Berliner Wirtschaft 10/2019

% vier MillionenMenschen in dieser Stadt leben. Mit demZuzug steigt auch die Zahl der Unternehmen kräftig. So wurden allein im vergangenen Jahr rund 40.000 Unternehmen neu gegründet – die meisten imDigitalisierungssektor. Kein Wunder also, wenn damit auch die Zahl der Büroange- stellten rapide zunimmt, zwischen 2013 und 2018 immerhin um 16 Prozent auf 784.000. Auch im produzierenden Gewerbe steigt der Platzbedarf. Die Leerstandsquote imBereich der Gewerbeim- mobilien liegt in Berlin bei historisch niedrigen 1,5 Prozent. War zumBeispiel der Gewerbehof an der Wolfener Straße inMarzahn im Jahr 2014 noch halb leer, so findet sich jetzt kaum noch Platz. Ein weiteres Problem: Das knappe Angebot in der Hauptstadt treibt die Gewerbemieten in die Höhe. Je nach Lage und Ausstattung kletter- ten sie in den vergangenen zehn Jahren um 45 bis 267 Prozent. Wurden in Berlin für Büros 2009 noch Quadratmeterpreise von durchschnitt- lich 10,76 Euro aufgerufen, waren es im Jahr 2018 bereits 21,70 Euro, hat der Immobiliendienstleis- ter Colliers International ermittelt. Stellenweise werden aber auch Mieten von bis zu 40 Euro pro Quadratmeter gefordert. Unternehmen reagieren mit Wegzug „Fast 4.000 Unternehmen haben Berlin allein zwischen 2013 und 2018 verlassen“, mahnt Jochen Brückmann, Bereichsleiter Stadtentwicklung der Industrie- und Handelskammer (IHK) Ber- lin. Die meisten davon zogen ins Brandenburger Umland, andere verließen die Hauptstadtregion ganz. Die Gründe für denWegzug: die steigenden Preise und Mieten für Büro- und Gewerbeflächen und fehlende oder ungeeignete Flächen für eine Expansion. „Berlin kann es sich aber nicht leis- ten, Unternehmen an das Umland zu verlieren“, warnt Brückmann und fordert: „Die Stadt muss schnell Flächen schaffen, auf denen Unternehmen gründen und expandieren können.“ Der Senat hat das erkannt undmit demStadt- entwicklungsplan Wirtschaft 2030 ein Flächen- sicherungsprogramm geschaffen, das angemes- sene Grundstücke für die Berliner Unternehmen bereitstellen soll. Pro Jahr will der Senat künftig Flächen im Umfang von 40 Hektar für die Wirt- schaft aktivieren. Grundstücke sollen über einen Fonds von 50 Mio. Euro angekauft werden. Grö- ßere Gewerbeflächen könnten demnach auf dem Gelände des heutigen Flughafens Tegel, aber auch auf alten Bahngeländen und Grundstücken des Bundes in Buchholz-Nord, Marzahn und Bohns- Akteuren in Politik und Verwaltung um Hilfe gebeten. Gebracht hat es bisher gute Worte und Anteilnahme, konkrete Taten blieben aus. Der Kaufmann fühlt sich im Stich gelassen. Eine neue Gewerbefläche sucht auch Mathis Menzel. Bereits seit 1958 ist seine Firma, die Elek- tromotoren für Industrieanlagen herstellt und weltweit vertreibt, in Moabit ansässig. Doch das Unternehmen ist aus den dortigen Produktions- räumen herausgewachsen. „Die Motoren, die wir bauen, werden immer größer. Die Infrastruktur in unseren Werkstätten ist nicht mehr gegeben. Wollen wir mit der Entwicklung Schritt halten, müssen wir neu bauen“, erzählt Menzel. Wo sein Unternehmen eine neue Heimat fin- den sollte, stand lange fest. Auf dem Gelände der Urban Tech Republic, die auf dem Areal des Tegeler Flughafens entstehen soll, wollte er ein Grundstück kaufen und neue Produktionshallen bauen. Fünf Jahre lang war ihm eine Fläche in Aussicht gestellt worden, fünf Jahre wartete er auf die Schließung des Flughafens. Anfang des Jah- res der Schock: Die Projektgesellschaft Tegel teilte ihm mit, dass die Flächen nun doch nicht ver- kauft, sondern in Erbbaupacht übergebenwürden. Für Menzel ändert das alles. „Wenn ich nicht auf eigenemGrundstück baue, bekomme ich von der Bank schlechtere Konditionen, die Finanzierung für den Neubau wird zu teuer.“ Also sah er sich nach einer anderen Fläche im Stadtgebiet um, schrieb Bezirke und Verwaltungen an, füllte Fragenbögen aus und formulierte seinen Bedarf. Ergebnis: nichts. „Ich finde keine geeig- nete Fläche in Berlin.“ Dafür aber in Branden- burg. Sowohl Ludwigsfelde als auch Hennigsdorf haben auf seine Anfragen schnell reagiert, sich engagiert und gute Grundstücke für ihn gefunden. Zeitnahmuss Menzel eine Entscheidung treffen – und da Berlin nach wie vor keine geeigneten Flä- chen hat, wird er wohl in Brandenburg neu bauen. „Dort hätten wir ausreichend Platz, uns auszu- breiten und die neuen technischen Möglichkei- ten umzusetzen.“ Platz für die wachsende Bevölkerung Walter Lang und Mathis Menzel sind nicht die einzigen Unternehmer, die das Gefühl haben, in der Hauptstadt gebe es keinen Platz mehr für sie. Denn Berlin wächst seit 2008 kontinuierlich. Im vergangenen Jahr kletterte die Bevölkerungszahl auf 3,65 Millionen Menschen – das ist Rekord seit demZweitenWeltkrieg. Im Jahr 2030werden Pro- gnosen der Investitionsbank Berlin zufolge rund 36,7% Preise/Mieten für Immobilien und Flächen 33,3% Fehlende/ungeeignete Flächen für Expansion 13,3% Keine geeigneten Mitarbeiter 6,7% Höhe der Gewerbe- und Grundsteuer 3,3% Schlechte Verkehrsanbindung 3,3% Breitbandanbindung ist ungenügend 3,3% Fördermittel im anderen Bundesland SCHWERPUNKT | Bauen und Flächen 24 BERLINER WIRTSCHAFT 10 | 2019 Darum gehen Unternehmen Wegzug aus Berlin: Es gibt interne und externe Motive Mehrfachnennungen möglich Quelle: IHK Berlin Grafik: BW Standortfaktoren 53,8 Betriebsinterne Gründe 46,2

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