Berliner Wirtschaft Juli & August 2022

BERLINER Wirtschaft Das Magazin der Industrie- und Handelskammer zu Berlin 07-08/2022 berliner-wirtschaft.de Berlin, wo sonst? Für Start-ups in den Bereichen Industrie 4.0 und KI ist die Hauptstadt erste Wahl, sagt Gründer und Merantix-Chef Adrian Locher. Hier finden sie ihre internationalen Teams Seite 20, Interview Seite 28 Gast im LEH Senatorin Bettina Jarasch wirbt bei Unternehmerschaft für die Mobilitätswende Seite 16 IHK-Präsident Vollversammlung wählt Sebastian Stietzel ins Spitzenamt Seite 10 Präsidium der IHK stellt 3+1-Strategie vor Businesspläne für einen attraktiven Standort S. 18

EIN SINNLICHER SOMMERABEND BEWEGENDE BÜHNENSHOWS GENUSSVOLLE GOURMETWELTEN pariete-berlin.de DU BIST. WIR SIND.

Legen wir gemeinsam los! Sie haben gewählt. Und wir – die Mitglieder der IHK-Vollversammlung, des Präsidiums und ich als neu gewählter IHK-Präsident – freuen uns darauf, loszulegen. An erster Stelle steht für uns die Umsetzung unserer 3+1-Strategie, die wir in den vergangenen sechs Monaten mit ausgewiesenen Experten entwickelt haben. Entstanden sind 21 Produktideen für eine pragmatische Stadtentwicklung, eine funktionierende Verwaltung, eine wirksame Bildung und ein nachhaltiges Berlin (s. S. 18). Auf dem IHK-Sommerfest haben wir diese Ideen der Regierenden Bürgermeisterin überreicht: als unseren Beitrag, unser Angebot, gemeinsam Berlins Baustellen anzugehen. Denn darum geht es: Mit vereinten Kräften Berlin besser und erfolgreicher zu machen. Das gilt im Übrigen auch für die IHK Berlin und ihre Vollversammlung. Nur gemeinsam können wir der Stimme der Berliner Wirtschaft noch mehr Nachdruck verleihen. „Gemeinsam“ ist durchaus wörtlich gemeint. Denn die VV hat nicht nur einen Präsidenten gewählt, sondern ein 13-köpfiges Präsidium, das die Vielfalt und Kompetenz der Berliner Wirtschaft widerspiegelt. Gemeinsam wollen wir den Wirtschaftsstandort Berlin nach vorne bringen. Lassen Sie uns gleich damit anfangen! Ihr Die „Berliner Wirtschaft“ gibt es auch online: berliner-wirtschaft.de Sebastian Stietzel ist Präsident der IHK Berlin und Geschäftsführer der Marktflagge GmbH, Management & Investments ZEICHNUNG: ANDRÉ GOTTSCHALK; TITEL: AMIN AKHTAR 03 IHK BERLIN | BERLINER WIRTSCHAFT 07-08 | 2022 Standort Shopping-Malls müssen sich weltweit neu erfinden. Auch der Potsdamer Platz soll eine größere Anziehungskraft entfalten. Der Investor, der das Areal bereits vor Corona erworben hatte, setzt jetzt seine Pläne um: Mehr Licht, hochwertiges Design, Entertainment und vielfältige Gastronomie sind das Ziel. Seite 32 EDITORIAL

20 Gründerhauptstadt Industrie-Start-ups wie der 2016 von Thomas Staufenbiel mitgegründeten Gestalt Robotics GmbH bietet Berlin gute Bedingungen Magazin imWeb Ausgewählte Inhalte und das komplette E-Paper: berliner-wirtschaft.de Agenda 10 Vollversammlung Sebastian Stietzel zum neuen IHK-Präsidenten gewählt 12 Sommerfest Knapp 2.000 Gäste kamen zu IHK-Party und Zukunftsmesse 16 Wirtschaftspolitisches Frühstück Gast: Senatorin Bettina Jarasch 18 Businesspläne IHK präsentiert Lösungen für die Herausforderungen Berlins 03 Editorial 06 Entdeckt 08 Kompakt 49 Impressum 65 Gestern & Heute 66 Nachhaltigkeit Schwerpunkt 20 Gründerhauptstadt Auch wenn Kapitalgeber nicht immer leicht zu finden sind, ist die Hauptstadt für Industrie-Start-ups ein gutes Ökosystem 27 Service Die IHK berät junge Gründer zu allen relevanten Themen 28 Interview Für Adrian Locher, Mitgründer von Merantix, steht fest, dass Deeptechs viele Probleme dieser Zeit lösen können Branchen 32 Shopping-Malls Wie der Potsdamer Platz wieder attraktiver werden soll 36 Start-up Caroline Mitterdorfer, CEO von Levy Health, im Kurzinterview 38 Unternehmensporträt Paul Kündiger setzt mit seiner Druckerei auf Nachhaltigkeit 43 Unternehmenshistorie Als die Fleischwirtschaft in Berlin einen Boom erlebte inhalt | Juli-August 2022 FOTO: CHRISTIAN KIELMANN 04 IHK BERLIN | BERLINER WIRTSCHAFT 07-08 | 2022

IHK-Gast Verkehrssenatorin Bettina Jarasch warb beim Wirtschaftspolitischen Frühstück für ihr Mobilitätskonzept 16 Fachkräfte 44 Jobmesse IHK-Forum für Geflüchtete vermittelte viele Mitarbeiter 46 Ehrenamt Prüfer engagieren sich für die Veranstaltungsbranche 47 Integration Neue Regionalbotschafterin für DIHK-Netzwerk 51 Berufsorientierung Mit Karriere Kick spielerisch zu künftigen Fachkräften Ihre Meinung ist gefragt! Wir möchten immer besser werden. Bitte geben Sie uns ein kurzes Feedback zur „Berliner Wirtschaft“: ihk-berlin.de/feedback-magazin Service 54 Konfliktprävention Spannungen schaden – wie man sie löst 56 Know-how-Transfer IHK-Format „Mittelstand trifft Start-ups“ gestartet 59 Nachhaltigkeit IHK Berlin veranstaltet Festival am 25. August 62 Gesellschaftsrecht Gründung einer Firma jetzt auch online möglich Amtswechsel Der neue IHK-Präsident Sebastian Stietzel (l.) dankt seinem Vorgänger Daniel-Jan Girl beim Sommerfest für dessen Engagement 12 FOTOS: AMIN AKHTAR, INES MEIER das uns! Überlassen Sie Professionelle Entsorgungslösungen für: Gewerbeabfälle Bedarfsgerechte Konzepte zur Erfassung Ihrer gemischten Gewerbeabfälle – entsprechend der Gewerbeabfallverordnung Altpapier Beste Preise für Industrie, Handel, Gewerbe, Wohnungswirtschaft und Privathaushalte Gewerbefolien Kostengünstige und umweltgerechte Wertstoffentsorgung Andere Abfälle Zuverlässige Erfassung aller anderen Abfälle zur Verwertung (Glas, Holz, Schrott, E-Schrott) Bartscherer & Co. Recycling GmbH Montanstraße 17-21 13407 Berlin Tel: (030) 408893-0 Fax: (030) 408893-33 www.bartscherer-recycling.de Bestellungen direkt im Onlineshop. Günstige Pauschalpreise für Umleerbehälter von 240 l bis 5,5 cbm.

Kein Start-up, das etwas auf sich hält, ohne Tischkicker. Die Spielgeräte mit den Drehstangen und rasant fliegenden Bällen gehören zur jungen Unternehmenskultur, die Konzerne inzwischen häufig kopieren. Dass das Büro- und Freizeitvergnügen auch als Mannschafts- und Leistungssport betrieben wird, ist weniger bekannt. Oke Harms gehört zu den Besten am Tisch. Und der Nationalspieler hat seine sportliche Leidenschaft zur Profession gemacht. 2008 übernahm er den zwei Jahre zuvor eröffneten Fachhandel Kickerkult. In der Tischfußball-Bundesliga spielt der Berliner beim erfolgreichen Verein Hannover 96. Deutsche Meisterschaften hat er ebenso erkickert wie Europa- und Weltmeistertitel. Im Kickerkult-Showroom an der Joachimsthaler Straße gibt es die Tische zum Anschauen und Ausprobieren sowie für Events und Kurse. Bei denen unterrichtet Weltmeister Harms selbst an Profitischen. Zu seinem Angebot, das vielfach über den Onlineshop verkauft wird, gehören auch Billardtische, Tischtennisplatten und weitere Freizeitgeräte. Aber das Herz des Geschäfts schlägt am Tischkicker. Der richtige Dreh FOTO: ULRICH SCHUSTER 06 IHK BERLIN | BERLINER WIRTSCHAFT 07-08 | 2022 EINSTIEG | Entdeckt

07 IHK BERLIN | BERLINER WIRTSCHAFT 07-08 | 2022 EINSTIEG | Entdeckt

Der Bahnhof Zoo erlebt eine Renaissance. Bereits seit Dezember vergangenen Jahres halten dort wieder einige Fernzüge – nach 15-jähriger Unterbrechung. Als die Deutsche Bahn (DB) die traditionsreiche Anbindung des Berliner Westens mit der Eröffnung des Hauptbahnhofs 2006 abkoppelte, regte sich Protest bei Bürgern, Bezirk und AG City. „Hände weg vom Bahnhof Zoo“, hieß es damals – vergeblich. Nun aber blüht das zarte Pflänzchen Hoffnung am Gleis. Der frisch in den DB-Aufsichtsrat entsandte Grünen-Bundestagsabgeordnete Stefan Gelbhaar will sich für mehr ICEHalte am Zoo starkmachen. Und sieht gute Chancen dafür. Das Argument, dadurch verlängerten sich die Fahrzeiten, zieht nicht. Bahnfahrer wissen, dass das Zuggedrängel auf der Stadtbahn ohnehin oft zu Stopps am Zoo führt. Türen auf, Kunden glücklich: Es kann so einfach sein. Zug zum Zoo typisch berlin Die Mitglieder des Bündnisses Wohnungsbau haben sich auf Ziele für beschleunigtes Bauen und bezahlbares Wohnen geeinigt Ein starkes Signal „Mit der Vereinbarung setzt das größte deutsche Wohnungsbaubündnis ein starkes Signal gegen Enteignung und für überfällige Investitionen, Modernisierung und Neubau. Nach vier Monaten des intensiven Dialogs ist ein Kompromiss gelungen, der den Zielkonflikten zwischen bezahlbarem Wohnraum, Klimaschutz und Wirtschaftlichkeit gerecht wird. gesagt 7.820 menschen wurden 2021 in Berlin eingebürgert. Das sind 22 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Die Zahl der eingebürgerten syrischen Staatsangehörigen hat sich mit 605 Personen im Vergleich zu 2020 mehr als verdoppelt. Jan Eder, Hauptgeschäftsführer IHK Berlin EINSTIEG | Kompakt 08 IHK BERLIN | BERLINER WIRTSCHAFT 07-08 | 2022

kopf oder zahl Daniel Herrmann Christoph Donner ist zum dritten Vorstandsmitglied des Berliner Projektentwicklers Bauwert berufen worden. Er übernimmt die Verantwortung für die Ressorts Gewerbeimmobilien, Business Development sowie Marketing/PR und Personal. Herrmann war zuvor Managing Director bei der Patrizia AG im Berich Fund Management. wird 2023 den Vorstandsvorsitz sowie das Technikressort bei den Berliner Wasserbetrieben übernehmen. Bis dahin wird Finanzvorstand Frank Bruckmann das Amt weiterhin interimistisch ausüben. Prof. Dr. Donner wechselt von den Harzwasserwerken, wo er seit 2017 als Technischer Geschäftsführer tätig ist, nach Berlin. Der Berliner Senat will sechs Mio. Euro aus seinem Innovationsfonds für Erkundungsbohrungen zur Verfügung stellen, um die Potenziale der Tiefen-Geothermie zu ermitteln. Drei Standorte werden dafür gerade von Experten des Staatlichen Geologischen Dienstes festgelegt. Unter Berlin wird in 2.000 Meter Tiefe 60 Grad warmes Salzwasser vermutet. Das Fraunhofer Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE schätzt das Potenzial für Tiefen-Geothermie in Berlin auf 450 Megawatt thermische Energie – so viel liefern drei Kohle- oder Gas-Kraftwerke. bw Senat fördert Erkundungsbohrungen tiefen-geothermie Der Engpass wächst Bei beruflich qualifizierten Fachkräften wird sich die Angebotslücke stärker ausweiten als bei Akademikern berliner wirtschaft in zahlen Grafiken: BW Quelle: IHK-Fachkräftemonitor Fachkräfte werden bis 2030 in Berlin fehlen. Darunter sind 213.000 Jobs für beruflich Qualifizierte. Christian Nestler, IHK-Experte für Statistik Tel.: 030 / 315 10-286 christian.nestler@berlin.ihk.de 57,5% der elektrischen pkw in Berlin werden gewerblich genutzt. Das zeigen aktuelle Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamts. Insgesamt waren am 1. April bereits 37.363 elektrische Pkw in Berlin im Bestand. 261.000 2021 2022 2023 2024 2026 2027 2028 2029 2030 2025 81 102 90 89 104 133 171 211 235 261 0 50 100 150 200 250 300 Beruflich Qualifizierte Akademisch Qualifzierte in Tausend Insgesamt FOTOS: GETTY IMAGES/ARTUR DEBAT, RAINER KURZEDER, BERLINER WASSERBETRIEBE/JACK HOYER, BAUWERT AG, GETTY IMAGES/TIMANDTIM 09 IHK BERLIN | BERLINER WIRTSCHAFT 07-08 | 2022 EINSTIEG | Kompakt

Auf ihrer konstituierenden Sitzung Ende Juni hat die Vollversammlung der IHK Berlin mit Sebastian Stietzel für die nächsten fünf Jahre ihren neuen Präsidenten gewählt von Eric Hattke Die Weichen gestellt 10 IHK BERLIN | BERLINER WIRTSCHAFT 07-08 | 2022 agenda Vollversammlung

Mit stehenden Ovationen wurde Daniel-Jan Girl aus seinem Amt als Präsident der IHK Berlin verabschiedet. Es war eine sichtlich bewegte Abschiedsrede, die Girl vor den Mitgliedern der sich am 28. Juni konstituierenden Vollversammlung hielt. Er bedankte sich für das entgegengebrachte Vertrauen und appellierte an die Gewählten, ihre Stimme zu nutzen, um mit Mut für positive Veränderungen der Stadt zu kämpfen. Zugleich zeigte er sich erfreut über den hohen Anteil an Unternehmerinnen, die in der neuen Vollversammlung die Hälfte aller Mandate stellen. Dies sei laut Girl ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Die Vollversammlung bilde dadurch noch besser die Vielfalt der Berliner Wirtschaft ab. Nachhaltigkeit stellte er in seiner Rede als das zentrale Zukunftsthema für die Berliner Wirtschaft heraus, die in all ihren Facetten weiterentwickelt werden müsse. Zudem brauche es dringend Freiräume für wirtschaftlichen Erfinder- und Umsetzungsgeist, um notwendige Produkte schnell in Anwendung zu bringen. Die Vollversammlung dankte Girl für seinen langjährigen Einsatz, der vor mehr als 17 Jahren in der IHK Berlin begann. Nach dem emotionalen Abschied stellten sich die beiden Kandidaten für die neue Präsidentschaft, die turnusgemäß fünf Jahre dauert, den Fragen der Vollversammlung. Bereits im Vorfeld hatten die zwei Unternehmer ihre Kandidatur angekündigt und ihre Positionen klargestellt. Sebastian Stietzel, der als Erster seine Kandidatur bekannt gegeben hatte, führt als Unternehmer die beiden Mittelstandsbeteiligungsgesellschaften Marktflagge und German Future Ven- tures. Seit bereits 20 Jahren ist er in der IHK Berlin und demDIHK engagiert, zuletzt als Vizepräsident. Gemeinsammit Daniel-Jan Girl und dem Vizepräsidenten Robert Rückel gab Stietzel neue Impulse zur Verzahnung zwischen Haupt- und Ehrenamt der IHK Berlin. Einen Meilenstein dieser Arbeit bildete die Präsentation der 3+1-Businesspläne (s. auch Seite 18), die durch unabhängige Expertenteams erarbeitet wurden. Unter den Überschriften „Funktionierende Stadt“, „Wirksame Bildung“, „Pragmatische Stadtentwicklung“ und „Ideen für die nachhaltigeWirtschaftsmetropole vonmorgen“ zeigen diese konkrete Lösungsansätze für Berliner Herausforderungen auf. Als Vorsitzender des Kompetenzteams Mittelstand fokussierte Stietzel zudem den direkten Austausch zwischen Unternehmern und politischen Entscheidungsträgern. Als weitere Kandidatin trat Barbara Jaeschke an, Inhaberin des GLS Sprachenzentrums und des Hotels Oderberger in Berlin-Prenzlauer Berg. Seit 1986 ist sie Mitglied der Berliner IHK und seit fünf Jahren Mitglied der Vollversammlung. Das GLS Sprachenzentrum bietet 150 Arbeitsplätze in den Bereichen Bildung, Tourismus und Event Management. Nach den Redebeiträgen der einzelnen Kandidaten und vielfältigen Rückfragen der Vollversammlung zur Gewichtung der anstehenden Themen, den Einflussmöglichkeiten der Kammer auf Beschleunigungsprozesse der Berliner Verwaltung und dem Umgang mit dem Fachkräftemangel wurden die 99 Mitglieder zur Stimmabgabe gebeten. Bei der geheimen Abstimmung vereinte Sebastian Stietzel 62 Stimmen auf sich, Barbara Jaeschke 27 Stimmen. Es gab drei Enthaltungen. Zu seinem Wahlsieg sagte Sebastian Stietzel: „Ich danke der Vollversammlung für ihr Vertrauen und meiner Mitbewerberin für den fairen Wahlkampf. Ich freue mich darauf, die Berliner Wirtschaft gemeinsammit einem starken Präsidiumsteam vertreten zu dürfen und den Erneuerungskurs der IHK fortsetzen zu können.“ Barbara Jaeschke gratulierte dem neu gewählten Präsidenten und wünschte ihm viel Erfolg für die vor ihm liegenden Herausforderungen. „Ich möchte mich bei ihm für den fairen, demokratischenWahlkampf bedanken und werde die Vollversammlung der IHK natürlich auch weiterhin tatkräftig unterstützen“, so Jaeschke. Mit Sebastian Stietzel wählte die Vollversammlung ihren zehnten Präsidenten seit 1950. Als Vizepräsidentinnen und Vizepräsidentenwurden Sonja Jost (DexLeChemGmbH), Robert Rückel (Deutsches Spionage MuseumDSMGmbH), Stefan Spieker (Fröbel International GmbH) und Lana Witttig (Edition F GmbH) gewählt. ■ Sebastian Stietzel (gr. Foto) wurde mit 62 Stimmen von der Vollversammlung zum neuen IHK-Präsidenten gewählt. Sein Vorgänger, Daniel-Jan Girl (Foto r.), appellierte in seiner Abschiedsrede im Ludwig Erhard Haus an den Veränderungswillen der Unternehmer und bedankte sich für das entgegengebrachte Vertrauen Die Wahl im Ludwig Erhard Haus: IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder mit den Kandidaten Barbara Jaeschke und Sebastian Stietzel sowie der Justiziar der IHK, Daniel Fiebig, beim Einsammeln der Stimmen (v. l.) Sebastian Stietzel IHK-Präsident Ich freue mich darauf, den Erneuerungskurs der IHK fortsetzen zu können. FOTOS: AMIN AKHTAR 11 IHK BERLIN | BERLINER WIRTSCHAFT 07-08 | 2022

Rund 2.000 Gäste feierten in und vor dem Ludwig Erhard Haus die Sommerparty der Berliner Wirtschaft und besuchten die Stände der Zukunftsmesse von Holger Lunau Treffpunkt Fasanenstraße 2 4 1 3 AGENDA | Sommerfest 12 IHK BERLIN | BERLINER WIRTSCHAFT 07-08 | 2022

8 9 Der Neujahrsempfang konnte auch in diesem Jahr wegen Corona nicht stattfinden, also entschied sich die IHK Berlin, stattdessen zum ersten Mal ein Sommerfest zu feiern. Fast 2.000 Gäste folgten am 28. Juni der Einladung ins Ludwig Erhard Haus und auf die Fasanenstraße, die auf dem entsprechenden Stück extra für die Party abgesperrt worden war. Bei herrlichem Wetter trafen sich auf der Festmeile viele Unternehmer, ehrenamtlich tätige Helfer wie Ausschussmitglieder, Prüfer, Schlichter sowie zahlreiche Politprominenz. So statteten unter anderem die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey, Umweltsenatorin Bettina Jarasch, Wirtschaftssenator Stephan Schwarz, die Senatorinnen Iris Spranger, Katja Kipping, aber auch die Ex-Regierungschefs Michael Müller und Klaus Wowereit der IHK einen Besuch » (1) Premierenauftritt des neuen Präsidiums der IHK Berlin (2) Charité-Vorständin Astrid Lurati mit Karl Max Einhäupl (Kuratorium FU Berlin) (3) Klaus-Günter Lichtfuß (Behala) mit Ehefrau Susanne (4) IHK-Präsident Sebastian Stietzel, Sozialsenatorin Katja Kipping, Dr. Ramona Schröder (Regional- direktion der Arbeitsagentur) und Wirtschaftssenator Stephan Schwarz (v. l.) (5) Strahlende Kulisse Ludwig Erhard Haus (6) Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey im Gespräch mit Sebastian Stietzel (7) Jörg Schieferdecker, Concordia Versicherungen, mit Ehefrau Cornelia (8) Andrej Hermlins Swing-Orchester (9) Christine Richter, „Berliner Morgenpost“, und der Berliner CDUChef Kai Wegner 5 7 6 FOTOS: AMIN AKHTAR (5), INES MEIER AGENDA | Sommerfest

ab. Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltung bis zum späten Abend von Andrej Hermlin und seinem Swing-Orchester. Für die kulinarischen Highlights sorgte das Catering-Unternehmen Berlin Cuisine, das sich eine nachhaltige Präsentation der Speisen und Getränke auf die Fahne geschrieben hat. Die Eröffnung des Sommerfestes war zugleich die erste Amtshandlung des neuen IHK-Präsidenten Sebastian Stietzel. Wenige Augenblicke zuvor hatte ihn die IHK-Vollversammlung in ihrer kons- tituierenden Sitzung ins Amt gewählt, wozu ihm auch die Regierende Bürgermeisterin gratulierte. Diese machte dann in ihrer Rede deutlich, dass die ehrenamtliche Tätigkeit des IHK-Präsidenten zum Wohle der Berliner Wirtschaft keine leichte sein dürfte. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie, des Ukraine-Krieges und der drohenden Energie-Krise stellten auch die Berliner Unternehmen vor große Herausforderungen. Und Themen wieWohnungsbau und Verkehr müssten ebenfalls vorangebracht werden. Wie hauptstädtische Firmen und Institute sich demThema Nachhaltigkeit, Ressourcenschonung und Stadtumbau stellen, konnten dann bei einem Rundgang Franziska Giffey und die Gäste auf einer kleinen Zukunftsmesse erfahren. So stellte die Nex Aero GmbH das Modell eines wasserstoffbetriebenen Lufttaxis mit einer Reichweite von bis zu 600 km vor. Die Second Ride GmbH erläuterte an ihremStand ihr Konzept zumUmbau von Verbrenner- auf Elektromotoren bei Mopeds. Das IFAF Berlin – Institut für angewandte Forschung Berlin präsentierte einen humanoiden Roboter, der Dienstleistungen in Senioren- und Pflegeheimen übernehmen kann. Und großes Interesse weckte auch der schon im Testbetrieb automatisch fahrende Elektro-Shuttlebus der EasyMile GmbH, auch wenn das komplett fahrerlose Reisen noch nicht möglich ist. Nach einer langen coronabedingten Veranstaltungspause, die von der IHK zum Umbau der Eingangshalle des Ludwig Erhard Hauses genutzt wurde, konnten die Gäste auch wieder von der Passage Besitz ergreifen. Der Eingangsbereich ist in allen Belangen modernisiert worden und präsentiert sich als ein Ort für Kommunikation, Begegnung und Service. Dazu gehören ein zentraler Empfangscounter, farbige Sitzmöbel und ein neues, schickes Bistro.  ■ (1) Claudia Große- Leege (Geschäftsführerin VBKI), Marion Bleß (Vorstand Deutsche Klassenlotterie), Silke Richter (IHK), Roland Sillmann (CEO Wista; v. l.) (2) Elektro-Shuttlebus von EasyMile auf der Zukunftsmesse (3) Kalonji Tshaba, nji-music GmbH (4) Michael Müller, MdB und ehemaliger Regierender Bürgermeister von Berlin (5) Bernd Stumpf und Katharina Flämig von INFRADianba (6) Ivo Boblan, Professor an der BHT, mit Roboter Myon (7) IAV präsentierte „Elcty“ zur Dekarbonisierung von Bussen 3 4 5 6 7 1 2 FOTOS: AMIN AKHTAR (2), INES MEIER 14 IHK BERLIN | BERLINER WIRTSCHAFT 07-08 | 2022

Der Berliner CDO setzt auf mehr Verbindlichkeit bei der Verwaltungsmodernisierung, wie er beim Stadtgespräch des IHK-Kompetenzteams Mittelstand verdeutlichte Frische Brise in den Amtsstuben? Mit Spannung war der erste Auftritt des Berliner Chief Digital Officers (CDO) in der IHK erwartet worden. Auf Einladung des Kompetenzteams Mittelstand war es Mitte Juni so weit. Dr. Ralf Kleindiek stellte sich im Rahmen des Stadtgesprächs Mittelstand den Fragen der Wirtschaft zu den Aussichten auf eine moderne, digitale Verwaltung. Vorab gesagt, mit dem Staatssekretär scheint eine andere Gesprächskultur zwischen Politik und Wirtschaft einzuziehen, als Berliner Unternehmerinnen und Unternehmer sie in der letzten Legislatur erfahren mussten. Man lehnt sich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn man von einer angenehmen Offenheit und Interesse für die Belange der Wirtschaft spricht – eine gute Ausgangsposition. Für die rund 25 Anwesenden im Stadtgespräch stand eine Frage oben auf der Agenda: Wie will der CDO die Brücke schlagen von jahrelangen, vollmundigen Ankündigungen hin zu spürbaren Verbesserungen der Serviceleistung der Verwaltung? Daran sind bisher alle verantwortlichen Vorgänger gescheitert. Für den Modernisierer Kleindiek liegt der Schlüssel in der verbindlichen Umsetzung von bestehenden und gegebenenfalls noch zu optimierenden Gesetzen – Stichwort E-Government- Gesetz – sowie in der unbedingten politischen Unterstützung durch die Regierende Bürgermeisterin. Verwaltungsmodernisierung ist zur Chefinnensache erhoben worden, ihre Umsetzung wird zukünftig durch eine Reihe von Senatsbeschlüssen flankiert, die laut Kleindiek schon konkret in Arbeit sind. Jedes Ressort muss sich committen und steht in der Umsetzungspflicht. Für Berliner Verhältnisse untypisch, hat sich der CDO auch auf konkrete Aus- beziehungsweise Zusagen eingelassen, an denen er sichmessen lassenmuss. So wird seiner Auffassung nach spätestens bis Herbst nächsten Jahres das elektronische Baugenehmigungsverfahren in Berlin zur Realität. Die Unternehmerschaft möchte ihm glauben und hofft, dass Berlin dadurch die Servicelücke zu verschiedenen anderen Bundesländern verringert und den Betrieben die bisher mehrere Papier- ordner umfassende Beantragung erleichtert. Einweiterer Paukenschlag ließ die Herzen der Anwesenden höherschlagen und markiert einen zweiten wesentlichen Unterschied zu bisherigen Ansprechpartnern: Aus Sicht von Dr. Kleindiek spricht nichts dagegen und viel dafür, eines der geplanten fünf zusätzlichen Bürgerämter rein digital aufzustellen. Es ist unglaublich, dass diese jahrelange Forderung der Wirtschaft nun auf offene Ohren stößt. Und ja, konkrete Forderungen, was es zur Realisierung braucht, liegen bereits auf dem Tisch. Im Businessplan für die Funktionierende Stadt, den ein Expertenteam aus verschiedenen Stakeholdern auf Initiative der IHK erarbeitet hat, ist das Digitale Bürgeramt eines von fünf priorisierten Produkten. bw Zu Gast in der IHK: der Berliner CDO Dr. Ralf Kleindiek (r.) mit IHK-Präsident Sebastian Stietzel FOTO: IHK BERLIN 15 IHK BERLIN | BERLINER WIRTSCHAFT 07-08 | 2022 AGENDA | Verwaltungsmodernisierung

Umwelt- und Verkehrssenatorin Bettina Jarasch forderte von der Wirtschaft Rückendeckung für die Energie- und Mobilitätswende in der Hauptstadt von Dr. Lutz Kaden Genug geplant, jetzt kommt die Umsetzung AGENDA | Wirtschaftspolitisches Frühstück

Publikumsfragen: Philipp Bouteiller von der Artprojekt Entwicklungs GmbH (o.) mahnte mehr Effizienz in der Umwelt- verwaltung an. Taxi-Unternehmer Richard Leipold kritisierte den neuen BER-Tarif, mit dem kein Mindestlohn möglich sei Umsetzen statt weiterer Planungsrunden – so brachte Bettina Jarasch ihr Credo auf den Punkt. Bei den Zielsetzungen und den großen Linien der Energie- und Mobilitätspolitik sieht sie inzwischen einen breiten Konsens. Und angesichts der verpflichtenden Klimaziele gäbe es auch keine Alternative zum direkten Weg zur Klimaneutralität 2045. Da die Herausforderungen dabei immens sind, warb die Senatorin für Umweltschutz, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz mit Nachdruck um die Unterstützung der Berliner Wirtschaft, deren vorrangiges Nachhaltigkeitsziel der vorherige IHK-Präsident Daniel-Jan Girl bereits in seiner Begrüßung klargestellt hatte. Die vielfältigen Diskussionen der letzten Legislatur um Mobilitätsgesetz, Luftreinhaltung und Infrastrukturausbau hätten wichtige Grundlagen geschaffen. Darauf müssten nun zügig Maßnahmen folgen, die den Abschied vom Auto in der Stadt erleichtern. Natürlich steckten dabei in jedem Straßenraum eigene Interessenkonflikte. Aus dem Ärger um die sogenannte Flaniermeile Friedrichstraße habe man gelernt und steuere jetzt nach. Auch für die anderen Projekte wünscht sie sich von den Unternehmen Akzeptanz für den Rückbau von Parkplätzen für neue Radstreifen, Fußwege, Busspuren. Das Parken in den Untergrund zu verlagern, wie von mehreren Gästen gewünscht, kommt dabei für sie nicht infrage, weil Tiefgaragenbau CO2 produziert und zugleich das falsche Signal setze. Und das gelte eben auch für die A100, derenWeiterbau gerade nicht für ein Weniger an Kraftverkehr sorgen könne. Das Bürgerbegehren „Berlin autofrei“ habe sie trotzdem abgelehnt, da erst Alternativen geschaffen werden müssten. Zudem bräuchte es statt der Abgrenzung der Innen- gegen die Außenbezirke eine integrierte Verkehrspolitik für die gesamte Stadt und ihre Umgebung. Deshalb habe sie gemeinsam mit ihrem Brandenburger Amtskollegen Guido Beermann jetzt Entscheidungen zum Ausbau von Bahnstrecken getroffen. Auch beim leidigen BER-Taxi-Thema konnte sie einen ersten Erfolg vermelden. Künftig dürfen dort 100 Berliner Taxis mehr vorfahren und müssen zumindest abends nicht mehr je einen Brandenburger Kollegen vorlassen. Scharfe Kritik kam vomTaxi-Unternehmer Richard Leipold wegen des neuen einheitlichen BER-Tarifs. Mit den zu geringen Kilometer-Preisen lasse sich kein Mindestlohn erwirtschaften. Dies werde bei der laufenden Anpassung des Berliner Tarifs berücksichtigt, so die Zusage der Senatorin. Als eine Art GEZ für den Nahverkehr verstand IHK-Hauptgeschäftsführer und Moderator Jan Eder den Vorschlag der Politikerin, alle erwachsenen Berlinerinnen und Berliner zumKauf einer Umweltkarte zu verpflichten. Eine Monatskarte bräuchte nur rund 20 Euro zu kosten, wenn ausnahmslos alle diese sogenannte Solidarische Umlage bezahlten. Dass dann viele umsteigenwürden, ist für sie eine klare Erkenntnis des 9-Euro-Tickets, das enorm positiv angenommen wird. Ob große Windräder, die sie sich auf Berliner Gewerbeflächen vorstellen kann, ebenso positiv aufgenommen würden, ist dagegen unwahrscheinlich. Philipp Bouteiller von der Artprojekt Entwicklungs GmbH schilderte seine Erfahrung mit der Umweltverwaltung bei diesem Thema als ein verhinderndes Gegeneinander der Abteilungen. Das muss schnell anders werden, denn das Berliner Klimaziel bedeutet für 2030 stolze 70 Prozent weniger CO2 als 1990, bis 2045 sind es 95 Prozent. Da die tief hängenden Früchte bereits geerntet seien, müsste das Tempomindestens verdoppelt werden. Dazu werde sie mit den Bezirken diskutieren, wie Solardächer schneller genehmigt werden könnten. Und es braucht Tausende Fachkräfte in den Klimaberufen für die Umsetzung. Eine Botschaft hörten die anwesenden Unternehmerinnen und Unternehmer auf jeden Fall gern. „Die Tangentialverbindung Ost bekommen Sie vonmir.“ Und einig waren sich auch alle, dass der „Tankrabatt“ ein guter Kandidat wäre für das Unwort des Jahres 2022. ■ Bettina Jarasch Ich bin bekennende Ordoliberale – mit Betonung auf Ordo. 100 Berliner Taxis mehr dürfen künftig am BER vorfahren, auch müssen sie zumindest abends nicht mehr je einen Brandenburger Kollegen vorlassen. FOTOS: AMIN AKHTAR 17 IHK BERLIN | BERLINER WIRTSCHAFT 07-08 | 2022

Die IHK Berlin, als Vertretung der Wirtschaft der Bundeshauptstadt, leistet als konstruktiver Partner der Politik ihren Beitrag zur Lösung der Herausforderungen der Zukunft und hat sich seit Anfang des Jahres unter der Leitung des Präsidiums in vier Expertenteams mit den drängendsten Fragen Berlins auseinandergesetzt. Unter den Titeln „Funktionierende Stadt“, „Pragmatische Stadtentwicklung“ und „Wirksame Bildung“ sowie dem leitgebenden Thema „Nachhaltige Metropole“ haben mehr als 50 Personen ausWirtschaft, Politik, Wissenschaft und Medien ehrenamtlich ihre Expertise in die Entwicklung von 21 Produktideen für die Bereiche Bildung, Verwaltung und Stadtentwicklung eingebracht, um Berlin nachhaltiger und wirtschaftlich leistungsfähiger zu gestalten. Damit verbunden ist das Angebot an den Berliner Senat, diese Ideen gemeinsam zu diskutieren und umzusetzen. Mit ehrenamtlicher Expertise hat die IHK 21 Produktideen in den Bereichen Verwaltung, Stadtentwicklung und Bildung erarbeitet. Es sind konkrete Lösungsvorschläge für drängende Herausforderungen Businesspläne für Berlins Zukunft FOTO: INES MEIER 18 IHK BERLIN | BERLINER WIRTSCHAFT 07-08 | 2022

„Die Ergebnisse unserer Expertenteams sind ein Beitrag für die weitere Entwicklung unserer Stadt“, so der vorherige IHK-Präsident, Daniel-Jan Girl. Die Produktideen „können wesentlich zur Steigerung der Attraktivität unseres Wirtschaftsstandortes beitragen“, so Girl bei der Vorstellung. Er selbst habe das Themenfeld nachhaltige Metropole geleitet und gemeinsammit weiteren Expertinnen und Experten den anderen Teams bei der Produktentwicklung grundlegende Überlegungen zur Nachhaltigkeit mit an die Hand gegeben. Die Produktideen zeichneten sich durch ihre tiefe fachliche Durchdringung der Materie aus und gingen in ihrer unternehmerischen Herangehensweise weit über den Charakter sonstiger Positionspapiere hinaus. „In der Logik eines ,Businessplans‘ haben wir gemeinsam klare Ziele für das jeweilige ,Produkt‘ entwickelt, Erfolgskriterien definiert sowie konkrete Hinweise für eine Operationalisierung und Einbindung weiterer Stakeholder gegeben“, erläuterte Girl. Präzise benannte Stakeholder Die entwickelten Businesspläne beschränken sich mit einer präzisen Benennung notwendiger Stakeholder nicht auf das sonst so schlicht gehaltene Mantra „die Politik müsste“. Die darin aufbereiteten Lösungsvorschläge seien sehr vielfältig und „werden auch in der neuen Legislatur der IHK-Vollversammlung eine zentrale Rolle spielen“, ergänzte IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder. Im Bereich der Bildung wurden sechs Produktideen entwickelt. Unter anderem geht es hier darum, die Potenziale der frühkindlichen Bildung innerhalb der Bildungskette besser zu nutzen. Als konkreten Lösungsweg schlägt das Expertenteam beispielsweise vor, dass eine DSGVO-konforme Datenbank entwickelt wird, aus deren Daten individuelle Förderbedarfe der Kinder identifiziert werden. Beim Thema Verwaltung wurden fünf Produktideen entwickelt. Hier hat der Vorschlag für ein digitales Bürgeramt bereits bei Gesprächen mit der Politik Anklang gefunden (s. auch Seite 15). Für eine pragmatische Stadtentwicklung hat das Expertenteam zehn Produktideen herausgearbeitet, wobei die Anzahl auch das breite Feld dieses Themengebiets von Wohnungsbau hin zu Zen- trenstärkung sowie Mobilität widerspiegelt. Konkrete Operationalisierungsschritte wurden unter anderembei der Stärkung der Stadtzentren durch die Implementierung einer Zwischennutzungsagentur skizziert. bw 21 Produktideen Funktionierende Stadt Politische Strukturoptimierung Ressortübergreifende Flex Force Automatisierung/Digitalisierung, Service-Optimierung Digitales Bürgeramt (Innovationszentrum) Innovative Vergabe, Datennutzung Serviceteam innovative Beschaffung Personalgewinnung, -entwicklung und -führung Berlin als attraktiver Arbeitgeber Personalgewinnung, -entwicklung und -führung, Service-Optimierung Externe Ressourcen intensiver nutzen Pragmatische Stadtentwicklung Attraktive Stadt – Resiliente Zentren Senatsstelle für praxistaugliches BID-Gesetz schaffen; Zwischennutzung zur Regel machen Neue Baukultur Planwerk Berlin-Brandenburg schaffen; Förderprogramm für selbst genutztes Wohneigentum auflegen; Neubauquartiere als 5-Minuten-Stadt planen; Nachverdichtung in der Innenstadt ermöglichen Beschleunigtes Bauen Baugenehmigungsprüfung outsourcen; Baugenehmigungen beschleunigen Mobile Stadt Mobilitäts-Hubs schaffen – über die ganze Stadt; Anwerbung neuer Langstrecken- und Cityverbindungen am BER Wirksame Bildung Potenziale frühkindlicher Bildung innerhalb der Bildungskette besser nutzen Individuelle Förderung auf Basis der Kita-­ Qualitätsdaten bis Schulstart Produkte für die Wirksamkeit von Schule Ökonomische Bildung in Schule; Systematischer Einsatz und Nutzung von digitalen Produkten, die mathematische und sprachliche Kompetenzen stärken und individuelle Wissenslücken schließen Neue Impulse für die berufliche Bildung Unternehmenspools für Praktika bilden und Praktika zentral sichtbar machen Förderung und Begleitung von Innovationen in Schulen Innovation Lab für Schulen Beim Sommerfest der Kammer übergaben IHK- Präsident Sebastian Stietzel (l.) und sein Amtsvorgänger, Daniel-Jan Girl, die Businesspläne an die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey 50 Ehrenamtliche aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Medien haben sich in vier Expertenteams mit drängenden Fragen der Stadt beschäftigt. Jan Eder IHK-Hauptgeschäftsführer Die vielfältigen Lösungs- vorschläge werden auch in der neuen Legislatur der IHK-Voll- versammlung eine zentrale Rolle spielen. 19 IHK BERLIN | BERLINER WIRTSCHAFT 07-08 | 2022 AGENDA | Businesspläne

FOTO: CHRISTIAN KIELMANN Die Spezialität von Thomas Staufenbiels Gestalt Robotics sind Sonderanfertigungen nach Kundenvorgaben schwerpunkt Gründerhauptstadt

AUF DAS MOMENTUM KOMMT’S AN Trotz Delle bei den Kapitalgebern: Start-ups aus dem Industriebereich finden in Berlin gute Bedingungen. Die Gründer blicken optimistisch in die Zukunft von Eli Hamacher Den Zeitpunkt für eine Gründung hätte Gero Decker eigentlich nicht schlechter wählen können. Weltweit hielt gerade die internationale Finanzkrise dieWirtschaft fest im Griff, als der damals 26-Jährige und drei jüngere Kommilitonen sich 2009 daranmachten, mit einem Start-up unternehmerische Erfahrungen zu sammeln. „Sicher war eine Portion jugendlicher Leichtsinn im Spiel“, erinnert sich Decker, der amPotsdamer Hasso-Plattner-Institut amLehrstuhl Software Engineering studiert und promoviert hatte. Aber, und das macht Deckers Geschichte noch spannender: „Berlinwar damals noch gar keine Gründungshauptstadt. Gründen war nicht wie heute das Natürlichste der Welt, sondern eher abwegig.“ Mit Gleichgesinnten habe er sich im Kreis der „Anonymen Unternehmer“ getroffen, um sich auszutauschen und gegenseitig Mut zuzusprechen. Sein Geschäftsmodell: mit der kollaborativen Gestaltung von Geschäftsprozessen die betrieblichen Abläufe im Unternehmen effizienter zu gestalten. Abgeleitet aus dem italienischen Wort „segnavia“ fürWegweiser, wurde schließlich nach dem Austausch zweier Buchstaben der Firmenname Signavio. Dass es schnell erfolgreich für das Berliner Start-up lief, verdankten die Gründer auch ihremersten Kunden, der AOK Brandenburg. Auf Messen und Kongressen, die Signavio damals regelmäßig besuchte, konnten die Mitarbeiter mit dieser Referenz weitere Kunden von ihrem Produkt überzeugen. Trotz der mittlerweile schwierigeren Finanzierung für Start-ups ist Decker überzeugt: „Wenn das Geschäftsmodell und die Zahlen stimmen und Kunden überzeugt werden können, finden sich immer noch Kapitalgeber.“ Mit dem Krieg fielen die Bewertungen Noch Anfang des Jahres herrschte in der Szene Jubelstimmung. 17,4Mrd. Eurowaren 2021 in deutsche Start-ups investiert worden –mehr als in den vorherigen drei Jahren zusammen, meldete das EY Startup-Barometer Deutschland. Nach Berlin floss Risikokapital in Höhe von 10,5 Mrd. Euro, das waren sieben Mrd. Euro mehr als ein Jahr zuvor. Doch mit Ausbruch des russischen Angriffskrieges in der Ukraine, galoppierender Inflation und deutlich eingetrübten Konjunkturaussichten fielen auch die Firmenbewertungen und damit die Aussichten auf erfolgreiche Finanzierungsrunden. „Den Start-ups droht das Geld auszugehen“, titelte etwa das „Handelsblatt“ unlängst. Erste namhafte Start-ups steuerten bereits mit Entlassungen gegen. Und mit welchen Geschäfts- » 21 IHK BERLIN | BERLINER WIRTSCHAFT 07-08 | 2022

» modellen haben Berliner Start-ups aus der Indus- trie Erfolg?Wie schwierig ist es für diese Jungunternehmer, Kapital zu bekommen? Was sind ihre Pläne in der Gründerhauptstadt Deutschlands? „Das Jahr 2009 war rückblickend gar kein schlechtes für eine Firmengründung“, findet Decker. Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise habe es in den Unternehmen wenig Geld gegeben. Aber die Mitarbeiter hätten sich auf Messen und Kongressen von neuen Produkten inspirieren lassen. „Und ab 2011 wurde auch wieder investiert.“ United Internet, DHL, Charité oder etwa SAP wurden Kunden. Die Zahl der Mitarbeiter wuchs bis Anfang 2021 auf rund 500. Im März vergangenen Jahres schließlich verkaufte Signavio das Unternehmen an den Dax-Konzern SAP, der unter seinem neuen CEO Christian Klein das Prozessmanagement zu einem der wichtigsten Wachstumstreiber erklärt hatte – und damit genau den Bereich, in dem Signavio Produkte lieferte und seit der Übernahme unter der Marke SAP Signavio vertreibt. „Wir profitieren seitdem nicht nur von einem besseren Marktzugang und der Skalierung“, sagt Gero Decker. „Wir können den Wachstumskurs von SAP entscheidend mitgestalten.“ Das stärkt auch den Standort. Die Zahl der Beschäftigten liegt mittlerweile bei gut 1.000 an insgesamt mehr als 30 Standorten, davon 400 in Berlin. Wenn SAP im kommenden Jahr in seinen neuen Digital-Campus amHauptbahnhof in das Quartier Heidestraße zieht, stehen dort auch für Decker und sein Team Räume bereit. Noch bereiten die Hiobsbotschaften aus dem Lager der Venture-Capital-Geber auch Sven Przywarra kein Kopfzerbrechen. Mit dem Team seines 2017 gegründeten Start-ups LiveEO hat er zwei große Büroräume in einem alten Industriekomplex vis-à-vis vomHalleschen Tor in Kreuzberg bezogen. Über ihm sitzt ein Pumpenbauer, unter ihm ein Print-Shop. Für seine Kunden, darunter Eon, die Deutsche Bahn und die australische PowerLink, entwickelte LiveEO eine Technologie, umRohdaten von Satelliten so zu bearbeiten, dass die Unternehmen ihre Infrastruktur – darunter Straßen, Schienen, Brücken oder auch Strommasten – überwachen können. „Schon als Kind hat mich die Raumfahrt fasziniert“, erzählt der 27-Jährige. Aus der Passionmachte er schließlich zusammen mit dem Raumfahrtingenieur Daniel Seidel eine Profession. „Satellitendaten stehen global und unabhängig zur Verfügung. Je globaler und geografisch verteilter ein Unternehmen agiert, desto wichtiger werden die Einblicke aus dem All werden, um Geschäftsentscheidungen in einer sich immer schneller wandelndenWelt besser treffen und Ressourcen effizienter nutzen zu können“, erklärt Przywarra. Durch den Zugriff auf Hunderte von Erdobservations-Satelliten imOrbit sei man zum ersten Mal in der Lage, jeden Fleck auf der Erde aus demAll zu überwachen. Mit den Rohdaten könnten die Kunden jedoch wenig anfangen. Erst mit seiner Technologie macht LiveEO die Informationen kompatibel. Über die eigene Web- und Smartphone-App sowie die Integration in Enterprise-Asset-Management-Systeme und API-Schnittstellen fließen sie in die Geschäfts- prozesse der Kunden ein. Satelliten überwachen Leitungen Der Energiekonzern Eon etwa nutzt die LiveEO-Technologie, um seine Stromnetze auf externe Gefahren etwa aus der Vegetation zu analysieren. „Mitarbeiter erkennen so direkt, dass ein Schaden drohen könnte, weil sich zumBeispiel ein Baum auf eine Überlandleitung legt.“ Nach einem Umsatz im siebenstelligen Bereich will LiveEO in diesem Jahr den Umsatz verdreifachen. Das geht nicht ohne ein Aufstocken der Belegschaft, wovon auch der Standort profitiert. Arbeiteten Ende vergangenen Jahres 74 Beschäftigte für das Start-up, sollen es Ende dieses Jahres bereits mehr als 100 sein. Wachstumspotenzial sieht Przywarra neben weiteren Kunden aus dem Infrastruktursektor auch in anderen Branchen wie der Finanz- oder der Forstwirtschaft. Binnen fünf Jahren konnte das Unternehmen acht Mio. Euro bei Venture-Capital-Firmen in Deutschland, Finnland und den USA sowie Fördermittel von öffentlichen Institutionenwie EXIST vom Bundeswirtschaftsministerium einwerben. Noch in diesem Jahr steht mit der Series B die dritte Finanzierungsrunde an. „Über unser Netzwerk, Events und Anfragen kommen wir mit Investoren ins Gespräch“, sagt der CEO. Aus seiner Sicht ist es leichter geworden, imerklärungsbedürftigen Deep-Tech-Bereich Kapital einzusammeln. „Es gibt einfach nicht mehr so viele Opportunitäten imB2C-Bereich, die tief hängenden Früchte haben die Investoren schon gepflückt.“ Geholfen habe LiveEO vor allem, dass manmit dem ersten Kunden, der Deutschen Bahn, einen Beweis für das solide Fundament des Geschäftsmodells liefern konnte. Für Bekanntheit und Renommee sorgten auchWettbewerbe, etwa der Europäischen Sascha Rybarczyk Vorstand botspot AG Das Unternehmen, das 3D-Scanlösungen entwickelt, ist gerade in neue Räume am Standort Niederschöneweide gezogen, die alten waren zu eng geworden. Von derzeit zwei Dutzend Mitarbeitern soll es bald auf das Doppelte bis Dreifache gehen. Kunden für die Systeme sind E-Commerce-Anbieter ebenso wie Medizintechnik-Unternehmen und solche aus der Automotive-Branche. Sascha Rybarczyk Wir gehen davon aus, dass die Themen Digitalisierung und 3D sehr krisenfest bleiben. Vorige Doppelseite: Thomas Staufenbiel Mitgründer und Co-Geschäftsführer Gestalt Robotics Industrielle Softwarelösungen für die Bereiche Industrie 4.0 und künstliche Intelligenz entstehen am Sitz des Start-ups in einem Kreuzberger Gewerbehof. 2016 taten sich die insgesamt drei Gründer und heutigen Geschäftsführer mit ihrer Unternehmens- idee zusammen. Den Erfolg sichert ein hoch spezialisiertes Team. FOTO: CHRISTIAN KIELMANN SCHWERPUNKT | Gründerhauptstadt 22 IHK BERLIN | BERLINER WIRTSCHAFT 07-08 | 2022

für Gründer, das sind die größten Klagen. Gegensteuernwill jetzt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, der jüngst seine Start-up-Strategie in einem 28-seitigen Entwurf vorlegte. Sein Haus will für mehr Wachstumskapital sorgen, die Anwerbung von Talenten aus demAusland vereinfachen und selbst zumKunden von Start-ups werden. „Mit demEntwurf der Start-up-Strategie legenwir Lösungsvorschläge für die großen Baustellen imStart-up-Bereich vor und wollen Deutschland zu einemTreiber eines europäischen Start-up-Standorts machen“, so Anna Christmann, Start-up-Beauftragte des Ministeriums. Die Eckpunkte: Rentenversicherungen sollen künftig einen Teil ihres Kapitals in Risikokapital investieren, Mitarbeiterbeteiligungen an Unternehmen sollen erleichtert werden und öffentliche Aufträge vermehrt an Start-ups gehen. Gemeinsam ist man stärker, sagten sich die Gründer der Berliner Ghost Feel it GmbH und der Potsdamer Feelbelt GmbH. Beide sorgen dafür, dass bei Menschen via Vibrationen Tastsinn und Fühlen angesprochen werden. Eine innovative Software wandelt dabei digitale Inhalte so um, dass etwa ein Spieler sie haptisch wahrnehmen kann. Dabei überträgt die Software die Tonspur von Spielen, Musik oder Filmen über einen Gürtel (Feelbelt) auf den Körper, sodass der Träger etwa eine Explosion imFilmoder das Gebrüll eines Dinos haptisch spürt. Ihren Doppelsitz würden die Start-ups behalten, sagt Geschäftsführer BenjaminHeese, aber nach einem Rebranding ihre Produkte unter einer gemeinsamen Dachmarke anbieten. Zielgruppe sind unter anderem die großen Player aus der Entertainment-Industrie wie Freizeitparks. Top-Thema: das Metaverse, ein virtueller Raum, in dem Avatare via Virtual-Reality-Technologien miteinander interagieren können. Während Ghost Feel it bislang mit Fördermitteln und Kapital von Business Angels auskam, schloss Feelbelt zwei Finanzierungsrunden erfolgreich ab. Entscheidend für den Erfolg sei ein gutes Team, sagt Heese. „Die beste Idee zieht nicht, wenn das Team schlecht aufgestellt ist.“ Weitere Faktoren seien das richtige Momentum, sprich, zur rechten Zeit mit dem passenden Produkt am Markt zu sein. „Und schließlich muss man seine Geschäftsidee zügig umsetzen können.“ Die Zeiten werden aber nicht einfacher. Nach KriegsbeKommission sowie der Businessplan-Wettbewerb Berlin-Brandenburg. Nach dem Einbruch zu Beginn der Corona- Pandemie wurden zuletzt wieder konstant pro Quartal mehr als 800 Start-ups in Deutschland gegründet. Das sind gut drei Prozent aller Neugründungen. Sie zeichnen sich durch ihr innovatives Geschäftsmodell, Produkt oder Dienstleistung und hohes Wachstumspotenzial aus. Die meisten Neugründungen verzeichnet die Analysefirma Startupdetector in den Bereichen Software, Medizin und Onlinehandel, gefolgt von Lebensmitteln und Industrie. Nachholbedarf bei Gründungen Trotz der positiven Entwicklungen hat Deutschland nach Ansicht der Branche im internationalen Standortwettbewerb um die klügsten Gründer und innovativsten Start-ups noch viel Aufholbedarf. Zu viel Bürokratie, zu wenig Kapital Sven Przywarra (l.) und Daniel Seidel Co-Founder und CEOs LiveEO GmbH Gemeinsam gründeten Wirtschaftsingenieur Przywarra und Raumfahrtingenieur Seidel 2017 das Unternehmen. Mithilfe ihrer Technologie lassen sich Rohdaten von Satelliten nach den Bedürfnissen der Kunden aufbereiten. Zu denen zählt die Deutsche Bahn, die so Trassen überwacht. FOTO: CHRISTIAN KIELMANN 24 IHK BERLIN | BERLINER WIRTSCHAFT 07-08 | 2022

abbau für Schlagzeilen sorgen, darunter Trade Republic, Kontist und Nuri ebenso wie der Zahlungsdienstleister Klarna, der sogar jede zehnte Stelle streicht, zeigt die Beschäftigungskurve bei den von der Berliner Wirtschaft befragten Indus- trie-Start-ups klar nach oben. Intelligente Automatisierung Auch die Gestalt Robotics GmbH will die Belegschaft erhöhen. Von 37 Beschäftigten Ende 2021 soll es auf 60 Ende dieses Jahres gehen. Der Technologieanbieter für intelligente Industrieautomatisierung, der in einem Kreuzberger GSG Gewerbehof sitzt, entwickelt projektbasiert industrielle Softwarelösungen für den Bereich Industrie 4.0 und künstliche Intelligenz (KI). Zu den Kunden zählen etwa die Deutsche Bahn, BASF, Siemens, MTU und der Automobilzulieferer Hella. Für die Bahn hat Gestalt Robotics ein Kamerator entwickelt, das einen ICE scannen kann und dann Reparatur- und Wartungsanweisungen auf das Tablet eines Monteurs spielt. ginn beobachtete Heese amMarkt eine regelrechte Schockstarre, die sich aber langsam wieder löse. Die Konsumlust kehre zurück. Aber der Fokus der Kapitalgeber verlagere sich, weil das Umfeld mit stark anziehenden Preisen, steigenden Zinsen, turbulenten Börsen und geopolitischen Unwägbarkeiten herausfordernd sei. Dennochwill Ghost Feel it mit Feelbelt eine Series-A-Finanzierungsrunde mit Venture-Capital-Gebern abschließen, umdie Expansion in die USA anzugehen. Trotz der Unwägbarkeiten bleibt Heese optimistisch: „Im Rekordjahr 2021 wurde Kapital deutlich einfacher investiert. Jetzt wird vor allem auf die Werthaltigkeit der Unternehmen geschaut.“ Wie LiveEO stärkt das neue Start-up-Duo den Berlin-Brandenburger Arbeitsmarkt. „Wenn wir die aktuelle Finanzierungsrunde erfolgreich abschließen, werdenwir kurzfristig bis auf 30Mitarbeiter wachsen“, sagt Heese. Ende vergangenen Jahres waren es zwölf. Während unter anderem einige Fintechs, die Finanztechnologiespezialisten unter den Start-ups, aktuell mit PersonalSven Przywarra Über unser Netzwerk und Events kommen wir mit Investoren ins Gespräch. » SCHWERPUNKT | Gründerhauptstadt SCHON MAL EIN PATENT VERPENNT? Ob technische Idee, Marke oder Design: Als Kanzlei mit 30 Jahren Erfahrung für Patent- und Markenrecht entwickeln wir gemeinsam mit Ihnen die richtige Strategie, organisieren die Antragstellung und begleiten Sie bei der Durchsetzung Ihrer Ansprüche. Mehr Infos unter patpoint.de

Wachstums sei es so bislang gelungen, immer mit einer schwarzen Null abzuschließen. In Niederschöneweide hat Sascha Rybarczyk gerade mit seinem Team aus 24 Kollegen einen neuen Standort bezogen. „Wir brauchten unbedingt mehr Platz“, sagt der Vorstand der botspot AG, die in Berlin 3D-Scanlösungen entwickelt und produziert. Kunden kommen aus unterschiedlichen Branchen wie E-Commerce, Health Care, Automotive oder auch der Kultur, diemit der Technologie 3D-Modelle nicht nur von Gegenständen wie Kleidungsstücken oder Museumsexponaten erstellen, sondern auch Ganzkörpermodelle vonMenschen. Neben der Hardware bietet botspot einen sogenannten Verification Service, der garantiert, dass die Qualität der Aufnahmen stimmt. Das Geschäftsmodell kommt an. „Wir haben so viele Anfragen, dass wir mittelfristig 50 bis 70 Mitarbeiter beschäftigen wollen“, so Rybarczyk. Dass botspot in der nächsten Finanzierungsrunde einen passenden strategischen Investor oder einen Venture Capital-Geber findet, daran zweifelt der Vorstand nicht. „Wir gehen davon aus, dass die Themen Digitalisierung und 3D sehr krisenfest bleiben.“ Nach Ausbruch der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 hätten die Kunden im ersten Schock alle Aufträge eingefroren. Schnell sei ihnen jedoch klar geworden, dass Digitalisierung unerlässlich bleibt. In der Gründerhauptstadt Berlin fühlen sich die Industrie-Start-ups gut aufgehoben. Sie loben das effiziente Ökosystem, die kurzenWege zu den offiziellen Stellen und die Internationalität der Stadt. 25 Mitarbeiter aus elf Nationen wie bei bot- spot sind eher die Regel denn die Ausnahme. Sorgen bereiten den Gründern unterdessen die deutlich steigenden Lebenshaltungskosten, allen voran die Mieten. „Der Umzug tat schon weh“, sagt Sascha Rybarczyk. „Manche Flächen kamen wegen der hohen Mieten gar nicht erst infrage.“ Auch der Fachkräftemangel wird spürbar. „Wir bekommen noch gute Mitarbeiter, aber es wird schwieriger“, klagt Gero Decker von Signavio. Auch die langatmige und teils undurchsichtige Bürokratie beklagen die Unternehmen und wünschen sich vor allemmehr Tempo bei der Digitalisierung der Verwaltung. ■ „In der Industrie geht der Trend immer stärker zu Sonderfertigungen nach Kundenvorgaben, der sogenannten Losgröße 1“, sagt Geschäftsführer Thomas Staufenbiel, der das Unternehmen 2016 mit Jens Lambrecht und Eugen Funk gründete und zuvor beim Luft- und Raumfahrtunternehmen Ariane Group gearbeitet hatte. Ziel sei es, dank Industrieautomatisierung und flexiblen Systemen auf Basis von KI diese Einzelfertigungen zu den Kosten einer Massenfertigung anbieten zu können. „Dieses Marktsegment wächst mit hohen zweistelligen Raten und wird unter anderemvomFachkräftemangel getrieben“, stellt Staufenbiel fest. Anders als bei B2C-Businessmodellenwie Onlinehandel oder etwa Lieferdiensten sei das Geschäftsmodell des Industrie-Start-ups nicht zügig skalierbar. Der Erfolg basiere vor allem auf der Arbeit eines hoch spezialisierten und interdisziplinären Teams. Nachhaltig wachsen statt Exit Einen Venture-Capital-Geber will das Unternehmen vorerst nicht einbinden. Dank des etablierten Projektgeschäfts und zunehmenden Angebots von Produkt-Lösungen und Software-as-a-Service bestehe dafür vorerst keine Notwendigkeit. „Vielmehr steht nachhaltiges internationales Wachstum im Fokus des Unternehmens und kein kurzfristiger Exit“, so Staufenbiel. Bei Deep Tech helfe viel Geld zudem nicht unbedingt viel, findet der CEO, der bislang auf eine externe Finanzierung sogar ganz verzichtet hat und stattdessen auf Bootstrapping setzt, sprich, die Kosten im Griff behält, während die Umsätze steigen. Trotz Gero Decker Managing Director SAP Signavio Aus einer Gründung von Absolventen des Hasso-Plattner- Instituts ist ein Tochterunternehmen von SAP geworden: Der Kreis hat sich für Signavio geschlossen. Die kollaborative Gestaltung von Geschäftsprozessen passt ins Portfolio des Konzerns. Entwickelt wird auch weiterhin in Berlin. FOTO: KAY HERSCHELMANN, ILLUSTRATION: GETTY IMAGES/COMMERCIAL ILLUSTRATOR 26 IHK BERLIN | BERLINER WIRTSCHAFT 07-08 | 2022

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