Berliner Wirtschaft März 2021

Carl Bolle (Bild) galt als smarter Geschäftsmann mit Marketinggespür. Bereits 1896 fuhren die blau uniformierten Milchmädchen und -jungen täglich 50.000 Liter aus 39 IHK BERLIN  |  BERLINER WIRTSCHAFT 03 | 2021 BRANCHEN | Historie Die Kutschen der Meierei Bolle gehörten seinerzeit zum Berliner Stadtbild – und der Firmenchef war so mächtig, dass er den Erzeugern die Preise diktierte von Björn Berghausen (BBWA) Als die Milch mobil machte D ie Reise des Unternehmens Bolle begann am 28. Februar 1881 – vor 140 Jahren. An diesemTag nahmCarl Bolle sein Geschäft mit dem Verkauf von Milch auf, aber nicht ab Markt oder Geschäft, sondern indem er die abgefüllten Flaschen direkt zum Verbrau- cher brachte. Carl Bolle (1832–1910) war ein tüch- tiger Geschäftsmann, der sich mit Immobilien versuchte, mit Fischhandel und schließlich mit Milch – einem Produkt, das in der explodieren- den Hauptstadt langsam knapp wurde, so groß war der Bedarf. Übersteigt der Bedarf das Angebot, ist es Zeit für die Verbesserung des Vertriebsweges – Bol- les Milchkutschen wurden zu täglichen Gästen in den Berliner Straßen, die blau uniformierten Bol- le-Jungen und -Mädchen zumAlltagsbild. Außer- dem war das Unternehmen der Großabnehmer schlechthin, der den abhängigen Erzeugern rings um Berlin die Preise diktieren konnte. Carl Bolle richtete eine Kapelle ein, die seine Belegschaft am Wochenende aufsuchen musste. Nur sieben Prozent Nachlass wurden den Beschäftigten beim Einkauf im eigenen Unternehmen gewährt – und in der Jubelbroschüre zum 75. Geburtstag als besonders sozial angepriesen. Aus einem Skandal um verdorbenen Fisch hatte Bolle gelernt, dass ein verderbliches Produkt kontrolliert und nach besten Standards behan- delt werdenmusste – große Kühlanlagen, dauer- hafte Pasteurisierung ab 1900, die erste vollauto- matische Flaschenreinigungsanlage 1926 und die Einrichtung eines Labors zur Qualitätssicherung gehörten dazu. Neue Produkte erschlossen wei- tere Marktfelder: Kindermilch in plombierten Fla- schen (1884), Kefir (1887), Joghurt (1912), Margarine (1923), Eiscreme (1924) und Fruchtjoghurt (1938). Die Versorgung seiner Milchautos – erst Pfer- dewagen, zeitweise Elektroautos – erfolgte durch Belieferung aus dem Umland. Verkaufte Bolle an seinem ersten Tag 1.500 Liter Milch, waren es 1896 schon 50.000 Liter – täglich. Hatte Bolle den Weg der Milchflasche in die Haushalte revolutio- niert, widmete sich das Unternehmen auch dem Transport von den Meiereien in Brandenburg in die Milchzentrale in Moabit: 1929 fuhr der erste Milchtanklaster mit der Aufschrift „Bolle“. Nach demzweitenWeltkrieg importierte Bolle bis zu 41 Mio. Liter Milch aus Westdeutschland nach West-Berlin. Aber auch die Belieferung aus der DDR riss nicht völlig ab. Die Veränderungen zwangen Bolle zumUmstrukturieren: Statt Belie- ferung kamen Selbstbedienungsläden in Mode, Supermärkte. Mit diesen versuchte es Bolle, als 1969 die Meierei und die eigene Milchproduktion in Moabit geschlossen wurden. 1999 wurde das Unternehmen verkauft, die Marke lebte jedoch immer wieder auf. ■ FOTOS: BBWA Zugang zum Wirtschaftsarchiv Der Publikumsverkehr im Berlin-Brandenburgischen Wirtschaftsarchiv (BBWA) ist pandemie- bedingt zurzeit eingestellt. Kontakt und Infos: bb-wa.de

RkJQdWJsaXNoZXIy MzI1ODA1