Berliner Wirtschaft 4/2020

Digitale Rezepte, Datenaustausch zwischen Arzt und Apotheker, Apps und Telemedizin – Pharmaziegeschäfte rüsten sich für die nächste Generation von Almut Kaspar W ennApothekerin Renate Schlindwein ein Rezept erhält, überprüft sie über ihren Computer, ob sie das verschrei- bungspflichtigeMedikament vorrätig hat. Ist das nicht der Fall, kann sie über MSV3, eineDatenschnittstelle, die Bestände ihresHänd- lers einsehen und sofort bestellen. Schonwenige Stunden später darf der Kunde seinMedikament abholen, dennApothekenerhaltenvomGroßhan- del bis zu drei Lieferungen pro Tag. Renate Schlindweins Leipziger Apotheke an der Leipziger Straße inMitte ist eine von fast 800 Apotheken inBerlin, die den gesetzlichenAuftrag haben, die Arzneimittelversorgung der Bevöl- kerung sicherzustellen. Apotheken beschaffen nicht nur Fertigarzneimittel – über 100.000 sind in Deutschland behördlich zugelassen, etwa die Hälfte davon ist verschreibungspflichtig –, son- dern produzieren nach ärztlicher Verordnung auch individuelle Rezepturen für Patienten, die mitunter intensiv beraten werden müssen. Mit einem apothekenüblichen Randsortiment machen sie fast zehn Prozent ihres Umsatzes. „Wie andere Unternehmen der BrancheHan- del müssen sich auchApothekenmit denHeraus- forderungen der Digitalisierung auseinanderset- zen“, betontDr.MateuszHartwich, der zuständige Branchenmanager bei der IHKBerlin. Schon län- ger ist die Datenschnittstelle MSV3 in allen Ber- liner und Brandenburger Apotheken Standard, die meisten verfügen zudem über eigene Web- sites. „Aber natürlich darf die Entwicklung an diesem Punkt nicht enden“, sagt Stefan Holder- mann, Geschäftsführer des Pharma-Unterneh- mens Kehr Berlin GmbH & Co KG. Großhändler wieKehr BerlinunterstützenVor-Ort-Apotheken bei dem laufenden Prozess der Digitalisierung, damit sie gegenüber Online-Apotheken wett- bewerbsfähig bleiben. „Viele Apotheken bieten ihren Kunden über digitale Tools wie Clic-and- Collect-Shops schon an, selbst Medikamente und Produkte zu reservieren und zu bestellen“, weiß Holdermann. Im nächsten Schritt würde es um die Integration des E-Rezeptes gehen, die in die- semund demnächsten Jahr erfolgen soll – sobald die gesetzlichenRahmenbedingungen beschlos- sen seien. Die Digitalisierung sorgt vor allem für eine Verringerung des Arbeitsaufwands. Der MSV3-Prozess, so Kehr-Berlin-Geschäftsführer Holdermann,erleichtereApothekenaktuellschon denBestellvorgang. „Durchdas E-Rezept erhalten Apotheker beispielsweise Unterstützung bei der ErstellungvonMedikationsplänen,undinsgesamt lässt sich über die Digitalisierung des Gesund- heitswesens viel einfacher auf Daten zugreifen – diese können zumPatientenwohl auch leichter und schneller, zum Beispiel zwischen Arzt und Apotheker, ausgetauscht werden.“ Viele Kun- den gehören heute noch einer Generation an, die wenigmit digitalen Tools und Gadgets anfangen kann. „Die Kunden der Zukunft hingegen den- ken auf allen Ebenen digital“, so Holdermann. Es gelte auf weitere Kommunikationsformen und Entwicklungen, wie neue Apps und Tele- medizin, zu setzen. „Eine attraktive Internet-Präsenz hilft Apo- theken dabei, vomZielpublikum imKiez oder im Bezirk wahrgenommen und gefunden zu wer- den“, betont Stefan Schmidt, Sprecher des Ber- liner Apotheker-Vereins (BAV), demLandesver- band des DeutschenApothekerverbandes. Damit könnten sie auch zu konkurrierenden auslän- dischen Versandapotheken aufschließen, „die sich nicht an den betriebswirtschaftlich unin- teressanten, gleichwohl aber wichtigenGemein- wohl-Aufgabenbeteiligen: Not-undNachtdienste zum Beispiel oder Vorhaltung von Depots mit Notfallarzneimitteln“. Bei nicht verschreibungspflichtigenMedika- menten und Produkten kommt der Versandhan- del schon auf einenMarktanteil von über 13 Pro- zent, bei rezeptpflichtigen Arzneimitteln jedoch nur auf einen von knapp über einemProzent. „Da vertraut der Kunde offenbar mehr seinem Apo- theker vorOrt“,mutmaßt BAV-Sprecher Schmidt, „und dieses Vertrauen sollte der ausbauen – auch über seine digitalen Kanäle.“ ■ FOTOS: GETTY IMAGES/DIANE555, FOTOSTUDIO CHARLOTTENBURG Die Apotheke der Zukunft 800 Apotheken gibt es in Berlin. Sie beschaffen Medikamente und produzieren individu- elle Rezepturen nach ärztlicher Verordnung. Stefan Holdermann Geschäftsführer Kehr Berlin Die Kunden der Zukunft denken auf allen Ebenen digital. Dr. Mateusz Hartwich, IHK-Experte für den Einzelhandel Tel.: 030 / 315 10-827 mateusz.hartwich@ berlin.ihk.de 43 IHK BERLIN | BERLINER WIRTSCHAFT 04 | 2020 BRANCHEN | Digitalisierung

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