Berliner Wirtschaft 7 + 8 / 2020

Aktuell ist zubeobachten, dassviele Investoren lau- fende Finanzierungsrunden erst einmal „on hold“ setzen und dem Unternehmen ein Wandeldar- lehen zur Überbrückung von Liquiditätsengpäs- sen zur Verfügung stellen. Auch hier führt das aktuelle Marktumfeld dazu, dass höhere Bewer- tungsabschläge (Discounts) auf den Ausgabepreis der nachfolgenden Finanzierungsrunde verein- bart werden. Das bedeutet, dass der Wandeldarle- hensgeber sein Darlehen bei einer nachfolgen- den Finanzierungsrunde mit einem (höheren) Abschlag (zum Beispiel 25 Prozent) in Eigenka- pital wandeln darf. Er erhält somit für die Wand- lung seines Darlehensbetrages (zuzüglich Zinsen) mehr Anteile am Unternehmen als ein Investor der Folgerunde mit entsprechendem Investment. Gleiches gilt für die Aufnahme niedrigerer und somit investorenfreundlicherer Valuation Caps (Bewertungsobergrenze der Wandlung im Rahmen der Folgefinanzierungsrunde) bezie- hungsweise entsprechend höherer Percentage Caps (Festsetzung einer minimalen undmaxima- len Beteiligungsquote des Investors nach Wand- lung). Auch hier muss das oberste Ziel sein, das Unternehmen für Folgefinanzierungen attraktiv zu halten und nicht etwa durch allzu investo- renfreundliche Regelungen im aktuellen Umfeld einen Dealbreaker für später notwendige Finan- zierungsrunden zu konstruieren. Liquiditätspräferenzen Durch marktübliche Liquidationspräferenzen wird der VC für sein Investment belohnt. Bei einem Exit erhält er vorab sein Geld zurück, ehe der übrige Veräußerungserlös unter den Investo- ren verteilt wird. Hier hat sich bei VC-Verträgen fast ausnahmslos die gründerfreundlichere anre- chenbare (non-participating) Liquidationspräfe- renz durchgesetzt, bei der der vorab an den Inves- tor ausgegebene Betrag auf die Pro-rata-Vertei- lung des restlichen Exiterlöses angerechnet wird. Ob das aktuelle Marktumfeld hingegen ver- mehrt zum in Gründerkreisen verpönten „double dipping“ führt, wird sich zeigen. Davon spricht man, wenn der Geldgeber nach Rückerhalt sei- nes kompletten Investments über eine nicht anre- chenbare (participating) Liquidationspräferenz ohne Anrechnung seines bereits vorab zurücker- haltenen Investments amvollen Exiterlös in Höhe seiner Beteiligungsquote partizipiert. ImErgebnis erhält der Investor bei einer nicht anrechenbaren Liquidationspräferenz mehr Geld, als ihm nach seiner eigentlichen Beteiligungs- quote zusteht. Auch im aktuellen Marktumfeld dürfte dies noch als unfair betrachtet werden. In den vergangenen Jahren sind gestaffelte Investments über sogenannte Milestone-Regelun- gen immer seltener geworden. Diese führten teil- weise zu der schwierigen Frage, in welchemGrad ein Meilenstein erreicht wurde. Und es setzte für Gründer oft das falsche Incentive, Meilensteine zu erreichen, statt notwendige Anpassungen in der strategischen und operativen Ausrichtung des Unternehmens vorzunehmen. Im aktuellen Umfeld könnenMilestone-Rege- lungen jedoch einen fairen Ausgleich der Interes- sen von Gründern (Sicherung der Finanzierung) und Investoren (Kapitaleinsatz und Renditeer- wartungen) besser ermöglichen als in wirt- schaftlich stabilen Zeiten. Der Milestone verlagert insoweit das grundsätzlich allein dem Investor zufallende Prognoserisiko der wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens vom Zeitpunkt des Investments (teilweise) nach hinten. Anpassung bestehender Verträge Falls Altinvestoren mit Verweis auf die neuen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auf Son- derrechte zu ihren Gunsten drängen, müssen Gründer dem entgegentreten. Die Rahmenbe- dingungen sind von der niemals vorhersehba- ren Geschäftsentwicklung des Unternehmens zu trennen und berechtigenweder zu einer Vertrags- anpassung noch zu einem Rücktritt von bereits erfolgten Finanzierungszusagen. Anpassungen der bestehenden Sonderrechte neuer wie alter Investoren lassen sich also nur dann umsetzen, wenn die Gründer und die übri- gen Bestandsinvestoren dem zustimmen. Zustimmungspflicht Ausnahmsweise sind bei Sonderrechten und ihrer Ausübung jedoch nicht allein die Regelun- gen der bestehenden Beteiligungsverträge und Gesellschaftervereinbarungen maßgeblich. In besonderen Ausnahmefällen (etwa ein akuter Liquiditätsengpass infolge der Corona-Pande- mie) können die Bestandsgesellschafter aufgrund ihrer gesellschaftlichen Treuepflicht nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 12.4.2016 – Az. II ZR 275/14) dazu verpflich- tet sein, einer Maßnahme (etwa der Aufnahme eines Sanierungsdarlehens) zuzustimmen. Und zwar dann, wenn sie zur Erhaltung wesentlicher Werte oder zur Vermeidung erheblicher Verluste objektiv erforderlich ist. ■ Der Autor Dr. Christopher Hahn ist Wirtschaftsanwalt in Berlin und spezialisiert auf Unternehmens­ beteiligungen. Außerdem schreibt er Fachbücher. Melina Hanisch, Start-up-Koordinatorin der IHK Tel.: 030 / 315 10-527 melina.hanisch@berlin. ihk.de Link zur Website der Gründerszene Die ungekürzte Version des Textes unter: gruenderszene.de FOTOS: GETTY IMAGES/MASKOT, FOTOSTUDIO CHARLOTTENBURG SERVICE | Gründerszene 61 IHK BERLIN  |  BERLINER WIRTSCHAFT 07-08 | 2020

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