Berliner Wirtschaft 3/2020
M artin Schmidt zieht noch schnell die letzten Schrauben an, dann können auch seine neuen E-Lastenräder losdü- sen. Am Stau vorbei bis vor die Haustür, ohne lästige Parkplatzsuche und völlig emissions- frei. Mit 25 Cargobikes beliefert der Geschäftsfüh- rer der Cycle Logistics CL GmbH seine Kunden imBerliner Stadtverkehr, bringt Blumen und Bet- ten, Kopierpapier und Kartons, deren Inhalt er gar nicht kennt. Denn auch für Kurier-Express-Paket- Dienste sind die Mitarbeiter des umweltfreundli- chen Logistikers unterwegs. Über Mangel an Auf- trägen kann Schmidt nicht klagen. „Unsere Mit- arbeiterin des Jahres war 2019 Greta Thunberg“, witzelt der Chef. „Das Thema Radlogistik ist jetzt in der Gesellschaft endgültig angekommen.“ Befeuert wird es auch von Politikernwie Bun- desverkehrsminister Andreas Scheuer, der ver- gangenes Jahr vorrechnete: „Zwanzig Prozent der Lieferverkehre können in den Städten von Lasten- rädern übernommenwerden.“ Damit die Bikes in der mobilen Zukunft ihre Vorteile auf der letz- ten Meile voll ausspielen können, brauche man allerdings eine bessere Infrastruktur mit breiteren Radwegen, Parkplätzen und mehr Freiflächen in den engen Innenstädten, unterstreicht Schmidt. Und da fängt das Problem an. 2035 werden in der Hauptstadt nach Prog- nosen des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung gut vier Millionen Menschen leben, knapp elf Prozent mehr als heute. Sie kaufen Lebensmittel, Kleidung, Fahrzeuge, verbrauchen Strom, bauenHäuser. Täglichmüssen deshalb Vor- produkte in die Fabriken und fertige Waren zum Händler und von dort zumKunden gelangen. Die Kehrseite der Medaille: Mit den größeren Trans- portmengen steigen Verkehrsdichte und Umwelt- belastung. Die Kapazitäten aber sind begrenzt. Soll die Wirtschaft mobil bleiben, sind alle Logistik- dienstleister gleichermaßen gefordert, unter ihnen Speditionen, Häfen und Güterverkehrszentren. Der Haken: „Die verkehrspolitische Diskus- sion wird oft dominiert von Fahrrädern, Rollern, Sammeltaxis und demUmsteigen auf den ÖPNV. Der Wirtschaftsverkehr, ohne den die Stadt nicht funktionieren kann, wird dagegen kaum ernst genommen“, mahnt Dr. Lutz Kaden, Verkehrsex- perte der IHK Berlin. Nirgendwo zeigt sich dies deutlicher als auf der politischen Ebene. Jochen Brückmann, IHK-Bereichsleiter Stadtentwick- lung & Infrastruktur, kritisiert: „Nichts weniger als eine Mobilitätswende hat sich die aktuelle Berliner Koalition vor drei Jahren vorgenommen. An den grundlegenden Masterplänen dafür hat die IHK Berlin intensiv mitgearbeitet. Aber seit anderthalb Jahren liegt der Stadtentwicklungs- plan Mobilität und Verkehr genauso auf Eis wie das IntegrierteWirtschaftsverkehrskonzept.“ Und auch das Mobilitätsgesetz habe noch immer kein Kapitel mit konkreten Regeln zur Unterstützung des Wirtschaftsverkehrs, während der Rad- und Fußverkehr bereits ausdiskutiert seien. Mehr Effi- zienz soll künftig unter anderem die Digitalisie- rung bringen. Neue Technologienwie E-Mobilität und autonomes Fahren, eine bessere Vernetzung der Verkehrsträger ebenso wie Smart Data und Advanced Analytics können die Mobilität ökono- mischer und ökologischer gestalten. Mitten in der Stadt sitzt Klaus-Günter Lichtfuß, Prokurist Logistik bei der Berliner Hafen- und Lagerhausgesellschaft mbH (Behala), die von ihren drei Häfen in Mitte, Spandau und Neukölln die Berliner versorgt, etwa mit Lebensmitteln, Haus- haltsgeräten oder Kleidung. Für Siemens transpor- tiert das Unternehmen mit einem Spezialschiff Gasturbinen. Für das in Berlin brummende Bau- geschäft verarbeitenMischwerke auf demHafen- gelände Baustoffe zu Beton und Asphalt, Tankla- ger bunkern Brennstoffe, Siloanlagen Rohkaffee für Röstereien, Recyclingunternehmen sammeln auf dem Hafengelände Altglas und Metalle und bringen sie von dort in die Recyclingwerke. Doch Lichtfuß hat ein Problem: „Die Transportmengen steigen, wir brauchenmehr Platz.“ Die Häfenwür- den künftig noch wichtiger. 50Mio. Euro will die Behala deshalb von 2022 an in den Südhafen in Spandau unter anderem in neue Kai- und Verkehrsanlagen pumpen, um FOTOS: CHRISTIAN KIELMANN, FOTOSTUDIO CHARLOTTENBURG 0 1 000 2 000 3000 4000 2000 2009 2018 3 520 1 690 2 180 Pakete am laufenden Band Seit fast 20 Jahren steigt das Volumen der KEP-Transporte kontinuierlich an, Angaben in Mio. Sendungen Grafik: BW Quelle: KEP-Studie 2019 Martin Schmidt Geschäftsführer Cycle Logistics Schmidt setzt mit seiner 2017 gegrün- deten Cycle Logistics CL GmbH auf Cargo- bikes. 2019 übernahm das Unternehmen die Marke Velogista. Schmidt beschäftigt 23 Fahrer und ist auch Vorsitzender des Radlogistik Verbands Deutschland. » Standortfaktor Mobilität Die Hauptstadt ist auf einen reibungsarmen Wirtschaftsverkehr angewiesen. Die IHK Berlin bringt die Anforderun- gen ihrer Mitglieder in Vorhaben wie dem Luftreinhalteplan oder dem Stadtentwicklungsplan Verkehr ein. Im Mobilitäts- beirat drängt die IHK u.a. auf konkrete Regelungen im Mobilitätsgesetz zur regelmäßigen Anordnung und Freihaltung von Lade- zonen, auf die Einrichtung von Mikrodepots für die City-Logistik, auf effektive Baustellenkoordina- tion, Aufbau und Pflege einer Datenbasis zum Wirtschaftsverkehr, die Sicherung gewerblicher Parkausweise, Modernisie- rung der Ampelsteuerung. ihk-berlin.de/Verkehrs- politik Dr. Lutz Kaden, IHK-Experte für Verkehr und Infrastruktur Tel.: 030 / 315 10-415 lutz.kaden@berlin.ihk.de SCHWERPUNKT | Logistik 18 IHK BERLIN | BERLINER WIRTSCHAFT 03 | 2020
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