Berliner Wirtschaft Mai 2020

higkeit im Rechtssinn (§ 17 InsO) bestand. Dies ist nicht der Fall, wenn mehr als 90 Prozent der fälligen Verbindlichkeiten gezahlt werden konn- ten. Auch sonst dürfen keine Anzeichen für eine Zahlungseinstellung vorgelegen haben. So müs- sen z.B. alle Löhne und Gehälter oder Sozialversi- cherungsbeiträge gezahlt worden sein, und es darf keine erfolglosen Vollstreckungsversuche gegeben haben. Entscheidend ist es jetzt aber, zu doku- mentieren, dass die Zahlungsfähigkeit nachhaltig wiederhergestellt werden kann. Dies lässt sich am besten mittels einer integrierten Unternehmens- planung erreichen. Dabei muss ermittelt werden, welche finanziellen Hilfen benötigt werden. Diese sollten dann auch gleich beantragt werden sowie Gespräche mit Investoren und Banken schnellst- möglich geführt werden. Ist eine Insolvenzreife 2020 eingetreten, darf die Gewährung staatlicher Hilfsmittel unterstellt werden. Wenn sich ergibt, dass die Zahlungsunfähigkeit nach dem 30. Sep- tember 2020 fortbesteht, muss sofort ein Insolvenz- antrag gestellt werden. Start-ups müssen also dringend ihre Finanzplanung aktualisieren und alle Maßnahmen zur Sicherung ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit ergreifen. Maßgeblich ist eine vollumfängliche Dokumentation. Festgehalten werden sollten neben Sanierungskonzepten alle Umstände, die die Annahme der Zahlungsfähig- keit am31. Dezember 2019 und den Zusammenhang zwischen Insolvenzreife und Pandemie belegen. Beschränkung der Haftungsrisiken Ab Eintritt der Insolvenzreife haften Vorstände und Geschäftsführer persönlich für Zahlungen durch das Unternehmen. Auch diese Zahlungsverbote greifen zunächst bis zum30. September 2020 nicht mehr, wenn kein Insolvenzantrag gestellt werden muss. Das heißt, aufgrund des COVInsAG sind die Geschäftsleiter weiterhin berechtigt, Zahlungen im Wege des „ordnungsgemäßen Geschäftsganges“ zu leisten. Es droht keine Haftung für Zahlungen, die dazu dienen, den Geschäftsbetrieb aufrechtzuer- halten oder wieder aufzunehmen oder ein Sanie- rungskonzept umzusetzen. Die Rückzahlung von vor der Corona-Krise gewährten Gesellschafter- darlehen ist dagegen nicht erfasst. Die Zulässig- keit der Zahlungen ist im Einzelfall sehr genau zu prüfen. Achtung: Hier droht eine Haftungsfalle. Den Geschäftsleitern ist dringend zu empfehlen, den Zahlungsverkehr eng zu überwachen und den jeweiligen Bezug zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs zu dokumentieren, auch wenn der rechtliche Handlungsspielraum jetzt größer ist. Zudem sollte mit Geschäftspartnern offen über akute, krisenbedingte Zahlungsschwierig- keiten gesprochenwerden, denn die strafrechtliche Haftung, zum Beispiel wegen Eingehungsbetru- ges bei vorgetäuschter Leistungsfähigkeit, bleibt. Was sich für Investoren ändert Die neuen Regelungen setzen auch deutliche Anreize für Investoren und Banken, weiter in die Unternehmen zu investieren. Wenn Banken in der Krise jetzt neue Liquidität zur Verfügung stellen, besteht für sie nicht mehr das Risiko, dass dies als sittenwidrig gelten und eine Haftung wegen der Schädigung anderer Gläubiger auslösen könnte. Neu bestellte Sicherheiten sind anfechtungssicher. Darüber hinaus soll die Bereitschaft von Gesell- schaftern, Darlehen zu gewähren, dadurch erhöht werden, dass der sonst geltende gesetzliche Nach- rang ihrer Forderungen aufgehoben wird. Außer- dem ist die Rückgewähr von Gesellschafterdarle- hen bis zum 30. September 2023 der Anfechtung entzogen. An Start-ups beteiligte Investoren wer- den damit unter den gleichen Voraussetzungenwie Drittfinanzierer geschützt, wenn sie jetzt frisches Geld geben. Das bloße Stehenlassen bereits vorhan- dener Mittel oder die Besicherung von Altkrediten der Gesellschafter aus dem Vermögen der Gesell- schaft ist dagegen nicht begünstigt. Für Vertrags- partner, wie Lieferanten, gilt ebenfalls ein umfang- reicher Anfechtungsschutz. Für sie besteht somit kein Anlass, Vertragsbeziehungen zu beenden, weil sie etwa befürchtenmüssten, erhaltene Zahlungen zurückzahlen zu müssen. Wenn Unternehmen keine Probleme haben Auch Unternehmen, die noch nicht insolvent sind, soll ermöglicht werden, dass sie bereits jetzt wei- tere Finanzierungen erhalten und ihre Vertrags- partner weiter an Bord bleiben. Daher gelten die Regelungen zur anfechtungs- und haftungsrecht­ lichen Privilegierung für Sanierungskredite, Gesellschafterdarlehen und Geschäftspartner – nicht aber die Regelungen zu den Zahlungsver- boten („Notgeschäftsführung“) – auch für Unter- nehmen, die sonst auch keiner Antragspflicht unterliegen, sowie solche, die noch nicht insol- venzreif sind. Inwieweit die neuen Regelungen unsere Wirtschaft vor den zu erwartenden Fol- gen der COVID-19-Pandemie bewahren können, bleibt abzuwarten. Gründern geben sie jedenfalls jetzt Sicherheit und Investoren Motivation, weiter an ihre Beteiligungen zu glauben und diese in der Krise zu unterstützen. ■ FOTOS: GETTY IMAGES/MASSIMO COLOMBO, FOTOSTUDIO CHARLOTTENBURG Der Autor Dr. Robert Brahmstaedt von der Hamburger Rechtsanwaltskanzlei Görg berät national und international tätige Unternehmen sowie Banken im Bereich Insolvenzrecht und Restrukturierung. Melina Hanisch, Start-up-Koordinatorin Innovation der IHK Tel.: 030 / 315 10-527 melina.hanisch@berlin. ihk.de Link zur Website der Gründerszene Die ungekürzte Version des Textes unter: gruenderszene.de 57 IHK BERLIN  |  BERLINER WIRTSCHAFT 05 | 2020 SERVICE | Gründerszene

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