Berliner Wirtschaft März 2022

werke oder Mentoring-Programme für Frauen. Aber sie suchen nicht nach den Ursachen, die dazu füh- ren, dass Frauen nicht häufiger in Führungspositi- onen gelangen. Sie verschaffen sich keinen Über- blick darüber, wie die Führungskräfte imUnterneh- men agieren. Sie machen sich nicht bewusst, wie die Unternehmenskultur auf das Verhalten der Mitar- beitenden wirkt. Viele Unternehmen sind da etwas orientierungslos. Das Thema Diversity erfährt aktuell einen starken Aufschwung. Fehlt es einfach an Erfah- rung in den Firmen? Im deutschsprachigen Raum ist das Thema rela- tiv neu. Es steht erst seit zwei oder drei Jahren auf der Agenda. Andere Länder sind sehr viel weiter. In Deutschland fühlen sich viele Personalabteilungen verloren undwissen nicht, wo sie anfangen sollen. Es bestehen viele Unsicherheiten, zumBeispiel ob Quo- tenregelungen sinnvoll sind oder woran der Erfolg von Vielfalt festzumachen ist. Was muss passieren, damit es besser läuft? Oft hilft ein Aha-Erlebnis. Wenn beispielsweise der Eigentümer eines mittelständischen Unternehmens von seiner Tochter hört, dass sie nicht für seine Firma arbeiten würde, weil sie nur Männer auf den Fotos vom Geschäftsführer-Team sieht, dann verändert sich plötzlich sehr schnell etwas. Wenn über Diversity gesprochen wird, bleibt es oft bei den Themen Gendergerechtigkeit und Internationalität. Eigentlich gehört noch viel mehr dazu. Welche Dimensionen von Diversity haben Ihren Erfahrungen zufolge außerdem Relevanz? In meiner Beratungspraxis stoße ich oft auf den Wunsch nach mehr Generationenvielfalt. Das ist nicht so selbstverständlich, wie man glaubt. Wenn junge Talente imMittelstand mit Menschen zusam- menarbeiten, die eine Firma seit 20 oder mehr Jah- ren aufgebaut haben, ist das ein interessantes Span- nungsfeld. Beide Gruppen ticken ganz anders, sind anders sozialisiert und haben einen ganz anderen Anspruch an Unternehmenskultur und Führung. Ich persönlich bin auch ein großer Fan der Dimen- sion „soziale Herkunft“, weil ich so gezielt Aufsteige- rinnen und Aufsteiger und sozialen Ehrgeiz fördere. Ist die soziale Herkunft nicht schwer zu erfassen? Ja, diese Dimensionwird in der Regel nicht abgefragt. Ich hatte ein Projekt, in demwir einen Baustein ein- geführt haben, der lautete: Sind Sie die oder der Erste in Ihrer Familie mit einem Studienabschluss? Aber generell ist es schwer zu erfassen, ob jemand aus einemfinanziell starken oder schwachen Elternhaus kommt. Oft wird dieser Punkt mit demMigrations- hintergrund verwechselt. Aber es gibt auch Men- schen, die keinenMigrationshintergrund haben und aus Arbeiterfamilien kommen. Viele Unternehmen haben zunehmende Schwierigkeiten, Fachkräfte zu finden. Ist das ein Treiber für das Thema Diversity? Der Kampf um Talente hat sehr viel mit Vielfalt zu tun. Laut Umfragen ist Vielfalt das Kriterium Num- mer eins, wenn Talente ihre Arbeitgeber auswäh- len, dicht gefolgt von Nachhaltigkeit. Viele Firmen müssen sich daher umstellen. Unternehmensgröße allein hat längst nicht mehr die Strahlkraft, die sie einmal hatte. Empfehlenswert ist, das Thema Vielfalt nicht in der Personalabteilung, sondern eigenständig voranzutreiben –mit einemDiversity Manager, der idealerweise direkt an den CEO berichtet. Es ist ein Fehler, wenn Vielfalt von Personalmanagern neben- bei – quasi im Ehrenamt – umgesetzt werden soll. FOTOS: AMIN AKHTAR Es ist ein Fehler, wenn Vielfalt von Personal- managern nebenbei umgesetzt werden soll. Tijen Onaran SCHWERPUNKT | Interview

RkJQdWJsaXNoZXIy ODUxMjI4