Berliner Wirtschaft 11/2018
BERLINER WIRTSCHAFT 11/18 16 TITELTHEMA Berliner Wirtschaft: Frau Prof. Felden, was ist das Wichtigste bei der Unternehmensnachfolge? Prof. Dr. Birgit Felden: Die Grundlage einer erfolg- reichen Unternehmensnachfolge ist ein struktu- rierter Nachfolgeplan, in einem zweiten Schritt folgen steuerliche und rechtliche Aspekte. Bei diesem systematischen Prozess zielt eine wich- tige Frage auf die Zukunftsfähigkeit ab. Ist ein Be- trieb unter demNachfolgerwettbewerbsfähig? Ist ein Senior ein begnadeter Techniker, der Nach- folger aber eher kaufmännisch veranlagt, muss das Unternehmen danach ausgerichtet werden. Gibt es Fehler, die immer wieder gemacht werden? Ich möchte drei Fallstricke nennen, über die Un- ternehmen immer wieder stolpern. Das ist ers- tens der oft sehr späte Zeitpunkt, zu demman sich ernsthaft mit der Frage der Nachfolge beschäf- tigt. Der gesamte Abwicklungsprozess dauert in der Regel drei bis fünf Jahre, manchmal auch län- ger. Das machen sich diewenigsten bewusst. Un- ternehmerinnen und Unternehmer sollten sich ab dem 50. Lebensjahr spätestens mit dem Ge- danken beschäftigen, wer in ihre Fußstapfen tritt. Zweitens gibt es emotionale, psychologische Stolpersteine. Rund die Hälfte aller Unterneh- men werden innerhalb der Familie übergeben. Erwartungen, dass Sohn oder Tochter den Be- trieb übernehmen, können zu Schwierigkeiten führen, wenn der Nachwuchs diesem Wunsch nur halbherzig nachkommt oder vielleicht gar nicht geeignet ist, das Unternehmen zu leiten. In manchen Familien vermischen sich auch immer wieder persönliche und unternehmerische Fel- der. In welcher Rolle sind die Gesprächsteilneh- mer gerade unterwegs, wenn sie zum Beispiel über Kommunikationsstil oder Mitarbeiterfüh- rung sprechen. Spricht ein Elternteil zum Sohn oder zur Tochter oder ein Gesellschafter mit dem Einer der Fehler bei der Nachfolge ist der Umstand, dass Unternehmer sich zu spät damit beschäftigen. Überhaupt genießt das Thema nicht die Aufmerksamkeit, die es verdient, sagt Prof. Dr. Birgit Felden „Der gesamte Prozess dauert drei bis fünf Jahre“ Geschäftsführer? Sachliche Diskussionen fallen dann schwer, wenn vielleicht Schuldgefühle oder unbewusste Erwartungshaltungenmitschwingen. Was ist das dritte Minenfeld? Viele Unternehmerinnen und Unternehmer hal- ten sich für unsterblich. Ich kann mich nicht erst mit der Nachfolge beschäftigen, wenn ich ei- nen Unfall hatte. Ich frage in meinen Beratun- gen scherzhaft gerne: „Wer von Ihnen ist schon einmal probehalber gestorben?“ Im Prinzip soll- te schon jeder Gründer eine Notfallplanung in der Tasche haben. Wenn ich nicht mehr handlungs- fähig oder schwer erkrankt bin, ist es zu spät, die entscheidendenWeichen zu stellen. Was bedeutet die Nachfolge wirtschaftlich? Von 150.000 Nachfolgen in Deutschland bis zum Jahr 2022 erfolgen über 80 Prozent altersbedingt. Diese können also – anders als durch Krankheit oder Tod erforderliche Übergaben – geplant wer- den. Das Thema birgt eine Relevanz, die sichmei- ner Meinung nach in der Wirtschaftspolitik noch nicht widerspiegelt. Sicherung der Zukunftsfä- higkeit von Betrieben, Nachfolgersuche an spe- zifischen Standorten, zielgruppenorientierte An- sprache von zumBeispiel Frauen – umnur einige Beispiele zu nennen – könnten deutlich ausge- baut werden. Hier ist noch viel zu tun. Wo finden Interessierte unabhängige Informationen? Die IHK oder langjährige Berater sind in den meisten Fällen die erste Anlaufstelle. Die Kam- mern bieten bundesweit Ansprechpartner zu diesem Thema und organisieren Veranstaltun- gen. Das EMF-Institut hat die Website nachfol- ge-in-deutschland.de aufgebaut, auf der neben umfangreichen Informationen diverse Check- listen zum Download und weiterführende Links stehen. Über die Seite können auch regionale An- sprechpartner gesucht werden. Ich empfehle Un- FOTO: PRIVAT Prof. Dr. Birgit Felden Die Juristin und Wirtschafts- wissenschaftlerin ist Professorin für Management, KMU und Unternehmens- nachfolge an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin sowie Direktorin des Instituts für Entrepreneurship (EMF). Die Siche- rung der Zukunfts- fähigkeit von Betrieben könnte deut- lich ausge- baut werden. Hier ist noch viel zu tun.
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MzI1ODA1