Angesichts des drohenden Fachkräfteengpasses geht es dabei mehr denn je darum, leistungsstarke wie auch leistungsschwache junge Menschen von den Vorzügen der dualen Ausbildung zu überzeugen. „Ich glaube, dass vielen Schülerinnen und Schülern die Attraktivität der dualen Ausbildung nicht klar ist“, staunt Uta Bendixen, langjährige Ausbildungsleiterin beim Medienunternehmen Axel Springer SE, immer wieder. „Warum nicht erst einmal eine gute, fundierte Ausbildung mit Praxisbezug machen, um die Unternehmenswelt kennenzulernen?“ Recht hat die Expertin! ■ Sara Lehmann Oskar Böttcher GmbH & Co. KG Die Loyalität zum Unter- nehmen wird gestärkt, wenn sich Auszubildende mit den Benefits befassen. Wirksame Bildung für Berlin Das ist das Ziel des Berliner Zukunftsforums „Wirksame Bildung“ am 11. Oktober in der IHK Berlin. Auf der Podiums- bühne diskutieren unter anderen Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch, Arbeitssenatorin Cansel Kiziltepe, Brandenburgs Bildungsminister Steffen Freiberg und der Berliner Staatssekretär für Familie Falko Liecke. Unternehmen berichten von ihren erfolgreichen Maßnahmen rund um Azubi-Marketing und Ausbildungsqualität. Sie sind Ausbildungsunternehmen, arbeiten mit Schulen und Kitas zusammen oder engagieren sich für bessere Bildung in Berlin? Dann melden Sie sich jetzt an! ihk.de/berlin/zukunftsforum Berliner Wirtschaft 07-08 | 2023

Die Arbeitswelt verändert sich. Um in Zeiten des demografischen Wandels für junge Talente anziehend zu sein, dürfen Unternehmen neue Trends und Entwicklungen nicht verpassen. So gaben 65 Prozent der in der Studie „New Work – Die Generation Z in der Arbeitswelt von morgen“ befragten 16- bis 25-Jährigen an, dass ein gesundes, konstruktives Arbeitsklima und eine gute Unternehmenskultur einen Arbeitgeber attraktiv machen. 53 Prozent erwarten von ihrem Betrieb zudem gute Karrieremöglichkeiten, und 48 Prozent wünschen sich auch flexible Arbeitszeitmodelle. „Nicht nur die junge Generation der Azubis legt Wert auf Flexibilität, alle unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter profitieren von unseren innovativen Arbeitszeitmodellen“, betont Sofie Reiter. „Dazu zählen Vertrauensarbeitszeit im Rahmen von flexibler Arbeitszeitgestaltung sowie die Möglichkeit, die Wochenarbeitsstunden anzupassen und in Teilzeit zu arbeiten“, fügt die HR-Fachkraft der idealo Internet GmbH hinzu. „Unsere Azubis wollen wir hierbei nicht ausschließen.“ Deshalb führen Azubis und Ausbilderin oder Ausbilder bei idealo regelmäßig Gespräche. Hierbei stehen nicht nur die fachliche Entwicklung, sondern auch die persönliche Situation und Herausforderungen, die eine Ausbildung in der Schule, im Unternehmen, aber auch im privaten Umfeld mit sich bringen, auf der Agenda. „Mit einer Ausbildung in Teilzeit kann auf die individuellen Bedürfnisse der Auszubildenden eingegangen werden, sodass unsere Azubis sowohl fachlich als auch privat die besten Leistungen erbringen können“, freut sich Sofie Reiter. Temporär im Ausland arbeiten Der Ausbildungsbetrieb punktet darüber hinaus mit vielen weiteren Ideen einer modern gelebten Arbeitskultur. Sofern es die Tätigkeit und individuellen Aufgaben zulassen, können alle Mitarbeitenden auch von anderen Orten als dem Berliner Office aus arbeiten, sogar die temporäre Arbeit aus dem Ausland wird ermöglicht. „Das ist im Rahmen der Ausbildung sicherlich nicht unter allen Umständen zu gewährleisten, wir sehen aber, dass dieses Angebot auf eine breite Nachfrage stößt“, so die HR-Expertin. Zudem erhalten die Azubis mindestens einmal im Jahr ein umfangreiches 360°-Feedback mit anschließendem Entwicklungsgespräch. Nicht zuletzt werden die jungen Talente zur Stärkung der Zusammenarbeit auch zu zahlreichen Teamevents, Ausflügen und Unternehmensfeiern eingeladen. ■ Die idealo Internet GmbH schließt den Fachkräftenachwuchs in flexible Arbeitszeitmodelle ein. Selbst ortsungebunden ist die Ausbildung teils möglich Azubis in Teilzeit Sofie Reiter ist HR-Fachkraft bei der idealo Internet GmbH, einer Plattform für E-Commerce und Preisvergleiche 48 % der Befragten aus der Generation Z erwarten laut einer New-Work-Studie flexible Arbeitszeiten von Unternehmen. Gut vernetzt Das Unternehmen auf LinkedIn unter diesem QR-Code: FOTOS: CHRISTIAN KIELMANN Berliner Wirtschaft 07-08 | 2023

Edeka Gayermann trägt das Siegel der IHK für „Exzellente Ausbildungsqualität“. Das Unternehmen fördert junge Menschen mit Defiziten Die Ängste nehmen Jörn Holluba ist Verbundleiter beim Einzelhandelsunternehmen Edeka Gayermann F ür Berlins Wirtschaft wird der Fachkräftemangel zusehends ein Hemmschuh. Schon heute fehlen 90.000 Fachkräfte. Bis 2035 könnten laut IHK-Fachkräftemonitor 414.000 Stellen unbesetzt bleiben. Dies hat etwa für Einzelhandelsunternehmen gravierende Folgen: Gut qualifizierte, motivierte Mitarbeiter sind für die Leistungsfähigkeit der Branche unerlässlich. Hierfür ist eine gute Berufsausbildung mit hohen Qualitätsstandards die beste Grundlage. Auf der Suche nach geeigneten Auszubildenden richtet der mit dem Qualitätssiegel der IHK Berlin für „Exzellente Ausbildungsqualität“ ausgezeichnete Lebensmittelanbieter Edeka Gayermann seinen Blick insbesondere auch auf Leistungsschwächere. Im Fokus des Unternehmens stehen dabei die beiden Einzelhandelsberufe Verkäufer/-in und Kaufmann/-frau im Einzelhandel. „Veränderungen des Berufsbildes ermöglichen es gerade auch leistungsschwächeren Schülerinnen und Schülern, erfolgreich im Beruf zu sein. Die Automatisierung der Disposition eröffnet die Möglichkeit, einen wesentlichen Schwerpunkt der Tätigkeitsmerkmale auf die Warenpräsentation und Beratung von Kunden zu legen“, erklärt Verbundleiter Jörn Holluba. „Damit reichen mathematische Grundkenntnisse nun völlig aus.“ Für die Besetzung der Ausbildungsstellen arbeitet das Einzelhandelsunternehmen auch mit Förderschulen zusammen und ist gleichzeitig im Bereich der Einstiegsqualifizierung aktiv. Betriebliche Einstiegsqualifizierungen mit einem IHK-Zertifikat können für junge Menschen ein guter Türöffner in die Berufsausbildung sein. Dieses Angebot richtet sich vor allem an Jugendliche, die noch nicht reif für eine klassische Ausbildung sind oder noch nicht genau wissen, wohin ihre berufliche Reise führen soll. Die Einstiegsqualifizierung schafft die Möglichkeit, Inhalte eines Ausbildungsberufs, einen Betrieb und das tägliche Berufsleben kennenzulernen. Eigene Seminare, persönliche Betreuung „Ob Lernschwächen, sprachliche Schwierigkeiten oder Auszubildende mit Behinderungsgrad – zu den größten Herausforderungen unseres Engagements in der Ausbildung speziell für junge Menschen mit besonderen Bedürfnissen gehört, ihnen Ängste vor der Berufsschule und dem theoretischen Teil der Ausbildung zu nehmen“, merkt Jörn Holluba an. „Deswegen führen wir unter anderem auch eigene Seminare durch und gewährleisten eine persönliche Betreuung unserer Auszubildenden durch eine dafür freigestellte Mitarbeiterin.“ So läuft ausgezeichnete Berufsausbildung heute. ■ Jörn Holluba Veränderungen des Berufsbildes ermöglichen es gerade auch Leistungs- schwächeren, erfolgreich zu sein. Gut vernetzt Der QR-Code führt zu Edeka Minden- Hannover auf LinkedIn: Wirksame Bildung | 23

Matthias Frankenstein Geschäftsführer Im Jahr 1989 nach seinem Studium der Versorgungs- und Energietechnik stieg Matthias Frankenstein in das 1962 von seinen Eltern gegründete Unternehmen ein. Dorothee Frankenstein Ausbildungschefin Seit elf Jahren kümmert sich Dorothee Frankenstein um die Ausbildung bei Mercedöl. Dorothee und Matthias Frankenstein erklären die Eckpunkte ihrer Ausbildungsstrategie: Das Engagement der Mitarbeiter und Ausbilder spielt dabei eine besondere Rolle Das Heizungs- und Sanitärunternehmen mf Mercedöl GmbH hat 30 Prozent der Belegschaft selbst ausgebildet. Geschäftsführer Matthias Frankenstein und Ausbildungschefin Dorothee Frankenstein wissen, wie sie auch in Zeiten des Arbeitskräftemangels guten Nachwuchs finden und Defizite aus der Schule beseitigen können. Berliner Wirtschaft: In Zeiten der Wärmewende ist die Nachfrage nach neuen Heizungen groß. Steigt damit auch Ihr Bedarf an Auszubildenden? Matthias Frankenstein: Wir haben bereits durchschnittlich 25 Auszubildende in fünf Ausbildungsberufen im Betrieb. Tendenziell bräuchten wir noch mehr, das stimmt. Wir hatten auch schon mal 30 Azubis. Aber das erfordert dann auch mehr Ausbilder, um optimal ausbilden und auf die Bedürfnisse der Auszubildenden eingehen zu können. Nicht jeder Monteur ist aber geeignet, Auszubildende zu führen. Welche Tendenz sehen Sie bei den Bewerberinnen und Bewerbern hinsichtlich der Qualifikation? Dorothee Frankenstein: Früher habe ich öfter noch Leute mit der erweiterten Berufsbildungsreife genommen. Aber wir haben festgestellt, dass mit diesem Bildungsstand in Mathematik, Physik und Deutsch die Ziele in unseren Ausbildungsberufen häufig nicht erreicht werden. Die Berufe sind zu anspruchsvoll. Der Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik beispielsweise fasst heute das zusammen, was früher in zwei Ausbildungsberufen über dreieinhalb Jahre gelehrt wurde. Hinzu kommen neue Themen aus den regenerativen Energieformen. Das ist sehr umfänglich geworden. Deshalb fordern Sie heute den Mittleren Schulabschluss? Dorothee Frankenstein: Ja, wir machen bessere Erfahrungen mit Auszubildenden, die mit einem MSA kommen. Wir merken aktuell aber, dass in den Corona-Jahren auch die Mittleren Schulabschlüsse nicht so wie früher durchgeführt worden sind. Da fehlt mitunter einiges an Schulbildung. Es geht aber nicht nur darum, sondern auch um die emotionale und soziale Begleitung, die jungen Menschen in der Schule nicht mehr den Rahmen gibt, den wir im Berufsalltag brauchen. Pünktlichkeit, Teamfähigkeit, Zuverlässigkeit – wir sind jetzt stark dabei, unseren Azubis diese Werte mit auf den Weg zu geben. Wie machen Sie das? Matthias Frankenstein: Indem wir sie sehr intensiv begleiten und schnell Feedback zu ihren Leistungen geben. Wenn sie zu spät kommen, erklären wir sofort, warum das nicht geht. Wenn sie in der Berufsschule den Unterricht stören, holen wir sie in den Betrieb und sagen ihnen, dass es so nicht funktioniert. Es gibt für alle eine Einzelbetreuung durch einen Ausbilder und dazu noch ein Team von fünf Mitarbeitern, die jeweils für einen Ausbildungs- „Schule muss ganz neu gedacht werden“ Dorothee und Matthias Frankenstein bilden intensiv aus, um den Fachkräftebedarf von Mercedöl zu sichern. Mit den Mathe- und Deutsch-Kenntnissen der Bewerber sind sie oft unzufrieden von Michael Gneuss » Im Umgang mit der Technik sind unsere Azubis schon sehr weit. Matthias Frankenstein FOTO: AMIN AKHTAR FOKUS | Interview | 24 Berliner Wirtschaft 07-08 | 2023

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