Berliner Wirtschaft Mai 2024

B erlin gilt manchen als Stadt, die immer im Werden ist und nie ankommt. Die nie zufrieden, nie gesättigt ist. Vielleicht passen Start-ups gut hierher, weil sie auch so sind: hungrig und strebend. Oder prägt sich die Stadt ihnen ein? Was macht die Berliner Start-up- Kultur aus, was ist ihr Kern? „Sich immer wieder zu hinterfragen“, meint Start-up-Expertin Maren Lesche, Gründerin und CEO des Vision Health Pioneers Incubator. Mit ihrem Unternehmen Startup Colors berät sie Gründer und Innovatoren. Viele Gründerinnen und Gründer, so Lesche, seien alle drei bis vier Jahre in einer Phase der Selbstreflexion. Diese werde von Außenstehenden oft als Krise wahrgenommen. Die Bereitschaft zur Neuorientierung sei jedoch ein Zeichen eines reiferen und ausdifferenzierten Ökosystems. Auch Lesche ist, trotz jahrzehntelanger Erfahrung, immer wieder überrascht, auf welche Netzwerke, Sub-Hubs und Persönlichkeiten sie trifft. „Der Wow-Faktor ist für mich in Berlin immer noch da. Ich gehe in ein Gründerzentrum und denke: Wahnsinn, was die für Sachen machen“, erklärt sie begeistert. Bei den Start-ups, die sie berät, beobachtet sie in den letzten Jahren einen Wandel: Der Fokus aufs schnelle Geld weiche dem Ziel unternehmerischer Nachhaltigkeit. Noch immer zahlreiche Hürden Dazu zählt auch die Vernetzung mit der etablier- ten Wirtschaft. Hier, so Lesche, zeige sich ein Generationenwechsel. Die jüngeren, nun nachrückenden Geschäftsführerinnen seien offener für die Kooperation mit Start-ups. Doch auch diese müssen sich stärker auf die Welt des Mittelstandes einlassen. „Ich sehe immer mehr Gründerteams, die nicht mehr auf Start-up-Messen, sondern auf Branchenmessen gehen. Dort finden sie die Unternehmen mit den Problemen, die Start-ups lösen wollen.“ Laut Lesche gibt es ausreichend Potenzial für Vernetzungen. Aber noch immer zahlreiche Hürden, die sie erschweren: „Ich habe ausländische Gründer, die sich schon wegen der Sprachbarriere scheuen, in den klassischen deutschen Mittelstand einzusteigen“, schildert sie. Auf der anderen Seite mangele es bei erfolgreichen Mittelständlern an Verständnis für neue Technologien. „Oft erkennen sie Use Cases von Innovationen nicht, wenn die sich nicht unmittelbar auf die eigene Branche beziehen.“ Start-ups müssen die Herausforderungen der etablierten Wirtschaft lösen. Das gilt gerade für Impact-Gründungen. Viele große Unternehmen wollen nachhaltiger werden, weiß Lesche aus Gesprächen mit CEOs zu berichten. Aber diese Transformation muss zugleich deren wirtschaftliche Stabilität sichern: „Sustainability muss ein integraler Bestandteil eines Produktes sein. Entscheidend für den Erfolg ist die Umsetzung.“ Gründungen, die das bieten, haben gute Erfolgschancen. Die Chance, sich auszuprobieren Einwanderung ist für Maren Lesche einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren eines Start-up-Standortes. Vom neuen Tech-Visa erwartet sie sich positive Impulse: „Mit drei Jahren Sicherheit können Gründer an Technologien arbeiten, die sich nicht einfach kopieren lassen, die außergewöhnlich sind“, begründet sie nachdrücklich. „Denen kann man nicht sagen, mach mal husch,husch, in ein paar Monaten läuft dein Job-Seeker-Visa aus.“ Gerade im Healthbereich gibt es eine komplexe Regulatorik, deren Bewältigung Zeit koste. Positiv bewertet Lesche die Entwicklung der privaten Investmentszene. „Ich erlebe immer häufiger, dass gut verdienende Executive Manager zu Investment-Angels werden“, berichtet sie. Dies liege auch daran, dass Investmentwissen durch Akteure wie etwa den Business Angel Club Berlin-Brandenburg inzwischen aktiv verbreitet wird. Als Lesche, die selbst als Business-Angel aktiv ist, erstmals in ein Start-up investierte, war das noch anders: „Bei meinem ersten Investment fragte ich mich, ob ich das Geld jemals wiedersehe“, erzählt sie lachend. Investmentwissen hat sie sich durch Erfahrung und Vernetzung angeeignet: „Wenn man sich als Angel engagiert, muss man neben Geld auch Zeit in die Start-ups investieren“, ist Lesche überzeugt. Die Angel-Szene in Berlin wird ihrer Beobachtung nach heterogener. „Es stoßen immer mehr erfahrene Gründer dazu, die in den letzten Jahren einen guten Exit hatten und nun in neue Gründungen investieren.“ Das Gründerwissen in der Angel-Szene nimmt zu und damit auch die Qualität der Investments. Was kann verbessert werden? „Gründern sollte die Chance gegeben werden, sich auszuprobieren und zu lernen. Das heißt nicht, alles mal ein bisschen und nichts richtig zu machen“, erklärt Lesche, „sondern bewusst Ideen und Produkte in verschiedenen Bereichen testen zu dürfen, ohne sofort die Frage zu hören, ob man überhaupt die Qualifikation dafür hat.“ Nur so lässt sich herausfinden, wo eine Idee den meisten Mehrwert generiere. „Wir müssen mehr Produkte testen. Damit wir am Ende weniger, aber bessere Produkte am Markt haben.“ ■ Maren Lesche CEO Vision Health Pioneers Incubator und Start-up-Beraterin Der Wow-Faktor ist immer da. Ich gehe in ein Gründerzentrum und denke: Wahnsinn, was die für Sachen machen. Christian Nestler, IHK-Public-Affairs-­ Manager Gründungs- und Start-up-Politik Tel.: 030 / 315 10-286 christian.nestler@ berlin.ihk.de ILLUSTRATION: GETTY IMAGES/ISTOCKPHOTO/ELENABS; FOTO: ANNETTE KOROLL Standort | 43 Berliner Wirtschaft 05 | 2024

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