Berliner Wirtschaft 10/2019

D as Gesundheitswesen ist ein besonderes Terrain – und man unterschätzt leicht die spezifischen Herausforderungen. Nicht umsonst ist diese Branche in vielen Bereichen noch ein digitaler Nachzügler. Strenge Regulierung, komplexe Systeme und lange Markt- einführungszeiten sind nur einige Gründe dafür. Die Erfolgschancen von Gründern steigen jedoch, wenn sie folgende Punkte berücksichtigen: Es gibt mehr als eine Art von Käufer Eine Besonderheit des Gesundheitssystems ist, dass nicht der Nutzer die Leistung bezahlt. So nimmt ein Patient Physiotherapie in Anspruch, aber bezahlen muss seine Krankenkasse. Die Kaufentscheidung liegt also nicht wie üblich beim Endkunden selbst. Gleiches gilt für Krankenhäu- ser: Ein Arzt mag ein bestimmtes Ultraschallgerät bevorzugen, letztendlich trifft aber der Einkäu- fer des Krankenhauses die Entscheidung. In der Regel müssen Gründer also drei Käufer überzeu- gen: den Nutzer („user buyer“), den technischen Einkäufer („technical buyer“) und den Budgetver- antwortlichen („economic buyer“). Es hilft daher, frühzeitig Annahmen zu validieren: Wer sind die hauptsächlichen Nutzer? Wer wird das Produkt bezahlen? Und warum wird er es bezahlen? Die gängige Strategie „Wir stellen die App den Pati- enten kostenlos zur Verfügung, bis wir 50.000 Nutzer haben, und dann verkaufen wir sie an die Pharmaindustrie“ ist ziemlich naiv. Gründer sollten vielmehr versuchen, mithilfe von Nutzern zu erfahren, welchen Mehrwert sie liefern müs- sen, um deren Zahlungsbereitschaft zu erlangen. Die Vermeidung von negativen Folgen zählt zu den höchsten Prioritäten im Gesundheitswesen. Der für diese Sicherheit allgemein akzeptierte Preis ist eine geringere Innovationsfähigkeit. Dies beginnt bereits bei der Forschung über die Nutzer: Start-ups benötigen die Zustimmung vomKran- kenhausmanagement, ummit Patienten sprechen zu dürfen. Möglicherweisemüssen Gründer sogar ein Qualitätsmanagementsystemnach ISO 13485 einführen und eine CE-Zertifizierung erhalten, bevor sie ihr Produkt auf den Markt bringen dür- fen. Erfahrene Investoren und Innovatoren aus dem Gesundheitssektor wissen, dass man eine schnelle Skalierung eines Geschäftsmodells nicht auf digitale Therapien anwenden kann. Stattdes- sen sollte das Thema Sicherheit stets im Mittel- punkt der Strategie stehen. Gesundheitsdaten: Fluch und Segen zugleich Das Gesundheitswesen ist voller Möglichkeiten für Gründer. Auch scheinen reichlich Daten zu existieren, die genutzt werden könnten. Aber man sollte sich davon nicht täuschen lassen. Auch hier ist die Lage komplex. Erstens, weil Gesundheits- daten in verschiedenen Silos liegen: EPA-Systeme, Papierdokumente, Apps, Register der Versicherun- gen, bei Patienten und weiteren Informationsträ- gern. Da Gesundheitsdaten als besonders sensi- bel gelten, ist es eine Herausforderung, Zugang zu diesen Datenquellen zu erhalten. Zudemmuss transparent sein, wie die Daten zum Vorteil der Nutzer verwendet werden. Sind diese Hürden genommen, müssen die Datensätze geprüft, bereinigt, strukturiert, integriert, fusioniert und harmonisiert werden. Dieser Prozess ist frustrierend und schwer skalierbar. Und am Ende Wer Lösungen im Gesundheitswe- sen entwickeln will, die Men- schen überzeu- gen, muss fit an den Start gehen und manche Hürde nehmen Der Gesundheitsmarkt gilt für Gründer als besonders schwierig. Jungunternehmer können dennoch erfolgreich sein – wenn sie wissen, was auf sie zukommt von Ali Ciğer, Sven Jungmann, Carlo Schmid und Ole Dammann Wie Health-Start-ups Hürden überwinden SERVICE | Gründerszene 60 BERLINER WIRTSCHAFT 10 | 2019

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