Berliner Wirtschaft Mai 2021

R udolf Schmidt formulierte 1907 in sei- nem Standardwerk „Deutsche Buchdru- cker“: „Dem Holzschnitt und der Litho- graphie wurde ein großer Teil ihrer bis- herigen Arbeitsfelder entrissen, andererseits aber die Schmückung der Bücher und Zeitschriften mit bildlichen Darstellungen in ganz außeror- dentlicher Weise ausgedehnt.“ Er würdigte damit die bahnbrechende Wirkung, die Georg Meisen- bachs (1841–1912) Erfindung für das illustrierte Druckgewerbe bedeutete: die Autotypie, die am 9. Mai 1882 mit dem Titel „Neuerung in der Her- stellung photographischer Platten für Hoch- und Tiefdruck-Clichés“ als Patent angemeldet wurde. Bei diesem fotografischen Reproduktionsver- fahren wird ein Foto oder eine Zeichnung durch ein Raster in kaum sichtbare Striche und Punkte zerlegt und auf ein Fotonegativ aufgenommen, das wiederum in eine Druckvorlage (Klischee) umge- setzt wird. Ein Original wird in vielen kleinen Punkten gedruckt, die vom Auge als Flächen unterschiedlicher Ton- werte wahrgenommen werden. Bald nach der Erfindung vor 140 Jahren setzten sich Duplex-Au- totypen und Dreifarbendrucke durch, um polychrome Repro- duktionen zu ermöglichen. Überhaupt war das Verfah- ren so erfolgreich, dass sich schon 1903 der „Bund der chemigraphi- schen Anstalten Kupfer- und Tiefdru- ckereien Deutschlands“ gründete, um sowohl Preiskämpfe zu verhindern als auch einheitliche Standards festzulegen. Nach regionalen Vorläu- fern etablierte sich der reichsweite Bund in Ber- lin –maßgeblich vorangebracht durch die Direk- toren Heinrich Riffarth (1860–1908) und August Spieß in der der Firma Meisenbach, Riffarth & Co. 1927 waren allein in der Reichshauptstadt 67 Unternehmen im Bund organisiert und lie- ferten sich mit dem Verband der Lithographen, Steindrucker und verwandter Berufe harte Tarifauseinandersetzungen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Meisen- bach, Riffarth & Co. das größte Unternehmen zur Bild-Klischee-Herstellung Deutschlands und hatte etwa bei der Einrichtung der Stromver- sorgung in Schöneberg erheblichen Druck aus- geübt, damit die neue Fabrik in der Hauptstraße 7a als erste mit 150 bis 200 Pferdestärken Ener- gie versorgt wurde. 1892 waren die Kunstdruck- anstalten von Meisenbach und Riffarth zusam- mengegangen und hatten den Hauptsitz in Berlin aufgeschlagen – auch wegen der Eigenschaft Ber- lins als „Centrale deutscher Wissenschaft, Kunst und Industrie“ (Schmidt). Zu diesem Zeitpunkt führte bereits der Sohn des Erfinders, August Mei- senbach (1865–1922), das Unternehmen und 1913 bis 1917 auch den Druckereibund. Nach dessen Tod übernahm Jakob Wochinger (1887–1976) die Leitung des Unternehmens, der Augusts Tochter Alexandra geheiratet hatte. Zunächst startete Wochinger durch und wandelte Meisenbach, Riffarth & Co. mithilfe des Bankhauses H. Aufhäuser aus München in eine Aktiengesellschaft um. Aufhäusers Mitei- gentümer Emil Kraemer (1877–1938) stand dem neu gebildeten Aufsichtsrat vor und beendete das anhaltende Missmanagement Wochingers, der das Unternehmen Ende der 1920er-Jahre in eine nicht nur durch die Rezession verursachte Krise geführt hatte, am 1. April 1933 durch Raus- wurf. Wochinger nutzte sofort seine nationationalsozialis- tischen Kontakte, um sich als „arisches“ Opfer des angeblich jüdisch dominierten Finanzkapi- tals darzustellen. Der „Jude Kraemer“ habe die Familie Wochinger-Meisen- bach durch „jüdischmeisterlich gedrehte Verträge“ in die Armut gedrängt, wie die Überlieferung im Bayerischen Hauptstaats- archiv dokumentiert. Wochingers Rachegelüste blieben jedoch unbefriedigt, was zumindest das Schöneberger Unternehmen betrifft: 1936 über- nahm der politisch nicht einschlägig engagierte Druckereibesitzer Wilhelm Grübler den Vor- standsvorsitz und behielt ihn bis zu seinem Tod 1953. Kraemer allerdings starb in der Reichspog- romnacht 1938 mit seiner Frau durch einen frag- würdigen Suizid. War es im Ersten Weltkrieg die allgemeine Knappheit, die ein Gedeihen des Unternehmens einschränkte, so war es imZweitenWeltkrieg die Papierzuteilung. Mit Beginn der Luftangriffe auf Berlin kamen Fliegerschäden dazu. Nach Kriegs- ende fehlten die Mittel, umdie Produktionwieder aufzunehmen. Erst durch Beteiligung 1958 und 1961 schließlich durch den Verkauf des Unterneh- mens an die Graphischen Kunstanstalten Bruns & Stauff besserte sich der Zustand vorübergehend. 1970 änderten die Kunstanstalten die Rechtsform zur GmbH, 1994 wurde Konkurs angemeldet. Die Meisenbachhöfe tragen aber bis heute den Namen des Gründers.  ■ Zugang zum Wirtschaftsarchiv Der Publikumsverkehr im Berlin-Brandenburgischen Wirtschaftsarchiv (BBWA) ist pandemie- bedingt zurzeit eingestellt. Kontakt und Infos: bb-wa.de Großes Bild: Werbeplakat von Meisenbach, Riffarth&Co. Kleines Bild: Die erste Autotypie, entstanden im Jahr 1881 Bild oben: Georg Meisenbach patentierte 1882 das fotografische Reproduktions- verfahren der Auto­ typie. Bild unten: Gründersohn August führte das Unternehmen seines Vaters weiter FOTOS: BBWA 47 IHK BERLIN  |  BERLINER WIRTSCHAFT 05 | 2021 BRANCHEN | Historie

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