Berliner Wirtschaft 3/2019

22 berliner wirtschaft 03 / 2019 FOTOS: NORBERT MICHALKE, BVG Tim Lehmann, Institut für urbane Mobilität Wir wollen auf- zeigen, wie Mobilität mit sehr viel weni- ger Autos funk- tionieren kann. Institut für urbane Mobilität Dr.-Ing. Tim Lehmann, Gründer und Leiter Netzwerk von u.a. Stadt- und Verkehrsplanern sowie Mobilitätsforschern, das für die Vision „Städte für Menschen“ arbeitet. Branche Kreativwirtschaft Gegründet 2016 Mitarbeiter 10 Geschäftsmodell Think- Tank für urbane Transformationsprozesse schwerpunkt / Mobilität Bis 2030 sollen alle Busse der BVG elektrisch fah- ren, schon jetzt wird die gesamte BVG-Dieselbusflot- te auf neueste Emissionsstandards gebracht. Und die Berliner Stadtreinigung wird 70 Müllsammelfahr- zeuge mit Stickoxidfiltern nachrüsten. Berlin nutzt dafür die vom Bund angebotene Förderung für die Nachrüstung von Kommunalfahrzeugen. Das kön- nen auch Berliner Unternehmen, indem sie die vom Bund ausgelobte Nachrüstungsförderung für Hand- werkerfahrzeuge in Anspruch nehmen. Noch viel weiter geht Tim Lehmann mit seinem Institut für urbane Mobilität. Der promovierte Stadt- planer und Architekt hat mit der Kreuzberger Agen- tur Xoio ein Elektrofahrzeug namens Mobuno konzi- piert, ein selbstfahrendes Sammeltaxi auf einzeln an- steuerbaren Kugelrädern, mit ergonomischen Sitzen, Minibar und Stauraum für Gepäck. Weil das Gefährt, das es im Modell auch als Transporter gibt, extrem wendig ist, können Mobunos auf engen Flächen ge- parkt werden. Lehmann sucht aber nicht aktiv nach Investoren: „Uns ging es dar- um, eine Vision zu entwickeln für die Mo- bilitätsdebatte hier und in anderen Städ- ten – wir wollen aufzeigen, wie künftig gute Mobilität mit sehr viel weniger Au- tos funktionieren kann.“ Trotzdem wür- de er sich freuen, wenn Mobuno tatsäch- lich irgendwann gebaut wird. Berlin, behauptet Lehmann, habe weniger ein Parkplatzproblem, sondern ein Parkproblem. „Ungenutzte Parkplät- ze gibt es genug“, sagt er. „Wir haben er- rechnet, dass es rund 80.000 Stellplätze für Lang- zeitparkende in nicht ausgelasteten Parkhäusern gibt und weitere 50.000 für Übernachtparkende auf den Plätzen der etwa 1.000 Berliner Discounter und Su- permärkte.“ Hier seien intelligente Modelle zur ef- fizienten Nutzung gefragt. „Eine Anwohnervignette kostet heute 20,40 Euro für zwei Jahre – das sind 3 Cent pro Tag für zehn Quadratmeter Straßenfläche.“ Wenn der Verkehr von der Straße geholt werden soll, findet Tim Lehmann, müsste dieser Preis massiv er- höht werden – „dann würden vermutlich viele Ber- liner auf ihr eigenes Auto verzichten.“ Und vielleicht auch auf Carsharing umsteigen. Beim Carsharing liegt Berlin bundesweit vorn Beim Carsharing liegt Berlin weit vorn in Deutsch- land: Über 3.000 Fahrzeuge können hier gemietet werden – zumBeispiel von Free-Floating-Anbietern wie Car2Go oder DriveNow und stationsbasierten wie Flinkster oder Stadtmobil. Beim stationsbasier- ten Carsharing stehen die Autos auf festen Plätzen im Stadtgebiet und müssen dort auchwieder geparkt werden. Free-Floating-Fahrzeuge sind frei geparkt, werden über Smartphones geortet und gebucht und dürfen innerhalb des gesamten Nutzungsgebiets ab- gestellt werden. „Stationsbasiertes CarSharing ist eine ernsthafte Alternative zum eigenen Pkw“, sagt Daniel Brauer, Geschäftsführer von Stadtmobil Berlin, „mit unseren Fahrzeugen kann man sogar in Urlaub fahren, wenn gewünscht, mit Schneeketten, Fahrradträger, Dach- box oder Anhängerkupplung“. Das Unternehmen, Teil der bundesweiten Stadtmobil-Gruppe, hält 100 Au- tos auf rund 50 Stationen vor – vomKleinstwagen bis zum Transporter. „Wir rechnen nicht pro Minute ab wie andere Carsharer, sondern pro Stunde, Tag oder Woche, kombiniert mit einem Kilometer- tarif“, erläutert der Geschäftsführer, „wirwollen näm- lich nicht, dass unsere Teilnehmer durch die Stadt hetzen müssen.“ Stadtmobil-Kunden können auch Fahrzeuge des Wettbewerbers Cambio nutzen, der etwa 75 Fahrzeuge an rund 40 Stationen anbietet. „Wir wollen die Men- schen vom Auto wegführen, deshalb ma- chenwir auch keine Gewinnspielchen, bei denen der gewinnt, der ammeisten fährt, und wir spammen unsere Teilnehmer auch nicht zu, um sie zu mehr Buchungen zu animieren“, sagt Daniel Brauer. „Wir glauben, dass eine Stadt lebenswerter ist, die ihren öffentlichen Raum den Men- schen zur Verfügung stellt, nicht den Autos.“ Eine App für alles „Jelbi“ soll künftig ÖPNV, Taxi, Sharing- und On-Demand- Angebote bündeln. Die BVG arbeitet für die App mit anderen Mobilitätsdienstleis- tern zusammen.

RkJQdWJsaXNoZXIy MzI1ODA1