Berliner Wirtschaft 11/2020

Im Bauboom des ausgehenden 19. Jahrhunderts stattete Rietschel & Henneberg Fabriken, Hotels und Banken mit Heizungs- und Belüftungs- systemen aus – europaweit von Tania Estler-Ziegler (BBWA) Heiß begehrt S ich „der Grenzen des Expertentums bewusst zu sein und doch unermüdlich in seinem Fach besser werden, das ist die Aufgabe, die jeder … bewältigenmuss. “ – so das Motto von Hermann Rietschel, der als „Vater der Heizungs- und Klimatechnik“ gilt. Bevor er zu diesemwurde, studierte Rietschel an der Gewerbeakademie Berlin Maschinenbau und eröffnete 1871 einen Installationsbetrieb. In dieser Zeit lernte er wohl den Ingenieur Rudolf Henneberg kennen, der dabei war, ein Gutach- ten für die Stadt Berlin über Zentralheizungen in städtischen Gebäuden auszuarbeiten, und damit prädestiniert für eine Zusammenarbeit war. Am 1. Juli 1872 gründeten die beiden in der Brandenburgstraße 80/81 in Kreuzberg die Firma Rietschel &Henneberg. Unternehmenszweckwar die Ausstattung von privaten sowie Verwaltungs- und Fabrikgebäuden mit Gebäudetechnik. Dazu gehörten Belüftung und Klimatisierung, aber auch Rohrleistungs-, Heizungs- und Feuerungsanla- gen – und sogar zentrale Staubsaugeranlagen. ImBauboomder neuen Reichshauptstadt vergrö- ßerte sich der Betrieb rasant. Das Unternehmen bestückte u. a. die Sarotti-Fabrik in Berlin, das Kaiserliche Patentamt Berlin, Hotels und Banken in Berlin, Dresden, Wiesbaden sowie zahlreiche Städtische Kliniken. Zunächst gab es eine Zweig- niederlassung in Dresden, aber sehr schnell auch in anderen deutschen und europäischen Städten, u.a. in Wien, Bukarest, Istanbul und Helsinki. Anfang der Achtzigerjahre des 19. Jahrhun- derts zog sich Hermann Rietschel aus demUnter- nehmen zurück. Er wurde Berater für die öffent- liche Verwaltung, organisierte die erste deutsche Hygieneausstellung in Berlin 1883 undwurde 1885 zum Professor für Ventilations- und Heizungs- wesen an die TH Berlin berufen. Um 1904 wurde der Betrieb in eine GmbH umgewandelt, die nach dem Tod von Henneberg im Jahr 1909 von unterschiedlichen Gesell- schaftern geleitet wurde. Um 1919 beschäftigte die Firma mehr als 600 Mitarbeiter. 1937 wurde Hamburg zur Zentrale. Nach dem Zweiten Welt- krieg zog die Berliner Zweigstelle in die Mark- grafenstraße 10 unweit der Sektorengrenze in direkter Nachbarschaft zum Axel Springer Ver- lag. Im Jahr 1963 arbeiteten dort 130 Mitarbeiter, der Jahresumsatz betrug vier Mio. Mark. Hundert Jahre nach der Gründung wechselte Rietschel & Henneberg an den Friedrich-Olbricht-Damm 64 in Charlottenburg, wo das Unternehmen bis kurz nach der Jahrtausendwende existierte. ■ FOTOS: BBWA Zugang zum Wirtschaftsarchiv Die Bestände des Berlin-Brandenburgischen Wirtschaftsarchivs (BBWA) können eingesehen werden. Kontakt und Infos: bb-wa.de Hermann Rietschel (1847–1914, linkes Bild) gilt als „Vater der Heizungs- und Klimatechnik“. Mit Rudolf Henneberg (1845–1909) gründete er im Jahr 1872 das erfolgreiche Unternehmen Kessel auf Rädern: So kamen die Heizungen zum Kunden BRANCHEN | Historie 44 IHK BERLIN  |  BERLINER WIRTSCHAFT 11 | 2020

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