Berliner Wirtschaft 5/2019

1941 wurde das Kabelwerk in Spandau enteigne- tet und umfirmiert Der Name Cassirer steht für Kultur und Philosophie, aber auch für Altberliner Unternehmertum. Ein Beispiel ist die 1896 gegründete Kabelfabrik Dr. Cassirer & Co. A.G. von Prof. Dr. Klaus Dettmer Von Kunst und Kabeln FOTOS: BBWA (2), LANDESDENKMALAMT BERLIN BRANCHEN | BBWA 40 BERLINER WIRTSCHAFT 05 | 2019 D ie enge Verflechtung vonwirt- schaftlichem Erfolg und kul- turellem Engagement, wie im Beispiel der Familie Cassirer, ist nie selbstverständlich gewesen. Louis und Julius Cassirer, zwei Onkel des berühmten Philosophen Ernst Cassirer, stammten aus Breslau und zogen 1875 nach Berlin. Während sich Louis im Bau- und Nutzholzgeschäft engagierte, betrieb Julius eine Fabrik für Bilderrahmen. Louis ’ Sohn Hugo (1869-1920) studierte in Berlin Chemie, Physik und Philosophie und sammelte praktische Erfahrungen bei seinem Verwandten Otto Bondy in Wien, der Drähte und Kabel herstellte. Hugos jüngerer Bruder Paul, der Kunstgeschichte in München studiert hatte, betrieb Kunsthandel und eröff- nete im Jahr 1898 eine Verlagsbuch- handlung, drei Jahre später als Kunst- salon in der Viktoriastraße 35. Mit sei- ner Unterstützung der Künstlergruppe Berliner Sezession handelte er sich die Abneigung des Kaisers gegen die soge- nannte „Rinnsteinkultur“ ein. Auch Adolf Hitler griff Paul Cassirer in einer Rede 1920 namentlich an. Doch auch Vater Louis und Onkel Julius waren erfolgreich als Unter- nehmer: Die sprunghaften Entwick- lungen in den Bereichen Telegraphie, Telefonie, Beleuchtung und elektri- schen Straßenbahne boten ihnen ein neues Betätigungsfeld. Sie gründeten 1896 eine Fabrik zur Herstellung von Kabeln und Drähten, die „Dr. Cassi- rer & Co. A.G.“. Das Werk war anfäng- lich in der Schönhauser Allee 62, sie- delte aber bald in ein größeres Fabrik- gebäude in Charlottenburg über. 1904 übernahmen Louis’ Söhne Hugo und Alfred Cassirer (1875-1932) die Leitung. Die breite Palette von Kabelpro- dukten reichte bis zum Störschutz- kabel, das einen fehlerfreien Radio- empfang ermöglichte. Für die jeweils modernsten und größten Maschinen bezog die Bleikabelproduktion ab 1928 neue Hallen nach Plänen von Hans Poelzig in Spandau-Hakenfelde. Die Weltwirtschaftskrise versetzte dem Unternehmen einen harten Schlag. Die Familie Cassirer verkaufte ihre Firma an ein Bankenkonsortium. 1941 wurde das Unternehmen in die „ari- sche“ Firmierung Märkische Kabel- werke umbenannt und damit die jüdi- sche Herkunft getilgt. Zwischen 1946 und 1993 wurdenweiter Kabel auf dem Gelände hergestellt. Seit 1997 heißt die Straße vor der Poelzig-Halle Hugo-Cassirer-Straße, 2003 hat die Stiftung Stadtmuseumdie Halle für ihre Zwecke zu einemDepot umgebaut. ■ Für Interessierte Die Bestände des Berlin-Branden- burgischen Wirt- schaftsarchivs (BBWA) können eingesehen werden. Kontakt und Informationen: bb-wa.de Hugo Cassirer übernahm 1904 mit seinem Bruder Alfred die Kabelfa- brik seines Vaters Paul Cassirer betrieb Kunsthan- del und gründete einen Verlag

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