Berliner Wirtschaft 9/2019

vor sechs Jahren ein Gütesiegel für exzellente Berufs- orientierung eingeführt, von dessen Qualität ich sehr überzeugt bin. Die Beteiligung der Schulen ist jedoch gering und lässt auch noch stetig nach. Dies zeigt, dass das Thema nicht hoch auf der Agenda zu ste- hen scheint. Ein Problem ist auch der hohe Anteil an Schülern ohne Schulabschluss ... Im Durchschnitt sind 2018 in Berlin 10,2 Prozent der Schüler ohne Schulabschluss geblieben. Das ist schmerzlich hoch und alarmierend. Bessere Berufs- orientierung würde aus unserer Sicht Anreize für mehr und bessere Schulabschlüsse setzen. Wenn Schüler ihre Talente und Stärken entdecken und sich in Berufsfeldern erproben können, dann setzt das viel Motivation frei. Nach dem Motto: nicht für die Schule, sondern das Leben lernen. Es ist deshalb wichtig, dass sie frühzeitig Berufe kennenlernen – zum Beispiel über Schülerpraktika. Gerade junge Menschen, deren Eltern ohne Arbeit sind, müssen positiv mit Berufsbildern konfrontiert werden. Was unternehmen Sie als Bundesagentur? Wir haben ein vielfältiges Informations- und Auf- klärungsangebot. Das reicht von Selbsterkundungs- tools online und Smartphone-Apps wie „Berufe.TV“ und „Azubiwelt“ über die Berufsinformationszent- ren bei den Arbeitsagenturen bis hin zu Messen, wo wir gut vorbereitete Jugendliche und Arbeitgeber zusammenführen. Das hilft gerade notenschwäche- ren, aber motivierten Jugendlichen sehr. Ganz wich- tig ist unsere Berufsberatung in den Schulen, die dort auch über Voraussetzungen für bestimmte Berufe informiert. Das bauen wir ab dem neuen Schuljahr mit der „Lebensbegleitenden Berufsberatung“ aus, indemwir früher, ab Klasse 8, informieren und auch stärker in Gymnasien beraten. Dafür erhöhen wir die Zahl der Berufsberater beträchtlich. Berufsorientierung soll auch die Jugendberufsagen- tur Berlin bieten, die es seit vier Jahren gibt. Wie erfolgreich arbeitet diese aus Ihrer Sicht? Ich bin überzeugt, dass die Jugendberufsagentur der richtige konzeptionelle Ansatz ist, um Jugendliche amÜbergang von Schule zumBeruf bestmöglich zu unterstützen. Ihre Stärke ist, dass alle Akteure unter einem Dach für die Jugendlichen da sind: Berufs- beratung und Ausbildungsvermittlung der Bundes- agentur, Jugendhilfe sowie Sucht- und Schuldnerbe- ratung der Bezirke. Die Jugendlichen müssen nicht von einer Stelle zur nächsten laufen, wo sie häufig nicht ankommen, sondern nur von einem Raum in den anderen. Das funktioniert schon sehr gut, aber es wird noch dauern, bis sich in Zahlen messbare Erfolge einstellen. Wie beurteilen Sie das Niveau der Schulabsolventen? Es bringt uns nicht weiter, an den Jugendlichen herumzunörgeln. Wir müssten erfolgreicher daran arbeiten, sie besser auf das Leben vorzubereiten. Und da kann ich nur festhalten: Berlins Jugendliche haben Potenzial. Schade ist nur, dass diese Poten- ziale nicht früher entdeckt und gefördert werden. Nach der Schule wird über die Jugendberufsagen- tur intensiv mit den jungen Menschen und ihren Talenten gearbeitet. Das lässt sich mit Zahlen bele- gen: Im Segment der 15- bis 20-Jährigen ist Berlin bei der Jugendarbeitslosigkeit quotenmäßig seit Jah- ren Schlusslicht unter den Bundesländern. Im Seg- ment der 20- bis 25-Jährigen haben wir drei andere Länder hinter uns gelassen. Deswegen auch meine Bitte an die Unternehmen, die schlechte Erfahrun- gen gemacht haben: Engagieren Sie sich weiter, viele Jugendliche verdienen es. Ist das als Appell zu verstehen, auch Jugendlichen mit schlechteren Schulnoten eine Chance zu geben? Ja, unbedingt. Denn wenn wir jungen Menschen keine Berufsperspektive aufzeigen, wird uns das langfristig große Probleme schaffen. Deswegen ist mein Ansatz, nicht über die Jugendlichen zu schimp- fen, sondern die Verantwortung des Schul- und Bil- dungssystems stärker einzufordern und die Betriebe zu bitten, dass sie auch Jugendlichen mit mäßigen Zeugnisnoten eine Chance geben. Die Bundesagen- tur für Arbeit hilft dabei gern – etwa mit dem Ins- trument der Einstiegsqualifizierung. Dabei fördern wir finanziell Praktika, die bis zu einem Jahr dau- ern können. Mehr als zwei Drittel kommen so zu einer Ausbildung. Wie sind Ihre Erfahrungen mit Geflüchteten in der dualen Ausbildung? Wir hatten zunächst befürchtet, dass die jungen Geflüchteten keine duale Ausbildung machen wer- den, weil sie schnell Geld verdienenwollen und diese Form der Ausbildung gar nicht kennen. Aber es sind jetzt in Berlin schonmehr als 600 in der betrieblichen Ausbildung. Das übertrifft unsere Erwartungen. Im Juli haben wir bei den Geflüchteten 2.350 Bewerber, denen wir die Ausbildungsreife und Sprachkennt- nisse bescheinigen können. Die Erfahrungenmit den jungen Geflüchteten sind fast querbeet gut. Mit ihrer hohen Motivation können viele in Bewerbungsge- sprächen überzeugen. 10,2 Prozent der Schüler sind 2018 in Berlin ohne Schulabschluss geblieben. 2017 waren es 9,8 Prozent. An einzelnen Brenn- punkten ist die Zahl noch höher. FOTO: AMIKN AKHTAR SCHWERPUNKT | Interview 28 BERLINER WIRTSCHAFT 09 | 2019

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