Berliner Wirtschaft 10/2018

UNTERNEHMEN & MÄRKTE 55 BERLINER WIRTSCHAFT 10/18 scheiben ihrer antisemitischen Propa- ganda. Tietz spürte den Druck schon 1933 undwurde schnell „arisiert“, also zwangs- weise enteignet. Als „Union Vereinigte Kaufstätten GmbH“, kurz Kaufhaus Uni- on, wurde es in den 1930er Jahren wei- tergeführt. Den Krieg überstand das Haus weitestgehend intakt, 1952 zog das Insti- tut für Bekleidungskultur ein undmachte es zum Haus der Mode der DDR. Shopping-Paradiese der ersten Stunde Vom Kaufhaus Jandorf bis zum KaDeWe – der erfolgreiche Kaufmann Adolf Jandorf legte Meilensteine in der Berliner Warenhausgeschichte » Von Björn Berghausen (BBWA) Bis heute ein Blickfang: das Kaufhaus Jandorf an der Brunnenstraße D ass die Rosenthaler Vorstadt einmal ein Einkaufsparadies war, wird am markanten Eckhaus Brunnenstraße, Ecke Veteranenstraße deutlich: Hier ragt das alte Kaufhaus Jandorf auf, errichtet im damaligen Kaufhausstil 1903/4 nach den Plänen von Lachmann und Zauber. Bemerkenswert waren der weit sichtbare Dachreiter sowie die umlaufende Schau- fensterfront. Sie ermöglichten größtmög- liche Einsicht auf das Warenangebot, lie- ßen Tageslicht in die Verkaufsräume und waren – im Architektenjargon – nur „durch die Längsrippenpfeiler der Fassa- dengliederung aufgeteilt“. Diesen luftigen Einblick macht sich heutzutage der Autohersteller Mercedes- Benz zunutze, der das alte „Warenhaus amWeinberg“ zu einer weiteren Haupt- stadtpräsenz umbaut. In den letzten 25 Jahren stand das Gebäude oft leer und wurde etwa zur Fashion Week 2017 als Event-Location genutzt. Die Geschich- te des Kaufhauses begann mit Adolf Jandorf, der 1892 im Alter von 22 Jah- ren nach Berlin gekommen war und am Spittelmarkt einWarenhaus eröffnete. Er hatte im württembergischen Bad Mer- gentheim und in Amerika den Kauf- mannsberuf so gut gelernt, dass seinem erfolgreichen Warenhaus bis 1906 vier weitere Filialen folgten, un- ter anderemdas in der Brun- nenstraße. Das Management derWarenhauskette besetzte Jandorf mit seinen Brüdern. 1907 bezog er mit dem Kauf- haus des Westens sein neues Flaggschiff – bis heute eines der renommiertesten Kauf- häuser. Der Name des Ein- kaufsparadieses betonte das Selbstbewusstsein des aufstrebenden „neuen Westens“ in Abgrenzung zu den Konsummeilen an der Leipziger Straße oder in der Rosenthaler Vorstadt. Vom Ersten Weltkrieg stark gebeutelt, verkaufte Jandorf seine Warenhäuser, in denen über 3.000 Menschen arbeite- ten, schon 1926 an den Her- mann-Tietz-Konzern. Jandorf starb 1932 undwurde auf dem Jüdischen Friedhof in Wei- ßensee beigesetzt. Mit Tietz geriet das Haus in der Brun- nenstraße in die turbulenten Fahrwasser amEnde derWei- marer Republik, als Waren- häuser in der hitzigen politi- schen Debatte als Feinde des Einzelhandels betrachtet wurden. Da sehr viele namhafte Häuser im Besitz jüdischer Unternehmerfamilien waren, machten die Nazis sie zu Ziel- UNTERNEHMENSHISTORIE FOTOS: BBWA Kaufhausgründer Adolf Jandorf Für Interessierte geöffnet Das Berlin-Brandenburgische Wirtschaftsar- chiv (BBWA) ist eine Forschungseinrichtung für regionale Wirtschaftsgeschichte und Industriekultur. Bestände können eingesehen werden. Kontakt und Info: www.bb-wa.de BBWA

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