Berliner Wirtschaft Juni 2023

Neuer Senat Prioritäten Der Wirtschaft 10 dringende Maßnahmen für mehr Wachstum in Berlin Seite 14 Das Magazin der Industrie- und Handelskammer zu Berlin 06/2023 ihk.de/berlin Bildung Digital Education Lab wird zur Kontaktbörse für Unternehmen Seite 40 Netzwerk Wirtschaftsjunioren Berlin: 70 Jahre Erfolgsstory unter dem Dach der IHK Seite 12 Zentren leben vom Mix Funktionierende Stadträume brauchen Handel, Gastronomie, Kultur und smarte Mobilität, findet Nicole Srock.Stanley von Dan Pearlman Seite 18, Interview Seite 26

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Konjunkturumfragen sind der Pulsmesser dafür, wie es dem Wirtschaftsstandort Berlin und seinen Unternehmen geht. Unsere aktuelle Umfrage kommt zum Ergebnis: Geht so. Nicht viel besser als zum Jahresbeginn, aber immerhin auch nicht viel schlechter. (S. 10). Und nach drei Jahren Krisenmodus überrascht es kaum, dass der Optimismus verhalten ist, was die Geschäftserwartungen angeht. Umso wichtiger ist jetzt, dass die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen stimmen. Neben den bekannten Dauerbrennern wie Verwaltungsreform oder Fachkräftepolitik gehört deshalb auch die pragmatische Stadtentwicklung ins Pflichtenheft des neuen Senats: Wohnungsbau beschleunigen, Flächen für Gewerbe sichern – und last but not least: die Berliner Zentren – diese deutschlandweit einzigartige Kiez-Struktur – zukunftsfest auszurichten. Blaupausen, spannende Projekte und Ideen dazu gibt es in Europa und natürlich auch hier in Berlin (S. 18). Gut für Berlin wäre es, wenn sie nicht nur spannende Ideen blieben. Papiere dazu, wie Berlin besser funktionieren könnte, gibt es ja bereits das eine oder andere. Machen wäre ein echter Fortschritt. Ihr Wirtschaftspolitik „Das Beste für Berlin“, lautet der Anspruch, mit dem die neue Koalition ihren Vertrag formuliert hat. Das Aufgabenheft des Senats ist gut gefüllt, da gilt es Prioritäten zu setzen. Welche das sein sollten, hat die IHK aus Sicht der Berliner Wirtschaft skizziert. Seite 14 Die „Berliner Wirtschaft“ gibt es auch online: ihk.de/berlin/berliner-­ wirtschaft.de Machen wäre ein echter Fortschritt Sebastian Stietzel ist Präsident der IHK Berlin und Geschäftsführer der Marktflagge GmbH, Management & Investments ZEICHNUNG: ANDRÉ GOTTSCHALK; TITEL: AMIN AKHTAR Berliner Wirtschaft 06 | 2023 Editorial | 03

18Pragmatische Stadtentwicklung Angesichts der Veränderungen in den Zentren sind Konzepte gefragt, wie die neue Stadt aussehen könnte BRANCHEN 30 Einzelhandel Auch in der Modebranche erwarten die Kunden zunehmend Nachhaltigkeit 33 Start-up Paul Hock, CEO von Green Fusion, im Kurzinterview 37 Wettbewerb Berliner Wirtschaft kürt ihre Klimaschutzpartner 2023 38 Unternehmensbesuch EU-Kommissarin Margrethe Vestager zu Gast bei der LAT Gruppe in Friedrichshain 39 Historie Mit der Verflüssigung von Gasen senkte Paul Heylandt Gefahren und Kosten AGENDA 10 Konjunktur Anzeichen für einen breiten Aufschwung fehlen weiterhin 12 Netzwerk Berliner Wirtschaftsjunioren feiern 70-jähriges Bestehen 13 Kolumne Jessyca Staedtler mahnt bessere Rahmenbedingungen für Unternehmertum an 14 Wirtschaftspolitik Was der Senat vorrangig in Angriff nehmen sollte 16 IHK-Ausschuss I Zukunftsfähige Ideen für eine „Nachhaltige Metropole“ 17 IHK-Ausschuss II Nachhilfestunden für eine „Bildungsstarke Stadt“ FOKUS 18 Pragmatische Stadtentwicklung Ein neues Konsumverhalten und Krisen verändern die urbanen Zentren. Die Zukunft braucht andere Konzepte 22 Good Practice Frische Impulse in Spandau, Friedrichshagen und für Wilhelmsruh, auch durch den Wettbewerb „Mittendrin!“ 26 Interview Für Kreativunternehmerin Nicole Srock.Stanley steht fest, dass die Zentren mehr Aufenthaltsqualität brauchen Nicole Srock.Stanley Geschäftsführerin der Dan Pearlman Group Die Politik muss mehr machen, weil derzeit viel an den Bebauungsplänen scheitert. Inhalt | 04

03 Editorial | 06 Entdeckt | 08 Kompakt | 34 Kompakt 36 Impressum | 51 Seminare | 66 Was wurde aus … Einzelhandel Echter Pelz ist tabu, und auch sonst erwarten modebewusste Kunden Nachhaltigkeit 30 SERVICE 56 Außenwirtschaftsrecht Das Carnet A.T.A. ist bei der IHK ein gefragtes Dokument 58 Beratung Was ein selbstständiger Kapitän zur See wissen muss 59 Kooperationen „Mittelstand trifft Start-up“ am 15. Juni stellt bundesweit wertvolle Kontakte her 60 Gründerszene Was Start-ups bei Remote Work beachten sollten 62 Veranstaltungen Mit Branchentreffs, Festivals und Foren informiert die IHK über relevante Themen FACHKRÄFTE 40 Digitale Bildung Netzwerkabend schafft Synergien und Kontakte 42 Berufsausbildung Umgang mit immersiven Medien als Ausbildungsberuf 43 Integration IHK stellte ihre Services zur Fachkräfteeinwanderung vor 44 Berufsorientierung Einblicke in die Arbeitswelt durch Schulkooperationen 46 Ausbildungsmarketing Azubi berichtet in der Schule von seinem Ausbildungsalltag 47 Good Practice Deutsche Telekom AG bietet virtuelle Praktika an 48 Verbundberatung BVG-AusBildungs-Campus ist als neuer Partner dabei 49 Auszeichnung Fünf Berliner Azubis gehören zu den Besten im Bund 50 Ehrenamt Mediengestalterin Gabriela Seelis prüft im Traumberuf Digitale Bildung Das Digital Education Lab der IHK bietet Informationen und Austausch, wie jüngst beim Netzwerkabend 40 Jubiläum IHK-Präsident Sebastian Stietzel (l.) und WJB-Vorstand Daniel Brugger bei der Feier in der Alten Försterei 12 ILLUSTRATION: GETTY IMAGES/FSTOP/MALTE MUELLER; FOTOS: GETTY IMAGES/BRITT ERLANSON, AMIN AKHTAR, WJB Berliner Wirtschaft 06 | 2023

Das „Gürteltier“ hat Zuwachs bekommen: Auf dem Dach des Ludwig Erhard Hauses (LEH) wurde eine Photovoltaikanlage installiert, die das Gebäude der IHK Berlin künftig mit Solarstrom versorgt. 125 Module mit einer Gesamtleistung von 46 Kilowattpeak (kWp) hat die Berliner Energieagentur (BEA) dafür in luftiger Höhe installieren lassen. Als Mieter im LEH profitiert sie mit von der regenerativen Energieerzeugung. Berlinweit hat die BEA inzwischen 70 Photovoltaikanlagen in Betrieb genommen, meist als Partner der Wohnungswirtschaft und für Mieterstrom. Aber auch im gewerblichen Bereich sind solche Anlagen der BEA entstanden, darunter eine besonders leistungsfähige auf dem Dach des Großmarkts an der Beusselstraße mit einer Gesamtleistung von 1.700 kWp. Sonnendeck Berliner Energieagentur GmbH Die Gesellschaft mit Sitz im Ludwig Erhard Haus berät zur Photovoltaik und betreibt selber Anlagen. FOTO: ULRICH SCHUSTER

Konkret dabei Nachhaltigkeit ist der Dreiklang aus ökonomischen, ökologischen und sozialen Aspekten. Die IHK hilft Unternehmen, dies umzusetzen. IHK-Initiative Alle Informationen zur Nachhaltigkeitsinitiative der IHK Berlin unter: ihk.de/berlin/ nachhaltige-wirtschaft Berliner Wirtschaft 06 | 2023 Entdeckt | 07

„Das Bessere ist der Feind des Guten, das gilt auch für Gesetzesentwürfe. Wir freuen uns auf Verbesserungen, die den Stellenwert und die Bedeutung des Wirtschaftsverkehrs unterstreichen, und stehen gerne mit Rat und Tat zur Verfügung. Die Wirtschaft wartet allerdings schon lange auf die Verabschiedung des Wirtschaftskapitels im Mobilitätsgesetz, deshalb setzen wir darauf, dass die angekündigte Revision zügig vonstattengeht.“ Der Senat will das Mobilitätsgesetz noch einmal einer Revision unterziehen Fehlendes Wirtschaftskapitel gesagt Die abrupte Sperrung des Schlangenbader Tunnels entlang der Ex-Autobahn A104 im April wirkte wie das finale Farewell einer scheidenden Verkehrssenatorin. Tatsächlich erzwangen Sicherheitsmängel die Schließung. Weil keine Zeit für die Ausweisung von Umleitungen blieb, steckten selbst Lkw schon mal in engen Wohnstraßen fest. Ad-hoc-Entscheidungen aus ganz unterschiedlichen Motivlagen heraus gehören zur Berliner Politik – siehe Friedrichstraße. Gemeinsam ist vielen davon, dass Folgen wenig bedacht und Konzepte erst nachträglich erstellt werden. Beliebt ist das „Pop-up“-Prinzip. In Corona-Zeiten wuchsen plötzlich Radwege auf Hauptstraßen, 2024 zur Fanmeile am Brandenburger Tor soll ein ganzer Pop-up-Park sprießen. Vielleicht ließen sich Kritiker durch wundersame Beschleunigung andernorts einfangen. Wie wäre es etwa mit einer Pop-up-Verwaltungsreform? Pop-up typisch berlin 50.000 Mietvorgänge mit Fahrzeugarten der Mikromobilität – E-Scooter, Fahrräder und E-Mopeds – wurden in Berlin im vierten Quartal 2022 pro Tag abgeschlossen. Gemeldet waren 4.000 Mopeds, 40.000 E-Scooter und 6.000 Leihräder. Robert Rückel, Vizepräsident IHK Berlin Kompakt | 08

31 % mehr Passagiere reisten in den ersten vier Monaten dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahreszeitraum über den BER. Damit nutzten 6,3 Millionen Fluggäste den Airport. Ost-Bezirke vorn Die meisten Neubauwohnungen wurden 2022 in Treptow-Köpenick und Marzahn-Hellersdorf fertiggestellt, die wenigsten in Neukölln berliner wirtschaft in zahlen Christian Nestler, IHK-Experte für Statistik Tel.: 030 / 315 10-286 christian.nestler@berlin.ihk.de mehr Neubauwohnungen wurden 2022 in Berlin gegenüber 2021 er- stellt. Exakt waren es 15.404 Wohnungen. 6,7 % Die Schloßstraße soll nach dem Willen von Bezirksverordneten aus Steglitz-Zehlendorf ein Straßenfest bekommen, für das der gesamte Verkehr für ein Wochenende umgeleitet wird. Beschlossen wurde, dass das Bezirksamt bis spätestens im kommenden Jahr das Fest organisiert. Stattfinden wird es im Abschnitt zwischen der Grunewald- und Albrecht- straße sowie der Bornstraße. Für die Gastronomie wird die Nutzung der Straßenflächen erleichtert werden. Ziel ist, neue Kunden für die Steglitzer Einkaufsmeile zu gewinnen. Die Wirtschaftsförderung des Bezirks unterstützt das „Pilotprojekt Straßenfest Schloßstraße“. bw Bezirk plant autofreies Straßenfest schlossstrasse kopf oder zahl Dr. Mario Tobias Henrik Falk wird ab dem 1. September gemeinsam mit Dirk Hoffmann die Unternehmensgruppe Messe Berlin führen. Tobias kommt von der Industrie- und Handelskammer Potsdam, deren Hauptgeschäftsführer er seit 2014 ist. Von 2011 bis 2014 baute er als Secretary General das Institute for Advanced Sustainability Studies auf. wird ab dem 1. Januar 2024 den Vorstandsvorsitz bei den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) übernehmen. Falk trat vor sieben Jahren seinen bisherigen Posten als Vorsandschef bei der Hamburger Hochbahn AG an. Davor war er in verschiedenen Führungspositionen für die BVG tätig. So verantwortete der studierte Jurist unter anderem die Rechtsabteilung. Grafiken: BW Quelle: Statistik Berlin-Brandenburg Treptow-Köpenick Marzahn-Hellersdorf Lichtenberg Pankow Mitte Charlottenburg-Wilmersdorf Spandau Reinickendorf Friedrichshain-Kreuzberg Steglitz-Zehlendorf Tempelhof-Schöneberg Neukölln Berlin gesamt 3247 2695 1522 1496 1230 1154 1072 982 595 584 494 333 15 404 FOTOS: GETTY IMAGES/WESTEND 61/CHRISTOPH PAPKE, FOTOSTUDIO CHARLOTTENBURG, HOCHBAHN, IHK POTSDAM, GETTY IMAGES/ALEXANDER SPATARI Berliner Wirtschaft 06 | 2023

Das Wirtschaftsklima ist in der Schwebe zwischen stimulierenden und abkühlenden Faktoren, wie die aktuelle Umfrage der IHK zeigt. Es fehlen weiterhin Anzeichen für einen breiten Aufschwung von Patrick Schulze Konjunktur tritt auf der Stelle Das laufende Jahr könnte als ein Jahr der Stagnation in die Wirtschaftsannalen eingehen. Zwar haben sich zuletzt einige Konjunkturbremsen gelöst oder zumindest gelockert: etwa die Energiepreise und auch die Lieferkettenstörungen. Doch an anderer Stelle gibt es ordentlichen Gegenwind. Zinsrisiken belasten Bilanzen und Investitionsentscheidungen, Löhne folgen der Inflation und werden perspektivisch steigen. Politisch sorgt ein ganzes Bündel an Unwägbarkeiten dafür, dass viele Unternehmen zurückhaltend agieren: Außen- und sicherheitspolitische Gewissheiten sind abgeräumt, die Klima- und Nachhaltigkeitswende setzt der Wirtschaft neue Rahmenbedingungen, und das zum Teil sehr kurzfristig. Frühjahrsaufschwung ist ausgeblieben Das Konjunkturklima ist in der Schwebe zwischen stimulierenden und abkühlenden Faktoren. Der Berliner Klimaindex spiegelt diese Situation mit einem Wert von 112 Punkten wider. Werte deutlich unterhalb oder oberhalb der 100-Punkte-Marke zeigen eine bremsende beziehungsweise beschleunigende Konjunktur an. Der aktuelle Wert spricht dafür, dass beschleunigende Faktoren die bremsenden nur leicht überwiegen. Die agenda

Hoffnung auf einen Frühjahrsaufschwung, wie sie der rasche Anstieg des Klimaindikators zwischen Herbst 2022 und Beginn des Jahres erzeugte, hat sich also nicht erfüllt. Wichtige Produktionsfaktoren – Kapital und qualifizierte Mitarbeiter – haben sich in den vergangenen zwölf Monaten erheblich verteuert oder werden dies noch tun. Angesichts der Zins- und Inflationserwartungen ist nicht damit zu rechnen, dass kurzfristig ein Entspannungsszenario eintritt. Die Wirtschaft steht nach der Corona- und der unmittelbaren Energiekrise weiter unter hohem Anpassungsdruck, der durch die Transformation zu mehr Nachhaltigkeit noch erhöht wird. Viele Unternehmen konzentrieren sich vorerst darauf, diesem Druck standzuhalten. Angesichts dieser Situation besteht die Gefahr, dass Wachstums- und Innovationschancen nicht ergriffen werden. Zurückhaltende Planungen Zwar entlassen die Krisen der letzten Monate die Berliner Unternehmen nach und nach aus ihrem Griff. Dennoch bleiben die Planungen für die nächste Zukunft zurückhaltend. Über alle Branchen hinweg sorgt das wechselhafte Konjunkturklima für eine eher vorsichtige Personalpolitik. Zwar rechnen wie noch zu Jahresbeginn 28 Prozent der Befragten mit steigenden Beschäftigtenzahlen, doch nimmt gleichzeitig die Zahl der Skeptiker zu. Ähnlich lassen sich die Investitionspläne der Unternehmen einordnen. Der Indikator lässt wieder leicht nach, nachdem er sich zu Jahresbeginn etwas erholt hatte. Damit fällt die Investitionsdynamik vergleichsweise schwach aus. Auch die Risikolage der Unternehmen bleibt angespannt. Zwar lassen die Sorgen bezüglich der Rohstoff- und insbesondere der Energiepreise zum Teil deutlich nach, aber ohne auf ihr Vorkrisen-Niveau zu sinken. Gleichzeitig steigen andere Risikoeinschätzungen wieder an. Sowohl die Entwicklung der Arbeitskosten wird häufiger als Risiko für die wirtschaftliche Entwicklung genannt als auch die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen. Doch am häufigsten und mit großem Abstand wird der Fachkräftemangel als Risiko für die wirtschaftliche Entwicklung genannt. Die Unternehmen sehen sich hier mit einem anhaltenden und wachsenden Problem konfrontiert und werden den Folgen der herrschenden Fachkräfteengpässe infolge des demografischen Wandels auch vorerst nicht entgehen können. ■ Grafiken: BW Quelle: IHK Berlin 25 Punkte zählt der Saldo bei der Bewertung der Geschäftslage, zehn Punkte weniger als vor einem Jahr. 112 Punkte beträgt der Konjunkturklimaindex und entspricht damit dem derzeitigen Schwebezustand. 28 % der Befragten rechnen mit steigenden Beschäftigtenzahlen, doch die Zahl der Skeptiker wächst. Patrick Schulze, IHK-Experte für Konjunktur Tel.: 030 / 315 10-226 patrick.schulze@ berlin.ihk.de Geschäftserwartungen bescheiden Inflation, Fachkräfteengpass und die Transformation zu mehr Nachhaltigkeit sind limitierende Faktoren Zurückhaltung prägt die Planungen Sowohl bei Investitionen als auch bei Beschäftigung zeigt sich eine eher abnehmende Tendenz Konjunkturklima stagniert Der erhoffte Frühjahrsaufschwung ist ausgeblieben, und mit Entspannung ist kurzfristig nicht zu rechnen 50 75 125 150 100 JBJMH JB JMH JBJMH JBJM Jahresbeginn Jahresmitte Herbst 112 60 86 140 2022 2021 2020 2019 2023 Beschäftigungspläne Investitionspläne 0 50 25 -25 -17 40 20 11 JBJMH JB H JB H JBFS FS Jahresbeginn Jahresmitte Frühsommer Herbst 2022 2021 2020 2019 2023 -40 0 80 40 -80 Geschäftserwartungen Geschäftslage JB JMH JB JMH JBJMH JBJM Jahresbeginn Jahresmitte Herbst -55 -35 59 24 46 25 1 2022 2021 2020 2019 2023 FOTOS: GETTY IMAGES/ANDRIY ONUFRIYENKO, FOTOSTUDIO CHARLOTTENBURG Konjunktur | 11 Berliner Wirtschaft 06 | 2023

Berliner Unternehmer gründeten 1953 die Wirtschaftsjunioren – jetzt feierte das Netzwerk in der Alten Försterei sein Jubiläum von Holger Lunau 70 Jahre jung geblieben S ie feiern ihren 70. Geburtstag und sind doch jung geblieben – der Verein Wirtschaftsjunioren Berlin (WJB). Im Jahr 1953 legten Berliner Unternehmer den Grundstein für ein heute deutschlandweit sehr erfolgreiches Netzwerk zur Weitergabe wirtschaftlichen Knowhows an Jungunternehmer. Gründungs-Initiator war der damalige Leiter der Volkswirtschaftlichen Abteilung der IHK Berlin, Franz Kluge. Gefeiert wurde das Jubiläum nun standesgemäß mit einer internationalen Gala in der Alten Försterei in Köpenick. Vor rund 200 Gästen aus Wirtschaft und Politik verwies der WJB-Vorstandsvorsitzende Daniel Brugger auf das ungebrochene Engagement junger Unternehmer etwa bei der Förderung innovativer Wirtschafts- und Bildungsprojekte. IHK-Präsident Sebastian Stietzel, seit 25 Jahren selbst Mitglied der Wirtschaftsjunioren, verwies auf die enge Zusammenarbeit der IHK-Gremien mit den jungen Unternehmern. Deren Engagement sei eine wertvolle Unterstützung für den Wirtschaftsstandort Berlin. Anlässlich des Gründungsjubiläums fand vom 4. bis 7. Mai das European Capitals Meeting der Wirtschaftsjunioren in Berlin statt – bereits zum vierten Mal. In Berlin war 1993 die Idee entstanden, ein Forum für Wirtschaftsjunioren aus den europäischen Hauptstädten zu etablieren, um Chancen und Probleme von europäischen Hauptstädten zu definieren. Die Berliner Wirtschaftsjunioren zählen derzeit rund 180 Mitglieder, bundesweit sind es mehr als 10.000. Die ehrenamtlich tätigen Mitglieder, alle unter 40 Jahre alt, kommen aus allen Bereichen der Wirtschaft, vom Start-up über das mittelständische Unternehmen bis zum Konzern. Alle eint ein Ziel: für unternehmerische Selbstständigkeit zu werben, den Nachwuchs zu fördern und der Wirtschaft eine Stimme zu geben. ■ Bei der Jubiläumsgala: IHK-Präsident Sebastian Stietzel (l.) und Daniel Brugger, Vorstandsvorsitzender der WJB Wie alles begann: die Gründer um Franz Kluge, Leiter der Volkswirtschaftlichen Abteilung der IHK Berlin Wirtschaftsjunioren Alles über die WJB, Geschichte, Termine, Mitgliedschaft unter: wjb.de Claudia Spengler, Geschäftsstelle WJB Tel.: 030 / 315 10-340 claudia.spengler@berlin.ihk.de FOTOS: WJB AGENDA | Netzwerk | 12

Nachfolge ist mehr als ein „Weiter so“ Wer ein Unternehmen übernimmt, muss es zukunftsfähig aufstellen. Doch in Deutschland sinkt das Interesse an der Selbstständigkeit – hier müssen die Rahmenbedingungen dringend verbessert werden F rüher oder später stehen alle erfolgreichen Unternehmerinnen und Unternehmer vor derselben Frage: Wie regle ich meine Nachfolge? Dabei steht einiges auf dem Spiel – nicht nur für das Unternehmen selbst, sondern für die gesamte Volkswirtschaft: Wertschöpfung, Arbeitsplätze und nicht zuletzt oft ein Lebenswerk. Die Frage ist jedoch keineswegs nur, ob es weitergeht, sondern auch wie. Denn Nachfolge bedeutet nicht nur, in die Fußstapfen der vorherigen Generation zu treten, sondern das Unternehmen zukunftsfähig aufzustellen – dazu gehören die digitale und ökologische Transformation, Nachhaltigkeit und die stetige innovative Weiterentwicklung der Produkte. In Deutschland erleben wir aktuell jedoch leider ein „nachfolgefeindliches“ Klima. Fachkräftemangel, Bürokratie, Energiewende und ökologische Transformation führen dazu, dass viele vor der Selbstständigkeit zurückschrecken. Die Unsicherheiten durch Pandemie und Ukraine-Krieg wirken hierbei zusätzlich als Katalysatoren. Laut DIHK-Report findet nahezu die Hälfte der suchenden Unternehmen keinen geeigneten Nachfolger. Die Anzahl der Übernahme-Interessierten ist seit 2009 um 75 Prozent rapide gesunken. Deutschland droht anstelle der Technologieführerschaft der „Ausverkauf“ und die Abwanderung von Know-how – auch beim familiengeführten Mittelstand, wie der erst jüngst vollzogene Verkauf des Geschäftsbereichs „Climate Solutions“ der Viessmann Group an Carrier verdeutlicht. Ein weiteres Beispiel sind Solar- und Windkraft. China ist der Weg an die Weltspitze in kürzester Zeit durch staatliche Investitionen, die Absenkung der Mehrwertsteuer und schnelle Genehmigungsverfahren gelungen. Vor 20 Jahren dominierte die europäische Windindustrie den Weltmarkt – 2021 wurde die Hälfte aller neu gebauten Windräder in China errichtet. Der chinesische Markt wird dabei nahezu ausschließlich durch lokale Unternehmen bedient. Die skizzierten Herausforderungen lassen sich freilich nicht über Nacht lösen und auch nur bedingt beeinflussen. Daher sollte man vor allem jene Stellschrauben in den Fokus nehmen, auf welche man einwirken kann, wie den Abbau von Bürokratie und die Erleichterung von Finanzierungswegen. 79 Prozent der unternehmerisch Interessierten, die sich von ihrer IHK beraten lassen, sehen Bürokratie als große Hürde. Unternehmerinnen und Unternehmer sollten sich jedoch nicht wie Verwaltungsmitarbeiter fühlen, sondern sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und sich nicht entmutigen lassen, den Herausforderungen der Zeit mit innovativen Lösungen zu begegnen! ■ Meinung In der Kolumne „Auf den Punkt“ positionieren sich im monatlichen Wechsel Mitglieder des Präsidiums zu wirtschaftspolitischen Fragestellungen aus ihrer persönlichen Sicht. präsidiumsmitglieder beziehen stellung Jessyca Staedtler ist Geschäftsführerin der documentus GmbH Berlin und Mitglied des IHK-Präsidiums FOTO: AMIN AKHTAR Auf den Punkt | 13 Berliner Wirtschaft 06 | 2023

Die IHK hat zehn Maßnahmen skizziert, die aus Sicht der Wirtschaft vorrangig umgesetzt werden müssen, um Stadt und Senat Impulse zu geben Prioritäten für Berlin Das Beste für Berlin“, diesen Anspruch hat sich die Regierung mit ihrem am 3. April dieses Jahres vorgestellten Koalitionsvertrag bis zum Ende der Legislatur 2026 gegeben. Wie Sebastian Stietzel, Präsident der IHK Berlin, anlässlich der ersten Senatssitzung betonte, ist das Aufgabenheft des neuen Senats trotz verkürzter Regierungszeit voll. Umso mehr gilt es „Prioritäten bei den Maßnahmen zu setzen, um Wachstumsbremsen zu lösen und deren Wirkung in dieser Legislatur sicherzustellen“, so Stietzel weiter. Gerade bei den Themen Verwaltung, Stadtentwicklung, Wissenschaft und Bildung müssen dringend erforderliche Maßnahmen wie die Verwaltungsreform, das „Schneller-Bauen-Gesetz“, die Stärkung von Transfers aus der Wissenschaft und die verbesserte Berufsorientierung bis Anfang August, also während der ersten 100 Tage der Regierungszeit, in die Umsetzung kommen. Weitere dringliche Aufgaben, abgeleitet aus dem Koalitionsvertrag, hat die IHK aus Sicht der Wirtschaft identifiziert. Diese zehn hier skizzierten Maßnahmen gilt es prioritär umzusetzen. Die Politik ist eingeladen, diese Impulse als Orientierung für ihre Arbeit zu nehmen, die Wirtschaft bietet für den Erfolg das Know-how der Berliner Unternehmerinnen und Unternehmer an. bw Sebastian Stietzel Präsident IHK Berlin Das Aufgabenheft des neuen Senats ist voll. Es gilt Prioritäten bei den Maßnahmen zu setzen. Neue Koalition, neuer Vertrag: Franziska Giffey, Bürgermeisterin und Wirtschafts- senatorin, und der neue Regierende Bürgermeister, Kai Wegner, unterzeichnen ihre Koalitionsvereinbarung FOTOS: PA/SULUPRESS.DE/MARC VORWERK, AMIN AKHTAR, GETTY IMAGES/KIERAN STONE AGENDA | Wirtschaftspolitik | 14 Berliner Wirtschaft 06 | 2023

* Aus dem Koalitionsvertrag Koalitionsvertrag „Das Beste für Berlin“ Aus Sicht der Berliner Wirtschaft sollte hierzu in den ersten 100 Tagen erreicht werden: Neuordnung der Zuständigkeiten von Senat und Bezirken vorantreiben Seite 10* Eine Arbeitsgruppe zur Nachfolge des „Allgemeinen Zuständigkeitsgesetzes“ sollte gebildet werden, die sich aus fachlich geeigneten Vertreterinnen und Vertretern der Landes- und Bezirksebene sowie Wirtschaft und Gesellschaft zusammensetzt. Zielsetzung muss es sein, die Zuständigkeiten zwischen Senat und Bezirken neu zu ordnen und eindeutige Aufgabenzuweisung an die Landes- beziehungsweise Bezirksebene zu formulieren. Des Weiteren muss die Arbeitsgruppe das Ziel verfolgen, Verwaltungsverfahren zu optimieren, zu beschleunigen oder gegebenenfalls abzuschaffen. Bedarfsgerecht fördern, Entwicklungsperspektiven schaffen, Berufsorientierung stärken Seiten 36 und 42* Damit spätestens ab dem Schuljahr 2024/25 weitere standardisierte Vergleichsarbeiten zur Leistungsmessung der Kompetenzen implementiert werden können, sollte ein Konzept für die stufenweise Einführung erarbeitet werden. Die geplanten Maßnahmen zur Stärkung der Berufsorientierung sollte die Senatsbildungsverwaltung verbindlich für alle Schulformen im Berliner Landeskonzept Berufiche Orientierung verankern. Damit alle Kinder mit besseren (sprachlichen) Kompetenzen in die Schule starten, ist die frühzeitige Einladung zu einer Task Force „Kita-Chancenjahr“ notwendig. Bauen mit „Schneller-BauenGesetz“ und Genehmigungsfiktionen beschleunigen Seite 47* Das Vorhaben zum geplanten „Schneller-Bauen-Gesetz“ ist zu konkretisieren. Das Gesetz sollte die Genehmigungsprozesse zur Beschleunigung von Wohnungsbau umfassen und die Einführung einer Genehmigungsfiktion beinhalten. Darüber hinaus bedarf es einer transparenten Darstellung der Folgekosten des Gesetzesvorhabens. Die Bauordnung ist zu novellieren. Dabei sind eine Harmonisie- rung mit Brandenburg und eine Angleichung an die Musterbauordnung des Bundes entscheidend. Gute Bedingungen für den Wirtschaftsverkehr schaffen Seite 61* Das Kapitel „Wirtschaftsverkehr“ des Mobilitätsgesetzes sollte vom Abgeordnetenhaus beschlossen werden. Parallel ist mit der Erstellung eines umfangreichen Konzepts für Laden & Liefern zu beginnen. Bündnis für Ausbildung starten Seite 68* Das Bündnis für Ausbildung sollte jetzt mit den Wirtschafts- und Sozialpartnern gestartet werden, um dort alle Themen zur Stärkung der dualen Ausbildung in Berlin zu verabreden. Alle Maßnahmen sollten auf einer belastbaren Datenbasis bezüglich Angebot und Nachfrage erfolgen. Steuerung der Fachkräftepolitik zentralisieren Seite 70* Ein strategischer Rahmen sollte erarbeitet werden. Ebenso sollten alle politischen Fragen rund um die Fachkräftesicherung in Berlin (mit einem konkreten Ansprechpartner für das Gesamtthema) zentralisiert werden. Darüber hinaus ist ein Maßnahmenpaket zu entwickeln, das die Hebung aller Potenziale auf dem Arbeitsmarkt zum Inhalt hat sowie sämtliche dazugehörigen Instrumente wie die Stärkung der Fachkräfteeinwanderung. Zentrengipfel und „Task Force Zentrenentwicklung“ initiieren Seite 81* Der Zentrengipfel sollte konstituiert werden. Die ersten Standorte für eine „Task Force Zentren- entwicklung“ sollten identifiziert und eingerichtet werden. Bei der Erarbeitung von Konzepten für diese Standorte ist die breite Beteiligung der Anrainer und weiterer Nutzergruppen sicherzustellen. Idee einer Expo 2035 prüfen und Beteiligungsprozess entwickeln Seite 83* Die Weltausstellung 2035 ist eine einmalige Chance für eine zeitlich fokussierte und zugleich alle Bereiche umfassende Stadtentwicklung der nächsten 12 Jahre. Um sich national und international durchzusetzen, muss Berlin den Prozess jetzt starten und die Bewerbung mit der Stadtgesellschaft genauso wie mit der Bundesregierung diskutieren. Hochschulverträge weiterentwickeln Seite 96* Die Gespräche zu den neuen Hochschulverträgen sollten erfolgreich abgeschlossen werden, sodass das parlamentarische Verfahren schnellstmöglich starten kann. Inhaltlich ist der Transfer als dritte Säule gleichberechtigt neben Lehre und Forschung zu verankern und die Grundfinanzierung dafür zu sichern. Es sollte unter Einbeziehung der Wirtschaft ein neues Indikatoren-Set für alle Hochschulen entwickelt werden, das je nach Hochschulprofil fexibel ist, die Zielerreichung von Transferaktivitäten hochschulindividuell messbar macht und echte Anreize für die Hochschulmitglieder setzt. Sondervermögen „Klimaschutz, Resilienz und Transformation“ schaffen Seite 130* Die geplanten Maßnahmen des neuen Sondervermögens müssen jetzt zügig konkretisiert werden. Als Grundlage dafür sollte das Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm genutzt und angepasst werden. Niedrigschwellige Maßnahmen (z. B. Fortführung und Erweiterung der Förderkulisse zur energetischen Gebäudesanierung) sowie Maßnahmen mit großer Hebelwirkung (z. B. Erstellung eines Wärmekatasters) gilt es als Erstes zu definieren und entsprechend mit Budgets, personellen Kapazitäten, Zuständigkeiten und Fristen zu hinterlegen.

Der IHK-Ausschuss „Nachhaltige Metropole“ will an der globalen Vorreiterrolle der Stadt mitwirken von Verena Linz Berlin könnte Maßstäbe setzen Nachhaltigkeit ist längst vom „nice to have“ zum „must have“ geworden. Ressourcen sind knapp, multiple Krisen fordern uns heraus. Nachhaltiges Handeln ist alternativlos, wenn es darum geht, ein langfristig ausgewogenes Wirtschaftswachstum zu sichern. Berlin mit seiner einzigartigen Geschichte als Stadt der Chancen und der Zukunftsgestaltung, mit seiner engagierten Wirtschafts- und Wissenschaftslandschaft und seiner vielfältigen Stadtgesellschaft hat die Chance, bei der nachhaltigen Transformation einmal mehr Leuchtturm des Auf- und Umbruchs zu sein. Bislang bleibt die Stadt jedoch hinter den Möglichkeiten einer modernen und nachhaltigen Weltmetropole zurück. Um ein gemeinsames Verständnis dafür zu schaffen, wie sich die Berliner Wirtschaft die Zukunft ihrer Stadt vorstellt, hat der Ausschuss „Nachhaltige Metropole“ es sich zur Aufgabe gemacht, ein Zielbild für Berlin zu erarbeiten. Gemeinsam mit den anderen IHK-Ausschüssen soll anhand von Themen-Clustern ein konkretes Bild für ein nachhaltiges Berlin im Jahr 2035 entwickelt werden. „Der Vorteil eines Zielbilds liegt in der konkreten Anschaulichkeit von dem, was zu einem definierten Zeitpunkt sein soll. Die Zukunft ,gibt‘ es ja nicht, sie wird. Und wir können gemeinsam gestalten, wie wir dorthin kommen werden. Dafür wollen wir im Prozess die unterschiedlichen Zukunftsvorstellungen der Stakeholder austauschen und zu einem ambitionierten Zielbild verhandeln“, so Antje Meyer, Vorsitzende des Ausschusses „Nachhaltige Metropole“. Dabei sollen unter anderem folgende Fragen beantwortet werden: Welche Risiken sind immanent, welche Chancen können von Unternehmen zur nachhaltigen Transformation ergriffen werden? Welche Best-Practice-Beispiele gibt es bereits in Berlin? Und welche Rahmenbedingungen werden von Politik und Verwaltung benötigt, um die Transformation zu unterstützen? Weitere zentrale Themenkomplexe, mit denen sich der Ausschuss in der laufenden Legislaturperiode befassen möchte, sind Wirtschaftsmodelle, die Zusammenarbeit in der Metropolregion, die Entwicklung der Cluster sowie Impact- und Finance-Themen – alles unter der Maßgabe der Nachhaltigkeit. ■ Themen-Ausschüsse der IHK Berlin Bildungsstarke Stadt; Kontakt: Sandra Theede, Tel.: 030 / 315 10-829 Fachkräfte und Arbeitsmarkt; Kontakt: Julian Algner, Tel.: 030 / 315 10-373 Funktionierende Stadtverwaltung; Kontakt: Markus Krause, Tel.: 030 / 315 10-154 Innovative und wissensgetriebene Stadt; Kontakt: Henrik Holst, Tel.: 030 / 315 10-623 International agierende Stadt; Kontakt: Dr. Valentina Knezevic, Tel.: 030 / 315 10-243 Mobile Stadt; Kontakt: Dr. Lutz Kaden, Tel.: 030 / 315 10-415 Nachhaltige Metropole; Kontakt: Verena Linz, Tel.: 030 / 315 10-785 Starke IHK Berlin; Kontakt: Eva Gartmann, Tel.: 030 / 315 10-462 Vernetzte und ökologische Stadt; Kontakt: Andreas Kubala, Tel.: 030 / 315 10-758 Wachsende und lebendige Stadt; Kontakt: Christof Deitmar, Tel.: 030 / 315 10-411 Im ehrenamtlichen Einsatz für die Zukunft Berlins: der IHK-Ausschuss „Nachhaltige Metropole“ unter dem Vorsitz von Antje Meyer (vorne Mitte) FOTO: IHK BERLIN Berliner Wirtschaft 06 | 2023 AGENDA | Ehrenamt | 16

Ehrenamtliches Engagement: der IHK-Ausschuss „Bildungsstarke Stadt“ mit seinem Vorsitzenden Dieter Mießen, Frisch & Faust Tiefbau GmbH (vorne) IHK-Ausschuss erarbeitet angesichts der Schulmisere Empfehlungen an die Politik von Yvonne Meyer Bildung braucht Nachhilfe I m Bereich Bildungspolitik fällt es aktuell schwer, optimistisch zu sein. Gerade ergab die internationale Vergleichsstudie „IGLU“, dass ein Viertel der Viertklässler in Deutschland die Mindeststandards beim Lesen verfehlt. Lehrkräftemangel, Schulabbrecher und marode Gebäude scheinen in Berlin fast an der Tagesordnung zu sein. Dabei ist Bildung der Schlüssel, auch für ein erfolgreiches Berufsleben und damit auch für die Wirtschaft. Der IHK-Ausschuss „Bildungsstarke Stadt“ nimmt die gesamte Bildungskette in den Blick und bezieht wichtige unternehmerische Akteure, etwa im Privatschulwesen und in der EdTech-Branche, mit ein. Es wäre einfach, sich auf Politik- oder Schulbashing zu beschränken, aber die ehrenamtlich en- gagierten Unternehmerinnen und Unternehmer erarbeiten Empfehlungen an die Politik. Ob bei der Weiterentwicklung des Schulfachs Wirtschaft-Arbeit-Technik, der Reform des sogenannten „Übergangssystem“, der Arbeit der Jugendberufsagentur oder der Stärkung der „Klimaberufe“ – die Akteure aus Wirtschaft, Bildung und Forschung geben konkrete Impulse und schlagen Lösungen vor. Dank des Neustarts mit der schwarz-roten Koalition in Berlin besteht die Chance, dass es in dieser Legislatur etwas werden könnte mit einer neuen Kultur des Zusammenwirkens in der beruflichen Bildung. Die Wirtschaft steht als Partnerin in einer neuen Kultur des Zusammenwirkens bereit. Nicht zuletzt haben die Mitglieds- unternehmen der IHK ein Interesse daran, dass alle Schülerinnen und Schüler ihre Talente entdecken, Chancen wahrnehmen und erfolgreich ins Berufsleben starten können – ob als Azubi oder potenzieller Mitarbeiter. ■ Weitere Informationen ihk.de/berlin/ ausschuesse FOTO: IHK BERLIN Design - Bau - Service Immobilien mit System GOLDBECK Niederlassung Berlin-Brandenburg, 14974 Ludwigsfelde, Seestraße 35, Tel. +49 3378 8653-0, berlin-brandenburg@goldbeck.de GOLDBECK Niederlassung Büro- und Wohngebäude Berlin, 10787 Berlin, Kurfürstenstraße 84, Tel. +49 30 2541089-10, berlin-brandenburg@goldbeck.de building excellence goldbeck.de

INHALT 22 Keine Ruhe geben Eine Initiative belebt Wilhelmsruh in Pankow 24 Charme der „Bölsche“ Behutsamer Wandel in Friedrichshagen 25 Altstadt mit neuen Ideen Unternehmen in Spandau hüten historischen Kern 26 „Der Handel braucht attraktivere Zentren“ Nicole Srock.Stanley, Gründerin Dan Pearlman Group, im Interview fokus ILLUSTRATION: GETTY IMAGES/FSTOP/MALTE MUELLER Anforderungen an urbane Zentren verändern sich, gefragt ist vor allem eine höhere Aufenthaltsqualität

DIE NEUE STADT Verändertes Konsumverhalten und Krisen beschleunigen den Strukturwandel in urbanen Zentren. Alle Akteure müssen jetzt gemeinsam an attraktiven Zukunftskonzepten arbeiten von Jens Bartels Pragmatische Stadtentwicklung | 19 Berliner Wirtschaft 06 | 2023

Z entren und Einkaufsstraßen stehen vor großen Herausforderungen. Neben den Folgen der Corona-Pandemie und aktuellen Beeinträchtigungen des Konsumklimas beschleunigen der Onlinehandel und die sinkende Attraktivität des Prinzips Kaufhaus den Wandel. Immer mehr kleinere inhabergeführte Einzelhandelsbetriebe schließen, damit geht ein Teil der Individualität der Kieze verloren. Allerdings betrifft dieser Strukturwandel die vielen Zentren der Hauptstadt nicht im gleichem Maße. Beispielsweise ist es gelungen, Berlins City West als Shopping-Standort attraktiver zu gestalten. So gaben bei einer Umfrage im Auftrag von IHK Berlin, AG City und Handelsverband Berlin-Brandenburg (HBB) knapp 35 Prozent der Befragten an, die Attraktivität von Kurfürstendamm und Tauentzienstraße habe sich gesteigert. Knapp 45 Prozent attestierten eine gleichbleibende Attraktivität. Die meisten Befragten kommen überwiegend mit Bus oder Bahn zum Einkaufen in die City West; das mit Abstand meiste Geld geben im Schnitt allerdings jene Besucher aus, die mit dem Auto zum Shoppen fahren. Bemerkenswert: Fast 70 Prozent der Teilnehmer nutzen zwar den Onlinehandel, besuchen aber dennoch die City West unverändert häufig zum Einkaufen (Bundesschnitt 48,6 Prozent). Willkommenskultur mit City Guides Dafür wird auch eine Menge getan. Angefangen bei der Erhöhung der Willkommenskultur durch City Guides über die kostenfreie Einwahlmöglichkeit ins WiFi bis hin zu verschiedenen Kunst- und Kulturangeboten, sorgt das große Engagement der Standortgemeinschaft für die ungebrochene Attraktivität am Standort rund um den Ku’damm und Tauentzien. Zur Finanzierung dieses Engagements mit einem geplanten Budget von rund 8,9 Mio. Euro diente ein Business Improvement District (BID). Weltweit als pragmatisches und funktionales Instrument in der Stadtentwicklung zum Erhalt oder zur Verbesserung der Standortqualität etabliert, werden beim BID zu 100 Prozent private Gelder investiert, um über die Maßnahmen der Stadt hinaus zusätzliche Projekte umzusetzen. „BIDs können keine toten Innenstädte wiederbeleben, jedoch Zentren, die in ihrer Struktur funktionsfähig sind, in ihrer Qualität so aufwerten, dass die Lebendigkeit erhöht sowie Frequenzen und Umsätze der Gewerbetreibenden gesteigert werden und sich das am Ende auch nachhaltig auf den Wert der Immobilien auswirkt“, erklärt Romy Schubert, Geschäftsführerin der BID Ku’damm-Tauentzien GmbH. „Durch unsere Aktivitäten wurde am Standort damit ein Qualitätsniveau erreicht, dass sich mit großen internationalen Metropolen messen kann“, fügt sie hinzu. Mittlerweile haben sich Gleichgesinnte mit fachlicher Expertise auch des über Jahrzehnte vernachlässigten Hardenbergplatzes angenommen. Unter dem Namen „Smart Space Hardenbergplatz“ soll der Bereich vor dem Bahnhof Zoologischer Garten bis 2026 gemeinsam mit der Berliner Stadtgesellschaft vom Bahnhofsvorplatz zu einem Stadtplatz mit erhöhter Robert Rückel, Vizepräsident der IHK Berlin und Geschäftsführer des Deutschen Spionagemuseums, ist seit Mai auch frisch gewählter Vorsitzender des Tourismusausschusses der DIHK. Bei der Gestaltung von Zentren setzt er auf private Akteure sowie Beratung und eine Anschub- finanzierung durch den Senat. FOKUS | Pragmatische Stadtentwicklung | 20

Aufenthaltsqualität und smarten Mobilitätsangeboten weiterentwickelt werden. Sowohl die Umfrage als auch die Beispiele aus der City West zeigen: Städtische Zentren haben eine Zukunft, vorausgesetzt, Erreichbarkeit, Angebotsmix und Erlebnisse sind gegeben. Für die Berliner Kieze mit ihren eigenen und unverwechselbaren Charakteren bedeutet dies, ihre Besonderheiten herauszuarbeiten, bekannter zu machen und für Bewohner wie auch für Gäste weiterzuentwickeln. „Bei dieser aktiven Umgestaltung unserer Zentren fällt den privaten Akteurinnen und Akteuren eine maßgebliche Rolle zu, und zwar aus allen Branchen, also sowohl Handel, Gastronomie und Immobilienwirtschaft als auch Tourismus und Kreativwirtschaft“, betont Robert Rückel. „BIDs können hier ein gutes Instrument sein, um privates Engagement zielgerichtet in jene Projekte zu lenken, die den Standort aus Sicht der lokalen Wirtschaft voranbringen“, ist der Vizepräsident der IHK Berlin überzeugt. Allerdings ist hierfür in Zukunft wesentlich mehr Unterstützung in Form von Beratung und Anschubfinanzierung nötig, als es bisher in Berlin der Fall war. „Da erhoffe ich mir vom neuen Berliner Senat mehr Engagement, zum Beispiel in Form einer Senats-BID-Direktion, die mit Know-how und Personal erste Hürden überwinden hilft“, so Robert Rückel. Dies ist nicht der einzige Vorschlag der IHK Berlin, mit dem sich die Attraktivität der Zentren in der Hauptstadt erhalten oder sogar verbessern lässt. Viele weitere konstruktive Ideen finden Interessierte im Businessplan „Pragmatische Stadt- entwicklung“ der IHK Berlin. Dieser im vergangenen Jahr veröffentlichte Katalog eines Expertenteams benennt Produkte, messbare Ziele, die nötigen Ressourcen sowie die relevanten Stakeholder, mit denen die Stadtgesellschaft die Verbesserung des Zusammenlebens und der Entwicklung Berlins zu einer nachhaltigen Weltmetropole vorantreiben kann. Einer der weiteren Lösungsansätze beschäftigt sich mit der Frage, welche Perspektiven es mit dem Umgang von Leerständen gibt. „Leerstände sind per se nicht schlecht oder schädlich“, sagt Susann Liepe. „Eine gewisse, aber geringe Leerstandsquote in Geschäftszentren ermöglicht erforderliche Modernisierungen der Gewerbeflächen und bietet Spielräume für die Ansiedlung neuer und innovativer Geschäftsmodelle“, ergänzt die Geschäftsführerin der Lokation:s Gesellschaft für Standortentwicklung mbH. Gefährlich wird es nach Überzeugung der Expertin für Standortentwicklung aber, wenn die Leerstände in einem Zentrum zunehmen und zu einer nachlassenden Attraktivität und abnehmenden Passantenfrequenzen führen. Dies gelte es etwa mithilfe einer sinnvollen Zwischennutzung zu vermeiden. „Grundsätzlich ist dabei aus Sicht der Zentrensicherung eine attraktive Zwischennutzung eine Nutzung, die für den Standort Frequenz erzeugt, unabhängig davon, ob es sich um eine kommerzielle Handels- oder Gastronomienutzung, ein kulturelles oder Bildungsangebot handelt beziehungsweise eine soziale Nutzung beinhaltet“, erklärt Susann Liepe. „So eine Zwischennutzung sollte aber inhaltliche, räumliche und zeitliche Kopplungseffekte zu anderen Nutzungen aufweisen.“ Kulturelle Zwischennutzung Wie praktikable Lösungen im Sinne einer pragmatischen Stadtentwicklung aussehen können, zeigt das Beispiel des Vereins Transiträume Berlin. Dessen zentrales Anliegen ist es, temporären Leerstand von Berliner Gewerbeimmobilien als Chance zu sehen und diese zugunsten der Stadtgesellschaft sowie der Immobilienobjekte zu nutzen. „Unser Verein dient einerseits dem Erfahrungsaustausch mit Immobilienunternehmen, die auf der Suche nach temporären Zwischennutzungskonzepten sind“, erklärt Michael Hapka, Vorstandsvorsitzender von Transiträume Berlin. „Dabei geben wir die Erfahrungen von bereits realisierten temporären Zwischennutzungskonzepten weiter.“ Andererseits unterbreite der Verein den Eigentümern Vorschläge zur kulturellen Zwischennutzung und berate Kulturschaffende beim Finden passender Locations für ihre Projekte. „Die Stadt Berlin sollte sich als Ziel setzen, die im Grunde frappierend einfache Möglichkeit, mit Leerstand positive Effekte zu erzielen, zu einem Standard zu machen“, schlägt Hapka vor. Auch IHK-Vizepräsident Rückel möchte die sich durch sinnvolle Zwischennutzungen ergebenden Chancen mehr in den Fokus rücken. „Eine zentrale Zwischennutzungsagentur kann hier helfen, Leerstände und Nutzungen zu matchen, aber auch Fragen zur Projektfinanzierung zu beantworten.“ Es gibt viele Ideen und Vorschläge, wie Zentren attraktiv und selbstbestimmt bleiben können, etwa durch eine partnerschaftliche Zusammenarbeit von Gastronomie und Bezirken. So hat etwa der Bezirk Mitte die Möglichkeit verstetigt, dass Parkbuchten im öffentlichen Straßenland entweder für Schankvorgärten von anliegenden Gaststätten oder für Parklets als Orte der Begegnung genutzt werden können. ■ Christof Deitmar, IHK-Public-Affairs- Manager Stadtentwicklungspolitik Tel.: 030 / 315 10-411 christof.deitmar@berlin. ihk.de 35 % der Teilnehmer einer Umfrage der IHK Berlin und weiterer Partner bescheinigen Ku’damm und Tauentzien gesteigerte Attraktivität. Romy Schubert BID Ku’damm-Tauentzien Durch unsere Aktivitäten wurde ein Qualitätsniveau erreicht, das sich mit großen internationalen Metropolen messen kann. FOTOS: AMIN AKHTAR, PRIVAT Berliner Wirtschaft 06 | 2023

E tliche Bewohner der Hauptstadt kennen solche Probleme aus dem eigenen Kiez: Die Geschäftsstraße vor Ort wird durch Verkehrslärm von Schwerlasttransportern beeinträchtigt. Es gibt wenige Querungsmöglichkeiten, die Fußwege sind stark beschädigt, und Sitzmöglichkeiten fehlen. Mitunter prägen auch viele Ladenschließungen das Bild – aus Altersgründen oder wegen der teuren Mieten. Und das Angebot an Waren des täglichen Bedarfs ist gering. So eine über die Jahre immer weiter sinkende Aufenthaltsqualität erlebten auch die Menschen rund um die Hauptstraße im Pankower Ortsteil Wilhelmsruh. Eine Gruppe von aktiven Wilhelmsruhern wollte sich im Jahr 2019 mit dieser Situation nicht mehr abfinden. „Für uns war der Wettbewerb ,Mittendrin Berlin! Projekte in Berliner Zentren‘ der Startschuss, uns überhaupt als Interessengemeinschaft zu gründen“, erzählt Nele Thoma, eine der Initiatorinnen der Initiative „Wilhelm gibt keine Ruh“. Der auch von der IHK Berlin getragene Wettbewerb zeichnet Ideen und Konzepte lokaler Akteure und Standortgemeinschaften aus, die die Zentren und Geschäftsstraßen der Stadt in besonderer Weise stärken. „Die finanziellen Mittel, aber auch die professionelle Unterstützung und die Beratungsleistungen waren der Anreiz, daran teilzunehmen, um unsere Vision von Wilhelmsruh als ein lebendiges, von Anwohnern mitgestaltetes und selbstbestimmtes Quartier zu verfolgen“, ergänzt die engagierte Macherin aus Wilhelmsruh. „Vier Jahre später sind wir ein eingetragener Verein mit Gemeinnützigkeit, haben viele Ideen umgesetzt, um die Attraktivität und Aufenthaltsqualität unserer Hauptstraße zu erhöhen, und den Wettbewerb als einzige Gruppe sogar zweimal gewonnen.“ Gleichzeitig hat „Wilhelm gibt keine Ruh“ in kürzester Zeit ein breites Netzwerk aufgebaut, das neben lokalen Akteuren auch Vertreter aus der Verwaltung und der Wirtschaft umfasst. Die Vielzahl der mittlerweile realisierten Projekte und Veranstaltungen vor Ort beeindruckt. Mit der Eröffnung eines Kiezladens wurde der erste großen Schritt getan, die Attraktivität und Aufenthaltsqualität zu erhöhen. „Richtig aufrütteln konnten wir die Anwohner mit einer Aktion, als wir die Schaufenster fast aller Geschäfte schwarz verhüllt und mit neonfarbenen Buchstaben kurze Botschaften wie ,Wenn Geschäfte Trauer tragen‘ oder ,Wir schließen‘ zum Nachdenken auf die schwarzen Fenster geschrieben haben“, so Nele Thoma. „Damit haben wir den Menschen eben vor Augen geführt: So sieht es hier aus, wenn ihr alles nur noch im Internet bestellt.“ Nach Überzeugung der Akteure von „Wilhelm gibt keine Ruh!“ müssen auch die Anwohner ihren Teil dazu beitragen, ihren eigenen Kiez und die Geschäfte in der Hauptstraße zu pflegen. Darüber hinaus wurde kürzlich in Kooperation mit einem renommierten Berliner Marktbetreiber ein samstäglicher Wochenmarkt eröffnet. Mittelfristig soll mit dieser Idee die Angebotslücke im Ort geschlossen und gleichzeitig der öffentliche Raum zum Schauen, Schlendern und Einkaufen vergrößert werden. Nicht zuletzt stellt der Verein auch neue Sitzgelegenheiten auf, bepflanzt kleine und große Kübel oder baut Rollstuhlrampen aus Legosteinen für mehr Barrierefreiheit. Flanieren, Inspirieren, Austauschen „Eine Geschäftsstraße hat viel mehr Aufgaben, als nur den täglichen Bedarf an Konsumgütern zur Verfügung zu stellen“, wird Nele Thoma nicht müde zu betonen. „Wir wissen mittlerweile, dass die Aufenthaltsqualität des öffentlichen Raums, zum Verweilen, zum Flanieren, Inspirieren und Austauschen eine wesentlich größere Rolle spielt als der reine Einkauf“, fügt die engagierte Frau aus dem Pankower Ortsteil Wilhelmsruh hinzu. „Interessengemeinschaften können hier einen anderen Blickwinkel eröffnen, neue Perspektiven zeigen und Ideen wie Pop-up-Stores einfacher umsetzen, denn sie stehen für Bedürfnisse aus der Bevölkerung, die marktwirtschaftlich orientierte Eigentümer oder Investoren so nicht abbilden können.“ ■ Eine Initiative belebt die Geschäftsstraße von Wilhelmsruh neu. Motivation und Geld lieferte der Wettbewerb „Mittendrin Berlin! Projekte in Berliner Zentren“ Keine Ruhe geben 2-mal gewonnen hat die Initiative aus Wilhelmsruh beim Wettbewerb „Mittendrin Berlin!“, als bisher einziger Teilnehmer. Nele Thoma, Mitinitiatorin von „Wilhelm gibt keine Ruh“ am neuen Wochenmarkt Nele Thoma Wir haben den Menschen vor Augen geführt: So sieht es hier aus, wenn ihr alles nur noch im Internet bestellt. Wettbewerb Mehr zur Zentren-Initiative „Mittendrin Berlin!“, die die IHK mitträgt: berlin.de/mittendrin FOTO: CHRISTIAN KIELMANN FOKUS | Pragmatische Stadtentwicklung | 22 Berliner Wirtschaft 06 | 2023

S chnurgerade führt die mehr als einen Kilometer lange Bölschestraße vom S-Bahnhof Friedrichshagen bis zum Müggelsee. Einst erbaut, um mit den großen Geschäftsstraßen im Zentrum mithalten zu können, gilt sie noch heute als eine der schönsten Einkaufs-, Gastronomie- und Flaniermeilen Berlins. Zu den Besonderheiten gehört, dass sie in ihrem historischen Verlauf und der Bebauung weitestgehend erhalten geblieben ist. Über 100 Bauwerke stehen unter Denkmalschutz, darunter die Christophoruskirche und das ehemalige Rathaus Friedrichshagen. „Entscheidend für den Erfolg dieser charmanten und erfolgreichen Einkaufsstraße sind neben dem historischen Flair die inhabergeführten kleinen Geschäfte und der immer noch existierende Branchenmix. Aber auch das gute Zusammenspiel unseres lokalen Netzwerks spielt eine wichtige Rolle“, weiß Tobias Apelt. „Gerade mit dem großen Angebot an Waren des täglichen Bedarfs erreicht die ,Bölsche‘ einerseits als Nahversorgungszentrum die Menschen aus dem Kiez und andererseits viele Kunden, die deutlich außerhalb von Friedrichshagen wohnen“, so der Geschäftsführer der Rathaus Friedrichshagen Projekt GmbH & Co. KG. Auch das Rathaus selbst trägt mit seiner besonderen Mischung sehr zur Attraktivität der Bölschestraße bei. Seit 2010 die Polizeiwache aus dem Gebäude auszog, wird das Haus durch einen Zusammenschluss engagierter Bürger zum Zentrum für Kultur, Bildung, Soziales, Tourismus und Wirtschaft entwickelt. „Immer, wenn Geld da ist, geht es einen Schritt weiter“, erzählt der engagierte Geschäftsführer. „Gerade wurde nach zweijähriger Sanierung der Ratskeller neu eröffnet, nun möchten wir im Keller des Rathauses bis Ende des nächsten Jahres eine eigene Brauerei einbauen.“ In den nächsten Jahren ist nach Angaben des Bezirksamts geplant, die Bölschestraße fußgängerfreundlicher umzugestalten. Gelingen soll das beispielsweise durch mehr Sitzmöglichkeiten und Fahrradabstellplätze sowie breitere Baumscheiben und mehr Platz für die Außengastronomie. „Auf der einen Seite ist es mehr als wichtig, etwa Menschen mit Kinderwagen, Rollstühlen oder Rollatoren den Zugang zur Bölschestraße zu erleichtern“, sagt Tobias Apelt, „auf der anderen Seite gilt es den ÖPNV viel besser in Richtung Friedrichshagen auszubauen und gleichzeitig Parkplätze zu schaffen, damit die Besucher, die aus dem Umland kommen, bequem ihr Auto abstellen und auf der Bölschestraße einkaufen können.“ Sonst gingen die Kunden irgendwann eher ins Forum in Köpenick oder kauften bei Amazon ein. ■ 100 Gebäude entlang der Bölschestraße stehen unter Denkmalschutz, darunter das alte Rathaus Friedrichshagen. Schritt für Schritt wird die seit jeher attraktive Friedrichshagener Bölschestraße weiterentwickelt. Dabei gilt es viele Interessen im Blick zu behalten Charme der „Bölsche“ Für Tobias Apelt ist wichtig, dass die Bölschestraße sowohl Bewohner als auch Besucher anspricht FOTOS: CHRISTIAN KIELMANN Berliner Wirtschaft 06 | 2023

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