Berliner Wirtschaft Juli & August 2022

AUF DAS MOMENTUM KOMMT’S AN Trotz Delle bei den Kapitalgebern: Start-ups aus dem Industriebereich finden in Berlin gute Bedingungen. Die Gründer blicken optimistisch in die Zukunft von Eli Hamacher Den Zeitpunkt für eine Gründung hätte Gero Decker eigentlich nicht schlechter wählen können. Weltweit hielt gerade die internationale Finanzkrise dieWirtschaft fest im Griff, als der damals 26-Jährige und drei jüngere Kommilitonen sich 2009 daranmachten, mit einem Start-up unternehmerische Erfahrungen zu sammeln. „Sicher war eine Portion jugendlicher Leichtsinn im Spiel“, erinnert sich Decker, der amPotsdamer Hasso-Plattner-Institut amLehrstuhl Software Engineering studiert und promoviert hatte. Aber, und das macht Deckers Geschichte noch spannender: „Berlinwar damals noch gar keine Gründungshauptstadt. Gründen war nicht wie heute das Natürlichste der Welt, sondern eher abwegig.“ Mit Gleichgesinnten habe er sich im Kreis der „Anonymen Unternehmer“ getroffen, um sich auszutauschen und gegenseitig Mut zuzusprechen. Sein Geschäftsmodell: mit der kollaborativen Gestaltung von Geschäftsprozessen die betrieblichen Abläufe im Unternehmen effizienter zu gestalten. Abgeleitet aus dem italienischen Wort „segnavia“ fürWegweiser, wurde schließlich nach dem Austausch zweier Buchstaben der Firmenname Signavio. Dass es schnell erfolgreich für das Berliner Start-up lief, verdankten die Gründer auch ihremersten Kunden, der AOK Brandenburg. Auf Messen und Kongressen, die Signavio damals regelmäßig besuchte, konnten die Mitarbeiter mit dieser Referenz weitere Kunden von ihrem Produkt überzeugen. Trotz der mittlerweile schwierigeren Finanzierung für Start-ups ist Decker überzeugt: „Wenn das Geschäftsmodell und die Zahlen stimmen und Kunden überzeugt werden können, finden sich immer noch Kapitalgeber.“ Mit dem Krieg fielen die Bewertungen Noch Anfang des Jahres herrschte in der Szene Jubelstimmung. 17,4Mrd. Eurowaren 2021 in deutsche Start-ups investiert worden –mehr als in den vorherigen drei Jahren zusammen, meldete das EY Startup-Barometer Deutschland. Nach Berlin floss Risikokapital in Höhe von 10,5 Mrd. Euro, das waren sieben Mrd. Euro mehr als ein Jahr zuvor. Doch mit Ausbruch des russischen Angriffskrieges in der Ukraine, galoppierender Inflation und deutlich eingetrübten Konjunkturaussichten fielen auch die Firmenbewertungen und damit die Aussichten auf erfolgreiche Finanzierungsrunden. „Den Start-ups droht das Geld auszugehen“, titelte etwa das „Handelsblatt“ unlängst. Erste namhafte Start-ups steuerten bereits mit Entlassungen gegen. Und mit welchen Geschäfts- » 21 IHK BERLIN | BERLINER WIRTSCHAFT 07-08 | 2022

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