Berliner Wirtschaft 3/2020

S eit mittlerweile mehr als 15 Jahren kön- nen Unternehmen in Deutschland die Europäische Aktiengesellschaft (SE, kurz für Societas Europaea) gründen – Zeit für eine Bilanz und für einen Ausblick, für welche Unternehmen diese Rechtsform auch in Zukunft von Interesse sein wird. Die SE ist – wie der Name schon sagt – eine durch den europäischen Gesetzgeber ins Leben gerufene Rechtsform. Auf europäischer Ebene steht mit der SE-Verordnung jedoch nur ein recht- liches Grundgerüst zur Verfügung, das auf nati- onaler Ebene durch SE-spezifische Vorschriften sowie das allgemeine Aktiengesetz vervollstän- digt wird. Es gibt daher nicht die eine europaweit einheitliche SE. Während die Gründungszahlen in den ers- ten Jahren nach Einführung der SE nur lang- sam anstiegen, ist sie mittlerweile eine etab- lierte Rechtsform für Wirtschaftsunternehmen. Deutschland ist mit über 630 SEs imeuropäischen Vergleich Spitzenreiter. Dabei ist die Rechtsform der SE sowohl bei börsennotierten Unterneh- men (z. B. Axel Springer SE oder SAP SE) als auch bei nicht börsennotierten Unternehmen (z. B. Mast-Jägermeister SE oder LichtBlick SE) glei- chermaßen beliebt. In den letzten Jahren haben auch zahlreiche Growth Companies und E-Com- merce-Unternehmen auf die SE zurückgegriffen (z. B. Delivery Hero SE oder flaschenpost SE). Gute Gründe für die Wahl einer SE Obwohl die SE in vielen Bereichen der AG ent- spricht und beide Formen börsenfähig sind, gibt es eine Reihe von Gründen für die Wahl einer SE: ➜ Positive Außendarstellung: Unternehmen wählen die SE vielfach, um ihre europäische bzw. internationale Ausrichtung zu unterstreichen. ➜ Unternehmensleitung: Im Vergleich zur AG kann die Unternehmensorganisation der SE fle- xibel ausgestaltet werden. Während bei der AG ein dualistisches System, bestehend aus Vorstand und Aufsichtsrat, vorgeschrieben ist, kann in der SE alternativ eine monistische Board-Struktur gewählt werden. Hierbei werden die Aufgaben von Vorstand und Aufsichtsrat in einem Verwal- tungsorgan gebündelt. Insbesondere für inhaber- geführte Unternehmen ist die monistische Struk- tur mit einem „starken“ Verwaltungsratsvorsit- zenden interessant. In Deutschland sind etwa ein Drittel der SEs monistisch strukturiert. ➜ Unternehmensmitbestimmung: In der SE besteht die Möglichkeit, das Mitbestimmungs- recht der Arbeitnehmer an die individuellen Bedürfnisse des Unternehmens anzupassen. Möglich ist etwa der Abschluss einer sogenannten Beteiligungsvereinbarung zwischen Unterneh- mensleitung und Arbeitnehmervertretern, in der Regelungen zur Zusammensetzung des Aufsichts- rats getroffen werden können. Nach Abschluss einer solchen Beteiligungsvereinbarung führen Änderungen der Arbeitnehmerzahlen grund- sätzlich nicht zu einer Änderung der Mitbestim- mungsregelungen, wodurch Planungssicherheit geschaffen wird. ➜ Internationalität: Die SE kann als europäische (und damit „neutrale“) Rechtsform auch für inter- nationale Joint Ventures interessant sein. Schritte zur Gründung einer SE Anders als eine AG kann die SE nur durch bereits bestehende Gesellschaften gegründet werden. In der Praxis erfolgt die Gründung einer SE in der Regel durch einen Formwechsel oder eine grenz- überschreitende Verschmelzung. In beiden Fällen muss das bereits bestehende Unternehmen eine AG sein. Für Unternehmen in der Rechtsform der GmbH bedeutet dies, dass sie zunächst in eine AG umgewandelt werden müssen (was jedoch weit- gehend parallel umgesetzt werden kann). Im Rahmen der SE-Gründung ist zudem ein Mitarbeiterbeteiligungsverfahren zwischen Unternehmensleitung und Arbeitnehmervertre- tern durchzuführen. Ziel dieses Verfahrens ist der Abschluss einer Beteiligungsvereinbarung über die Mitbestimmung in der SE. Das Mindestkapital der SE beträgt 120.000 Euro und liegt damit deut- lich über demder AG (50.000 Euro) und der GmbH (25.000 Euro). Aufgrund des vergleichsweise auf- wendigen Gründungsverfahrens wird die SE in erster Linie von Unternehmen einer gewissen Größenordnung gewählt, auch weil dann die Vor- züge der SE erst vollständig zumTragen kommen. Besondere Gestaltungsmöglichkeiten erge- ben sich bei der SE & Co. KGaA. Hier lassen sich die Vorteile der SE mit der ebenfalls bör- senfähigen KGaA kombinieren. Beliebt ist diese Form bei Familienunternehmen, da die Kom- manditaktionäre der KGaA zwar als Kapi- talgeber am Vermögen des Unternehmens betei- ligt werden können, die Leitung der Gesellschaft aber ausschließlich über die Komplementär-SE erfolgt, deren Leitungsorgan unabhängig von der Kapitalmehrheit in der Hauptversammlung der KGaA besetzt wird. Beispiele sind die Bertelsmann SE & Co. KGaA oder die Ströer SE & Co. KGaA. ■ Gerade für Unternehmen mit internationaler Aus- richtung ist die SE eine Rechtsform mit vielen Vorteilen Autor Dr. Martin Schaper, LL.M. (Cambridge), ist Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Schnittker Möllmann Partners in Berlin. FOTO: GETTY IMAGES/BGBLUE 630 Europäische Aktien- gesellschaften gibt es in Deutschland, das damit im euro- päischen Vergleich Spitzenreiter ist. Euro beträgt das Mindestkapital für eine SE. Damit liegt es deutlich über dem der AG (50.000 Euro) und dem der GmbH (25.000 Euro). 120000 53 IHK BERLIN  |  BERLINER WIRTSCHAFT 03 | 2020 SERVICE | Rechtsformen

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