Berliner Wirtschaft 4/2020

vor allemgegenzwei Probleme. Das eine ist derWett- bewerb gegendenOnlinehandel. Das andere sinddie steigenden Gewerbemieten. Beide Entwicklungen finde ich sehr bedauerlich. Wenn wir uns ein Klei- dungsstück in vier verschiedenen Farben, jeweils in zwei Größen nachHause schicken lassen und am Ende sieben Teile zurücksenden, ist das nicht beson- ders ökologisch. Und für die Kieze heißt das: Das urbane Leben ist bedroht, denn diese Entwicklung reduziert die Passan- tenfrequenz, und das setzt auch der Gastro- nomie zu. Kann der stationäre Einzelhandel etwas dagegen tun? Es ist durchaus mög- lich, den stationä- ren Handel und den Onlinehandel so zu verzahnen, dass sich beides gegenseitig befruchtet. Beispiel: Ich selbst habe auch einen Onlineshop. MeineKundenkönnen von zuHause aus über das Internet bis 18Uhr eine Bestellung aufge- ben und dann gleich am nächsten Tag das Buch in der Buch- handlung abholen. Das ist versandkosten- frei, und die Schlan- gen sind bei mir längst nicht so lang wie im Postshop. Das ist guter Kundenservice, undes belebt städtische Zen- tren. Ich hoffe, dass die Corona-Krise den Leuten klarmacht, wie schön Einkaufen im statio- nären Handel ist. Und das andere Problem ist, dass die Einzelhänd- ler die Mieten nicht mehr bezahlen können? Eigentlich müssten die Immobilieneigentümer ein Interesse daran haben, dass ihreObjekte vermietbar bleiben. Aber wirmachen leider immer wieder ganz andere Erfahrungen. Einerseits beteiligen sich viele Vermieter nicht anAktionen, mit denen die Straßen attraktivgehaltenwerdensollen.Undeskommt auch vor, dass sie dieMietemal eben verdoppeln. Danach steht ein Laden ein Jahr oder sogar zwei oder drei Jahre einfach leer. Ich weiß nicht, was Eigentümer davon haben. Geschäftsstraßen werden durch leer stehende Läden jedenfalls nicht interessanter. Sie sind Vorsitzende des IHK-Branchenverbandes Handel. Sind Gewerbemieten und Onlinehandel die Themen, die die Mitglieder dort am meisten bewegen? Ja, der Onlinehan- del ist für viele statio- näre Händler ein sehr wichtiges Thema. Die Gewerbemieten aber auch. Wir haben als Gewerbemieter kei- nen Schutz. Hürden bei Mieterhöhungen – wie bei privaten Mietverträgen – gibt es für Gewerbever- mieter nicht. Es wird meistbietend vermie- tet.Wer unbequem ist, fliegt raus, sobald der Vertrag ausläuft. Eines Tages werden sich die Immobiliengesell- schaften oder Haus- besitzer aber nach solventen Gewerbe- mietern für Ladenlo- kale sehnen – näm- lich dann, wenn der Onlinehandel noch stärker geworden ist. Dann werden aus den Ladenlokalen Büros gemacht. Ja, oder die Paketversendermieten Ladenlokale an, umPaketabladestationen zu installieren. Das ist aber eine hässliche Vision der Zukunft ... … die Verbraucher auch nicht möchten. Natürlich nicht. Der Verbraucher will Urbanität. Er will abends um die Ecke gehen und sein Bierchen trinkenoder zu seinemLieblingsitaliener gehen. Und der will amTag Läden in seiner Nähe haben. Er liebt es, im Laden mit Namen begrüßt zu werden und Tradition in Friedenau: Die Nicolaische Buchhandlung wurde 1713 gegründet. Sie ist damit die älteste Buchhandlung Berlins SCHWERPUNKT | Interview 32 IHK BERLIN | BERLINER WIRTSCHAFT 04 | 2020

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