Berliner Wirtschaft Juli & August 2022

» modellen haben Berliner Start-ups aus der Indus- trie Erfolg?Wie schwierig ist es für diese Jungunternehmer, Kapital zu bekommen? Was sind ihre Pläne in der Gründerhauptstadt Deutschlands? „Das Jahr 2009 war rückblickend gar kein schlechtes für eine Firmengründung“, findet Decker. Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise habe es in den Unternehmen wenig Geld gegeben. Aber die Mitarbeiter hätten sich auf Messen und Kongressen von neuen Produkten inspirieren lassen. „Und ab 2011 wurde auch wieder investiert.“ United Internet, DHL, Charité oder etwa SAP wurden Kunden. Die Zahl der Mitarbeiter wuchs bis Anfang 2021 auf rund 500. Im März vergangenen Jahres schließlich verkaufte Signavio das Unternehmen an den Dax-Konzern SAP, der unter seinem neuen CEO Christian Klein das Prozessmanagement zu einem der wichtigsten Wachstumstreiber erklärt hatte – und damit genau den Bereich, in dem Signavio Produkte lieferte und seit der Übernahme unter der Marke SAP Signavio vertreibt. „Wir profitieren seitdem nicht nur von einem besseren Marktzugang und der Skalierung“, sagt Gero Decker. „Wir können den Wachstumskurs von SAP entscheidend mitgestalten.“ Das stärkt auch den Standort. Die Zahl der Beschäftigten liegt mittlerweile bei gut 1.000 an insgesamt mehr als 30 Standorten, davon 400 in Berlin. Wenn SAP im kommenden Jahr in seinen neuen Digital-Campus amHauptbahnhof in das Quartier Heidestraße zieht, stehen dort auch für Decker und sein Team Räume bereit. Noch bereiten die Hiobsbotschaften aus dem Lager der Venture-Capital-Geber auch Sven Przywarra kein Kopfzerbrechen. Mit dem Team seines 2017 gegründeten Start-ups LiveEO hat er zwei große Büroräume in einem alten Industriekomplex vis-à-vis vomHalleschen Tor in Kreuzberg bezogen. Über ihm sitzt ein Pumpenbauer, unter ihm ein Print-Shop. Für seine Kunden, darunter Eon, die Deutsche Bahn und die australische PowerLink, entwickelte LiveEO eine Technologie, umRohdaten von Satelliten so zu bearbeiten, dass die Unternehmen ihre Infrastruktur – darunter Straßen, Schienen, Brücken oder auch Strommasten – überwachen können. „Schon als Kind hat mich die Raumfahrt fasziniert“, erzählt der 27-Jährige. Aus der Passionmachte er schließlich zusammen mit dem Raumfahrtingenieur Daniel Seidel eine Profession. „Satellitendaten stehen global und unabhängig zur Verfügung. Je globaler und geografisch verteilter ein Unternehmen agiert, desto wichtiger werden die Einblicke aus dem All werden, um Geschäftsentscheidungen in einer sich immer schneller wandelndenWelt besser treffen und Ressourcen effizienter nutzen zu können“, erklärt Przywarra. Durch den Zugriff auf Hunderte von Erdobservations-Satelliten imOrbit sei man zum ersten Mal in der Lage, jeden Fleck auf der Erde aus demAll zu überwachen. Mit den Rohdaten könnten die Kunden jedoch wenig anfangen. Erst mit seiner Technologie macht LiveEO die Informationen kompatibel. Über die eigene Web- und Smartphone-App sowie die Integration in Enterprise-Asset-Management-Systeme und API-Schnittstellen fließen sie in die Geschäfts- prozesse der Kunden ein. Satelliten überwachen Leitungen Der Energiekonzern Eon etwa nutzt die LiveEO-Technologie, um seine Stromnetze auf externe Gefahren etwa aus der Vegetation zu analysieren. „Mitarbeiter erkennen so direkt, dass ein Schaden drohen könnte, weil sich zumBeispiel ein Baum auf eine Überlandleitung legt.“ Nach einem Umsatz im siebenstelligen Bereich will LiveEO in diesem Jahr den Umsatz verdreifachen. Das geht nicht ohne ein Aufstocken der Belegschaft, wovon auch der Standort profitiert. Arbeiteten Ende vergangenen Jahres 74 Beschäftigte für das Start-up, sollen es Ende dieses Jahres bereits mehr als 100 sein. Wachstumspotenzial sieht Przywarra neben weiteren Kunden aus dem Infrastruktursektor auch in anderen Branchen wie der Finanz- oder der Forstwirtschaft. Binnen fünf Jahren konnte das Unternehmen acht Mio. Euro bei Venture-Capital-Firmen in Deutschland, Finnland und den USA sowie Fördermittel von öffentlichen Institutionenwie EXIST vom Bundeswirtschaftsministerium einwerben. Noch in diesem Jahr steht mit der Series B die dritte Finanzierungsrunde an. „Über unser Netzwerk, Events und Anfragen kommen wir mit Investoren ins Gespräch“, sagt der CEO. Aus seiner Sicht ist es leichter geworden, imerklärungsbedürftigen Deep-Tech-Bereich Kapital einzusammeln. „Es gibt einfach nicht mehr so viele Opportunitäten imB2C-Bereich, die tief hängenden Früchte haben die Investoren schon gepflückt.“ Geholfen habe LiveEO vor allem, dass manmit dem ersten Kunden, der Deutschen Bahn, einen Beweis für das solide Fundament des Geschäftsmodells liefern konnte. Für Bekanntheit und Renommee sorgten auchWettbewerbe, etwa der Europäischen Sascha Rybarczyk Vorstand botspot AG Das Unternehmen, das 3D-Scanlösungen entwickelt, ist gerade in neue Räume am Standort Niederschöneweide gezogen, die alten waren zu eng geworden. Von derzeit zwei Dutzend Mitarbeitern soll es bald auf das Doppelte bis Dreifache gehen. Kunden für die Systeme sind E-Commerce-Anbieter ebenso wie Medizintechnik-Unternehmen und solche aus der Automotive-Branche. Sascha Rybarczyk Wir gehen davon aus, dass die Themen Digitalisierung und 3D sehr krisenfest bleiben. Vorige Doppelseite: Thomas Staufenbiel Mitgründer und Co-Geschäftsführer Gestalt Robotics Industrielle Softwarelösungen für die Bereiche Industrie 4.0 und künstliche Intelligenz entstehen am Sitz des Start-ups in einem Kreuzberger Gewerbehof. 2016 taten sich die insgesamt drei Gründer und heutigen Geschäftsführer mit ihrer Unternehmens- idee zusammen. Den Erfolg sichert ein hoch spezialisiertes Team. FOTO: CHRISTIAN KIELMANN SCHWERPUNKT | Gründerhauptstadt 22 IHK BERLIN | BERLINER WIRTSCHAFT 07-08 | 2022

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