Berliner Wirtschaft 2/2020

Eugen G. Schmohl zählte zur Avantgarde der Berliner Architekten, aber seine Vision vom Bauen in die Höhe konnte er nur sehr bedingt realisieren von Prof. Dr. Klaus Dettmer (BBWA) Die dritte Dimension D ie Hauptstadt feiert 2020 hundert Jahre Groß-Berlin – zusammengelegt aus sie- ben umliegenden Städten sowie Gemein- den und Gutsbezirken. Schon um 1900 war Berlins Wachstum so rasant, dass der Hob- recht-Plan von 1862 längst veraltet war. Wie sollte man diese Entwicklung infrastrukturell, städ- tebaulich und architektonisch gestalten? Diese aktuell klingenden Fragen lagen demWettbewerb Groß-Berlin von 1910 zugrunde, an dem sich nam- hafte Architekten beteiligten. Einer von ihnen war Eugen G. Schmohl, des- sen Beiträge zumheiß diskutierten Thema „Bauen in die Höhe“ allerdings chancenlos blieben. Mies van der Rohe, Richard Ermisch und Ludwig Hil- berseimer planten Hochhäuser, aber es war Schmohl, der 1922/24 das erste Berliner Hoch- haus realisierte: den 65 Meter hohen Borsigturm. Eugen Schmohl gehörte zu diesem Zeitpunkt bereits zur ersten Reihe der Berliner Architek- ten. 1880 in Ludwigsburg geboren, war es vor allem sein Lehrer Alfred Messel, der ihm Kön- nen und Kontakte vermittelte. Führende Indus- trielle wie August Borsig, Walther Rathenau und Leopold Ullstein unterstützten mit ihren Bau- aufträgen die Reformarchitektur der sich anbah- nenden Moderne. Rathenaus Villa 1910 und das Kaufhaus Wertheim am Moritzplatz 1912 waren Schmohls Visitenkarten, als er sich an die „dritte Dimension“, den Borsigturm und das Bauen in die Höhe, machte. Im50. Jubiläumsjahr musste der Ullstein-Ver- lag 1927 wegen Platzmangels aus dem Zeitungs- viertel weichen und zog an den Tempelhofer Hafen und den Teltowkanal. Schmohl erhielt den Bau- auftrag für die größte Druckerei Europas. Ratio- nal durchorganisierte Arbeitsabläufe verlangten architektonische Lösungen: ein 77 Meter hoher Turm als Brückenkopf, Wasserturm, Eckpfeiler undWahrzeichen. Die Stockwerksbelegung spie- gelt die Produktionsstufen von oben nach unten. Fast ein Zehntel der Bausumme wurde in Stein- metzarbeiten investiert, etwa in die 2,35 Meter hohe Ullstein-Eule über dem Arbeitereingang. Das Verhängnis für Schmohl lauerte in der falschen Einschätzung des Baugrundes, weshalb umfangreiche Änderungen notwendig wurden. Schmohl ertrug die Vorwürfe wegenmangelhaf- ter Fundamentierungsarbeiten nicht und ging im Jahr 1926 in den Freitod. ■ FOTOS: ARCHIV DER STIFTUNG DEUTSCHES TECHNIKMUSEUM, BBWA (2) Für Interessierte Die Bestände des Berlin- Brandenburgischen Wirtschaftsarchivs (BBWA) können eingesehen werden. Kontakt und Informationen: bb-wa.de Mit dem Borsigturm (großes Bild)  – Wahrzeichen der Tegeler Borsig- werke – schuf der Reformarchitekt Eugen G. Schmohl (unten) ein Wahr- zeichen der Berliner Industrie. Aufträge erhielt er von führen- den Industriellen, u.a. für den Bau der Ullstein-Druckerei 65 Meter hoch ist der Borsigturm, den Eugen G. Schmohl als erstes Berliner Hochhaus von 1922 bis 1924 realisierte. BRANCHEN | Historie 42 IHK BERLIN  |  BERLINER WIRTSCHAFT 02 | 2020

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