Berliner Wirtschaft Juni 2022

» duale Ausbildung. Dazu kommt: Manche Betriebe haben geringes Interesse auszubilden oder schät- zen ihre eigenen Möglichkeiten auf der Suche nach den Fachkräften von morgen nicht richtig ein. Höchste Zeit, sich dieser Entwicklung ent- gegenzustellen. Die Rechnung ist ganz einfach: Wo heute Auszubildende fehlen, gibt es künftig zu wenig Fachkräfte. Entsprechend müssen auf allen gesellschaftlichen Ebenen die Anstrengun- gen verstärkt werden, der dualen Ausbildung als Königsweg der Fachkräftesicherung wieder mehr Bedeutung zu verschaffen. Chancenreicher Karrierestart Aber wie lassen sich junge Menschen für diesen chancenreichen Karrierestart überzeugen? Die- ser Prozess beginnt bereits mit der Berufsorien- tierung: Klassische Instrumente wie Betriebsbe- suche oder Praktika spielen hierbei eine wich- tige Rolle. „Das eigene Ausprobieren und vielleicht auch das Mitnehmen von Dingen, die ichwährend des Praktikums geschaffen habe, bleiben länger im Gedächtnis als theoretisches Kennenlernen von Berufen“, betont Gerd Woweries, Geschäfts- führer der ABB Ausbildungszentrum Berlin gGmbH. „Dazu zählen auch solche Formate wie unser Technik-Camp, wo Mädchen die Möglich- keit geboten wird, eine Woche lang in den Ferien sich imBereich Metall – Elektro auszuprobieren, ergänzt Woweries. Nach Überzeugung des Bildungsexperten ist aber auch eine Bewusstseinsänderung nötig, damit sich insgesamt wieder vermehrt junge Menschen für die duale Ausbildung gewinnen lassen. „Solange so getan wird, als ob die duale Berufsausbildung nur für die Jugendlichen geeig- net ist, die es nicht zum Studium geschafft haben, wird sich wenig ändern“, so Woweries. „Es muss den Jugendlichen wieder vermittelt werden, dass eine Ausbildung sehr anspruchsvoll ist und es Menschen glücklich macht, mit dem eige- nen Kopf und der eigenen Hände Arbeit Dinge zu schaffen, inklusive der attraktiven Karriere- und Verdienstmöglichkeiten nach einem erfolg- reichen Abschluss.“ Den Blick möglichst früh für eine reflek- tierte Berufswahlentscheidung schärfen, dieser Ansatz wird auch mit dem Talente-Check sowie demShowroom für die duale Ausbildung verfolgt. Seit dem vergangenen Jahr machen beide Ange- bote die Berufsorientierung zu einemmodernen und zielgruppengerechten Erlebnis, bei dem die Schülerinnen und Schüler aller achten Ber- Johannes Kirsch Geschäftsführer Kivent GmbH Mit dem „Karriere Kick“ hat Kivent ein spielerisches Format entwickelt, bei dem potenzielle Azubis auf ausbildungswillige Betriebe treffen. Kennenlernen am Kickertisch – und dann entspannt über Job und Ausbildung sprechen, so funktioniert das Konzept. Vorige Doppelseite: Sabrina Konzok Geschäftsführerin Kiron Digital Learning Solutions GmbH Auf niedrigschwellige digitale Lernangebote, die auf den jeweiligen Arbeitskontext zugeschnitten sind, setzt das Unterneh- men aus Neukölln. Kleine und mittlere Unternehmen einer Branche sollten sich zu digitalen Lernökosys- temen zusammen- schließen, um im Verbund am Ball zu bleiben. D ie Suche nach Fachkräften wird für viele Berliner Unternehmen zunehmend schwieriger. In der Baubranche etwa gibt es schon jetzt einen Mangel an passen- dem Personal. Durch Fluktuation und Renten- eintritte gehen die Mitarbeiterzahlen zurück. Das sorgt auf vielen Baustellen für eine angespannte Beschäftigungssituation. „Der Arbeitsmarkt ist quasi leer gefegt“, berichtet Dieter Mießen von der Frisch & Faust Tiefbau GmbH. „Zuverlässige undmotivierte Mitarbeiter sind derzeit nicht ver- fügbar“, fügt der kaufmännische Leiter des Pan- kower Unternehmens hinzu. Die Situation wird sich ab Mitte der 2020er- Jahre in allen Branchen noch einmal verschlech- tern. Dann erreichen die Jahrgänge der sogenann- ten Babyboomer das Renteneintrittsalter. So pro- gnostiziert der Fachkräftemonitor der IHK Berlin für das Jahr 2035 in der Hauptstadt 377.000 feh- lende Fachkräfte. Die Verschärfung geht maßgeb- lich darauf zurück, dass das Angebotspotenzial in Berlin in der nächsten Dekade deutlich sin- ken wird: 2035 werden dem Arbeitsmarkt nach den vorliegenden Berechnungen 423.000 weni- ger Fachkräfte zur Verfügung stehen als heute. Dieser Herausforderung versucht das Bauun- ternehmen aus Pankow mit einem klassischen Erfolgsrezept zu begegnen: Es setzt langfristig auf eine gleichbleibend hohe Ausbildungsquote. Jeder fünfte Mitarbeiter des Unternehmens ist ein Aus- zubildender. „Für dieses Ziel hat Frisch & Faust vor vielen Jahren begonnen, ein eigenes Bildungs- netzwerk mit zahlreichen Partnern aufzubauen“, erklärt Dieter Mießen. „Aus diesemNetzwerk und der Bekanntheit als zertifiziertes Ausbildungsun- ternehmen speisen sich unsere Bewerbungen.“ Job sucht Bewerber Allerdings spitzt sich auch die Situation auf dem Ausbildungsmarkt zu: Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft blieben zuletzt 40 Prozent aller Ausbildungsstellen in Deutschland unbesetzt. Am höchsten (60,4 Pro- zent) lag diese Quote demnach beim Verkauf von Fleischwaren. Ebenfalls einen hohen Anteil unbesetzter Ausbildungsstellen verzeichneten etwa die Berufe „Fachkraft im Gastronomie- service“ oder „Beton- und Stahlbetonbauer/-in“. Die Gründe dafür sind vielfältig. Oft genug pas- sen Jobs und Bewerber nicht zusammen, oder sie finden sich in Zeiten der Pandemie erst gar nicht. Zudem beginnen sehr viele junge Men- schen heutzutage lieber ein Studium als eine Johannes Kirsch Am Kickertisch begegnen wir uns frei von Vorurteilen, echt und authentisch auf Augenhöhe. FOTO: KIVENT/DANIEL KIRSCH SCHWERPUNKT | Ausbildungsoffensive 20 IHK BERLIN | BERLINER WIRTSCHAFT 06 | 2022

RkJQdWJsaXNoZXIy ODUxMjI4