Berliner Wirtschaft März 2025

Unternehmer Paul Herrmann hatte sein Geschäft in der Obentrautstraße (Bild links). Hier verkaufte er unter anderem Schmalz aus der eigenen Siederei am Saatwinkler Damm Als Emil Herrmann 1855 seinen Großhandel für Kolonialprodukte am Halleschen Tor aufmachte, hatte das Deutsche Reich noch gar keine Kolonien. Und was waren „Kolonialwaren“? Herrmann bot von Äpfeln bis Zimt alles Mögliche an, auch Farbstoffe, Kaffee, Tee und später Ballenware (Stoffe) und Pe- troleum. Begünstigt durch den Aufschwung der Gründerzeit, expandierte das Unternehmen in die heutige Obentrautstraße, immer noch nahe am Halleschen Tor, das seinerzeit ein Berliner Handels-Hotspot war. Genau hier entstand 1898 auch Edeka. Das Kunstwort ist ein Akronym der Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler im Halleschen Torbezirk zu Berlin, der 1921 den Namen Kreuzberg erhielt. Das Kolonialwarengeschäft war eine schnelle Branche: Die Transportkapazität auf den Schiffen war knapp und heiß umkämpft, auf den schnellsten Segler kam es an. Außerdem waren viele Güter hochverderblich, denn auch Eier und Milch wurden im Kolonialwarenhandel verkauft. Und Schmalz. Mit Schmalz machte die Herrmann KG ihr großes Geschäft. Zunächst, um günstigere Lagerräume zu besitzen, erwarb Sohn Paul Herrmann 1873 eine „Wiese an der Chaussee nach Saatwinkel“. Hier errichtete Herrmann auch eine Schmalzsiederei, die Schmalz „nach Haufrauenart“ gebrauchsfertig lieferte. Auf dieses Produkt legte Enkel Wilhelm Herrmann in der Weimarer Republik den Unternehmensschwerpunkt und baute die Schmalzsiederei zur industriellen Fertigungsanlage um. Er erwarb den Titel eines Konsuls und war Mitbegründer der Gemeinschaft Deutscher Lebensmittel-Großhändler, kurz: „Gedelag“. Neben Speisefett blieb Kaffee das andere wichtige Produkt: Rohkaffee-Import, Großhandel und Großrösterei sowie Kaffeeersatz. Die 50 Lkw des Unternehmens lieferten Kaffee bis ins Riesengebirge. Im Krieg starben die dritte und vierte Generation als Soldaten. Nach Heereslieferungen im Zweiten Weltkrieg bildete der Fliegerangriff 1943 eine Zäsur: 60 Prozent der Fertigung waren zerstört. Der Wegfall des Absatzgebiets um Berlin traf das Unternehmen ebenfalls hart. Mit den Marken „Holja“ für Kaffee und „Kranz“ für Schmalz versuchte Urenkelin Ursula Lensing, geborene Herrmann, das Unternehmen neu zu positionieren. Bis 1978 blieb es als Raffinerie von Speisefetten und Tanklager für Speiseöle selbstständig und ging dann in der Hamburger Firma Rügge & Lensing auf. 1990 wurde das Werksgelände am Saatwinkler Damm geschlossen. ■ Emil Herrmann machte sich mit Kolonialwaren einen Namen, aber den ganz großen Erfolg brachten fettige Angelegenheiten „nach Hausfrauenart“ von Björn Berghausen (BBWA) Ganz schön schmalzig Zugang zum Wirtschaftsarchiv Die Bestände des Berlin-Brandenburgischen Wirtschaftsarchivs (BBWA) können nach Vereinbarung eingesehen werden. Kontakt und Infos: bb-wa.de FOTOS: BBWA Historie | 45 Berliner Wirtschaft 03 | 2025

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