Berliner Wirtschaft 3/2019
Einsatzplanung mit unserer Software gemacht. Wir kümmern uns auch um die Daten für die elektroni- schen Hinweistafeln, mit denen die Ankunftszeiten der nächsten Busse und Trams angezeigtwerden. Des- halb ist Berlin für uns ein wichtiger Showcase. Stört Sie an diesem Showcase nicht die eine oder an- dere Verspätung oder überfüllte U-Bahn? Also zunächst kann ich Ihnen versichern, dass sehr viele Delegationen aus fernen Ländern nach Berlin kommen, um zu sehen, wie angenehm öffentlicher Nahverkehr in einer Metropole sein kann. Oft sind sie ganz begeistert von Dingen, die für uns ganz selbstver- ständlich sind. Das Ticketing zumBeispiel: In Bangkok wird jede Linie von einem anderen Unternehmen be- trieben. Bei jedemUmstiegmüssen Sie also einen neu- en Fahrschein lösen. Und steigen Sie mal in die Pari- ser Metro oder die Londoner Underground – die sind auch nicht gerade leer. Aber gibt es nicht auch Städte, die es noch besserma- chen als Berlin? Vom öffentlichen Nahverkehr in der Schweiz kann sich vielleicht auch Berlin noch etwas abgucken – ich denke zum Beispiel an Zürich. Die Pünktlichkeit dort ist wirklich beeindruckend. Es gibt auch weni- ger Zugausfälle. Singapur hat ebenfalls einen vorbild- lichen Nahverkehr. Ich glaube, dass auch in Paris oder London die Verkehrsunternehmen großartige Arbeit leisten. Das sind Metropolen, die noch einmal deut- lich größer sind als Berlin und noch größere Heraus- forderungen zu meistern haben. Dorthin müssen wir gucken, wenn wir wissen wollen, was in Berlin wohl künftig zu bewältigen ist. Wird das Angebot an ÖPNV in Berlin also zu langsam ausgebaut? Ich glaube, dass die Infrastruktur weitestgehend aus- reichend ist. Noch sind wir in dieser Hinsicht nir- gends so richtig an der Kapazitätsgrenze. Das ist na- türlich gut, weil der Bau neuer Strecken und Tunnel besonders teuer ist. ImMoment geht es eher um smar- te Lösungen, mit denen die Effizienz gesteigert wer- den kann. Außerdem sind Takterhöhung, Taktverdich- tung, mehr Fahrzeuge und freie Busspuren geeignete Maßnahmen, um Engpässen in hoch belasteten Ab- schnitten und Spitzenzeiten zu begegnen. Auch das kostet Geld. Ein gewisser Investitionsstau ist unverkennbar. Es gibt Städte, in denen mehr Geld in den ÖPNV investiert wird und auchmehr unpopuläre Maßnahmen zur Zu- rückdrängung des Individualverkehrs umgesetztwer- den. Bei Investitionen in das Material und in Sanie- rungen muss Berlins ÖPNV einen Rückstand aufho- len, das spüren wir jetzt an den diversen Baustellen. Das sind Versäumnisse aus den letzten 20 bis 30 Jah- ren, diewir jetzt ausbaden. Aber nochmal: Berlins ÖP- NV ist für viele Städte die Benchmark, auch was die Dichte und das Angebot anbelangt. Die Stadtmüsste also nicht nurmehr Geld in die Hand nehmen, sondern auch mehr regulieren, oder? In Deutschland und speziell in Berlinwird der öffent- liche Personennahverkehr nicht allein als kommer- zielles Geschäft verstanden, sondern als ein Teil der Daseinsvorsorge. Und gleichzeitig als Bekenntnis zu einer umweltgerechten Mobilität. In einer wachsen- den Stadt wie Berlin geht es um die Organisation des gesamten Umweltverbunds – also Fußweg, Fahrrad, Carsharing, ÖPNV. Es geht vor allem darum, auch auf der letzten Meile möglichst auf das eigene Auto ver- zichten zu können. Und ja, dazu bedarf es natürlich regulatorischer Maßnahmen. Diplom-Ingenieur Martin Müller- Elschner übernahm bereits 1994 die Lei- tung von Projekten bei der IVU Traffic Technologies AG 26 berliner wirtschaft 03 / 2019 schwerpunkt / Interview Bei Investitionen in das Material und in Sanierungen muss Berlins ÖPNV einen Rückstand aufholen. Martin Müller-Elschner Vorstandsvorsitzender
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