Berliner Wirtschaft Januar 2022

wird. Gerade bei den Themen Verwaltung, Bil- dung und Digitalisierung hätte sich die Berliner Wirtschaft ambitioniertere Ziele gewünscht. Bei den Ressortzuschnitten der Verwaltungen gab es genauso wenig die gewünschte Veränderungs- kraft. Digitalisierung wird zwar nun als eigenes Thema ausgewiesen, allerdings nicht als eigenes übergeordnetes Thema in der Senatskanzlei, so wie es die IHK Berlin angeregt hatte, sondern sie ist bei der Senatsverwaltung für Inneres und Sport angesiedelt. Die Koalition erkennt dieWirtschaft als Part- ner an und will diese einbinden. Das zeigt sich nicht zuletzt auch bei dem Vorhaben, ein Bünd- nis für Wohnungsneubau zu gründen, das die privaten Immobilienunternehmen mit ins Boot holen soll. Die von der Koalition angekündigte Vereinfachung, Beschleunigung und Digitalisie- rung der Planungs- und Genehmigungsverfahren ist genauso positiv wie längst überfällig. Wichtiges Bekenntnis zur Metropolregion „Unsere Stadt hat es verdient, dass sich der drän- genden Probleme endlich angenommen wird. Es darf ab jetzt nichts mehr aufgeschoben wer- den“, formuliert IHK-Präsident Daniel-Jan Girl die grundsätzliche Linie, an der sich politisches Handeln in Berlin jetzt endlich bewegen muss. Zukunftsweisend sind das Bekenntnis zur Ent- wicklung der Metropolregion Berlin-Brandenburg und das Versprechen, besonders von der Pande- mie betroffene Branchen zu stützen. Genauso richtig ist es aus Sicht der Berliner Wirtschaft, die Digitalisierung zum Schwerpunkt der Legis- latur zu machen. Mit der Etablierung eines Chief Digital Officers (CDO) in Verantwortung für die Digital- und die Smart City Strategie sowie die Digitalisierung der Verwaltung/Informations- und Kommuni- kationstechnologie-Steuerung (IKT) vollzieht die neue Koalition endlich den notwendigen Schritt zu einer strategischen Digitalisierungspolitik aus einer Hand. Insgesamt bleiben aber die Koalitio- näre im Themenfeld Digitalisierung imHinblick auf die Ziele und vor allem ihre Umsetzung zu unkonkret und unverbindlich. Diese Kritik ist auch auf die Pläne zur Ver- waltungsmodernisierung anzuwenden. Mit der Ankündigung, insbesondere die Klärung der poli- tischen Zuständigkeiten stärker in den Blick zu nehmen, zeigt der neue Senat, dass tief sitzende strukturelle Probleme erkannt wurden, entschei- dend wird nun jedoch sein, wie effektiv die Pla- nungen umgesetzt und wie eng die Wirtschaft an der Digitalisierung unternehmensrelevanter Verwaltungsleistungen beteiligt wird. Überzeu- gende kurz- wie auch mittelfristige Maßnahmen bleibt der Koalitionsvertrag hier jedoch insgesamt schuldig. Eingriff in die Marktmechanismen Ordnungspolitische Verwerfungen zeigen sich dagegen vor allem in dem Themenfeld um Ener- gie, Klima und Umwelt. Egal ob Wärmenetz, Gaswirtschaft oder Solaranlagen, Mieterstrom- projekte, Quartierslösungen und Ladesäulen – bevorzugt durch die Berliner Stadtwerke –: Bei der Energiewende setzt die Koalition einseitig auf (re)kommunalisierte Wirtschaftsstrukturen. Dabei kann die Privatwirtschaft mit ihrer hohen Innovations- und Leistungsfähigkeit wesentlich zumTransformationsprozess hin zur Klimaneu- tralität beitragen. Auch imBereich Mobilität plant die Politik einen Eingriff in den Marktmechanis- mus. So sollen Touristen zukünftig verpflichtet werden, ein Gästeticket für den Öffentlichen Nah- verkehr zu erwerben, um so den hiesigen Nah- verkehr mitzufinanzieren. Ein solches Zwangsti- cket kann sowohl negative Auswirkungen auf die Attraktivität Berlins als Tourismusstandort haben als auch innerstädtische Hotelbetriebe gegenüber außerstädtischen benachteiligen. Ausbildungsgarantie nicht zielführend Eine mögliche Fehlsteuerung ergibt sich auch aus den Plänen rund um die Ausbildungsga- rantie. So will der neue Senat Jugendlichen, für die das duale Ausbildungsangebot vermeintlich nicht ausreicht, subsidiäre Angebote unterbrei- ten. Dabei ist eine Ausbildungsgarantie aus Sicht der IHK Berlin weder notwendig noch zielfüh- rend. Ausbildungsinteressierten Jugendlichen in Berlin stehen ausreichend Plätze zur Ver- fügung. Eine Garantie nährt dagegen die Illu- sion auf Ausbildungs- und spätere Arbeitsplätze in Wunschberufen jenseits der eigentlichen Marktbedarfe. In dem rund 150-seitigen Koalitionsvertrag sind viele positive Punkte zu finden, die klar auch die Handschrift der Wirtschaft tragen könnten. Und einige Punkte, die dieWirtschaft sich anders gewünscht hätte. Doch eins ist wie jedes Mal nach einer neuen Regierungsbildung klar: Papier ist geduldig. Erst die Umsetzung der zahlreichen Regierungspläne wird zeigen, ob dieser neuen alten Regierung ein Neuanfang gelungen ist. ■ Berlins neuer Senat (vorne, v.l.): Lena Kreck (Justiz, Vielfalt & Antidiskriminie- rung), Katja Kipping (Integration, Arbeit & Soziales), die Regierende Bürger- meisterin Franziska Giffey, Bettina Jarasch (Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz), Klaus Lederer (Kultur & Europa). Hinten (v.l.): Ulrike Gote (Wissen- schaft, Gesundheit, Pflege & Gleich- stellung), Stephan Schwarz (Wirtschaft, Energie & Betriebe), Andreas Geisel (Stadtentwicklung, Bauen & Wohnen), Iris Spranger (Inneres, Digitalisierung & Sport), Astrid-Sabine Busse (Bildung, Jugend & Familie), Daniel Wesener (Finanzen) Katharina Zalewski, IHK-Geschäftsfeld Wirtschaft & Politik Tel.: 030 / 315 10-244 katharina.zalewski@ berlin.ihk.de 11 IHK BERLIN  |  BERLINER WIRTSCHAFT 01 | 2022 AGENDA | Landespolitik

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