Berliner Wirtschaft März 2021

Jürgen Schepers, IHK-Experte für Kreativwirtschaft Tel.: 030 / 315 10-676 juergen.schepers@ berlin.ihk.de interdisziplinär und divers in einem offenen Aus- tausch miteinander steht, sich selbst führt und sich die Macht teilt. Das klingt nach einer Machtverschiebung. Durch den demografischen Wandel haben Mitar- beiter bei der Auswahl des Arbeitgebers schon jetzt mehr Macht bekommen. Der kulturelle Aspekt ist bei der Arbeitsplatzwahl wichtiger geworden. Jetzt kommt hinzu, dass Führungskräfte nicht mehr so einen starken Zugriff auf die Menschen haben. Wir können auch von einer Demokratisierung der Füh- rung sprechen. Wir fangen an, uns mehr als selbst- verantwortliche Erwachsene zu sehen. Wer gestaltet diese Veränderungsprozesse? Manchmal heißt es, dass nur der Vorstandschef und der Aufsichtsratschef an einem Strang ziehen müs- sen, um einen Change-Prozess zu initiieren. Mittler- weile glaube ich, dass der echteWandel aus der Mitte der Unternehmen kommt, weil das Topmanagement zu sehr auf Prozessoptimierungen geschult ist und sich schlecht davon lösen kann. Wächst in Corona-Zeiten der Beratungsbedarf von Führungskräften? Wir unterstützen Unternehmen mit den Führungs- themen Haltung, Werte und Identität. Nun fällt vielen auf, wie wichtig diese Aspekte sind. Gerade jetzt wird auch deutlich, dass in vielen Firmen kein einheitli- ches Führungsverständnis existiert. Die Diskrepan- zen waren zuvor nicht sichtbar. Aktuell reagieren Führungskräfte sehr unterschiedlich auf die neue Situation. Die einen reagierenmit Ängsten und fragen sich, wer sie jetzt sind in den veränderten Strukturen. Andere sehen in den Veränderungen neue Wachs- tumschancen. Dabei wird deutlich, dass die einen kontrollieren, die anderen vertrauen wollen. Werden Werte wichtiger, um Mitarbeiter in ihren Homeoffices führen zu können? Ja, aber diese Unternehmenswerte kann keiner aus demHut zaubern, die müssen erarbeitet werden. Wir haben schon erlebt, dass höhere Führungsetagen sich auf Werte verständigt haben und fünf Jahre später frustriert feststellen mussten, dass kaum jemand diese Werte kennt und noch weniger damit leben. Das Problem: DieWerte wurden top-down beschlos- sen, und dann hieß es: So, jetzt lebt mal damit. Wie hätte man es besser machen können? Es muss in das Unternehmen hineingehört werden, auf welchen emotionalen Gemeinsamkeiten die Unternehmenswerte basieren können. Mit Kont- rolle entsteht keine Verbundenheit. Wir brauchen noch einen anderen Kitt. Und der funktioniert über Narrative. Was hat das mit den Werten zu tun? Über diese Narrative entwickeln und transportie- ren wir die Werte. Entscheidend ist, was wir uns erzählen. In welcher Mission sind wir unterwegs? Welche Vision verfolgen wir? Mit welcher Strategie wollen wir unsere Ziele erreichen?Welches gemein- same Führungsverständnis haben wir? Wenn das für alle verständlich formuliert ist, sodass sich jeder drauf beziehen kann, dann kann ich auch die vir- tuelle Arbeit viel einfacher organisieren. Dann gibt es ein emotionales Wir. Wie wirkt es sich auf Unternehmen aus, wenn sich durch Corona Führungskultur weiterentwickelt? Corona hat uns eine neue Beweglichkeit gebracht. Es wächst die Bereitschaft, Neues zu denken und Neues zu wagen – ebenso wie die Fähigkeit, mit den Veränderungen umgehen zu können. Das sind für Unternehmen wichtige Voraussetzungen, um sich zukunftsfähig aufzustellen. ■ Oben: Martin Permantier beschreibt sechs Haltungen der Menschen und deren Einfluss auf Führung Links unten: Martin Perman- tier arbeitet gern in den Räumen von Short Cuts FOTOS: AMIN AKHTAR, FOTOSTUDIO CHARLOTTENBURG 29 IHK BERLIN  |  BERLINER WIRTSCHAFT 03 | 2021

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